Am Aschermittwoch hat die 40-tägige christliche Fastenzeit begonnen, die in der Nacht zu Ostersonntag (31. März) endet. Am 11. März beginnt in diesem Jahr der Ramadan, der Fastenmonat der Muslime, der bis zum 9. April dauert.
Frau Kühn, was bedeutet die Fastenzeit für Sie?
Elisabeth Kühn: Als Pastorin ist die Fastenzeit für mich besonders wichtig, weil sie die Zeit der besonderen Besinnung und der Hinwendung zu Gott ist. Als Christinnen und Christen gedenken wir dabei der Leidenszeit Jesu vor seinem Tod. Wir kennen aus der Bibel die Geschichte, als Jesus in der Wüste ist und 40 Tage fastet, also hungert und dürstet. Jesus sucht die Einsamkeit, um in sich zu gehen, zu beten und sich zu Gott zu wenden. Das tun die Christinnen und Christen in der Passions- beziehungsweise Fastenzeit. Insofern ist sie theologisch von großer Bedeutung, und für mich persönlich auch. Ich faste, aber nicht so, wie meine muslimischen Mitmenschen es tun. Ihr verzichtet tagsüber ja komplett auf Essen und Trinken.
Ercan Yüksekkaya: Ihr verzichtet auf Fleisch, oder?
Kühn: Das ist ganz unterschiedlich. Mit Fleischverzicht ging es los. Viele machen das heute aber ganz individuell und sagen: Ich trinke in der Zeit keinen Alkohol oder ich esse keine Süßigkeiten, benutze keinen Laptop, fahre kein Auto.
Yüksekkaya: Das ist das Beste, dann macht man ein bisschen Sport!
Kühn: Es sind individuelle Formen des Fastens, jede und jeder kann sich selber etwas überlegen. Für mich muss es etwas sein, was ich auch spüre. Wenn ich auf etwas verzichte, was mir nicht schwerfällt, dann ist das kein Verzicht. Ich selbst esse keine Süßigkeiten und keinen Zucker. Das ist schon manchmal eine Herausforderung, nicht zur Schokolade zu greifen.
Ich merke dann auch, wie selbstverständlich ich jeden Tag Dinge nutze, ohne darüber nachzudenken. Das ist für mich tatsächlich auch so ein Punkt, wo ich Gott danke sagen kann. Danke dafür, dass ich nicht hungern muss, dass ich keinen Durst haben muss, dass es mir so gut geht. Und es ist auch eine Zeit, um Menschen in den Blick zu nehmen, denen es eben nicht so gut geht. Das ist, glaube ich, auch etwas ganz Wichtiges bei euch.
Yüksekkaya: Bei uns auch, ja.
Herr Yüksekkaya, was bedeutet der Ramadan für Sie?
Yüksekkaya: Der Ramadan ist für mich persönlich sehr wichtig und auch für die ganze islamische Welt. Alle fangen am selben Tag an zu fasten, egal ob arm oder reich, da entsteht eine Einheit. Alle sind gleich, weil alle das Gleiche spüren. Wenn man fastet, ist man sozusagen zwölf Stunden mit Gott zusammen. Wir spüren das körperlich, weil wir Hunger haben.
Der Ramadan ist auch der Monat, wo man spendet und an die Armen denkt, die vielleicht kein sauberes Wasser finden oder nichts zu essen haben.
Und der Ramadan ist auch der Monat des Korans. Gott hat seine Offenbarung, die Koranverse, in dieser Zeit durch den Erzengel Gabriel herabgesandt. Und wir wissen, Engel sind anders als Menschen: Sie essen nichts, sie trinken nichts und haben keinen Geschlechtsverkehr. Um die Offenbarung zu erhalten musste der Prophet Mohammed mit dem Engel in Kontakt treten. Also musste er auch so sein wie ein Engel: Er hat wenig gegessen, wenig getrunken, wenig gesprochen, wenig geschlafen. Deswegen ist der Ramadan die Zeit, wie ein Engel zu werden.
Im Ramadan darf man auch nicht lügen. Man darf sowieso nicht lügen, aber im Ramadan soll man noch mehr darauf achtgeben, was man spricht. Das ist auch eine Übung, damit man ein aufrichtiger Mensch wird.
Zu den Personen
Elisabeth Kühn, Jahrgang 1966, ist Pastorin in der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde in St. Georg-Borgfelde in Hamburg, direkt am Hauptbahnhof. Zwischen der evangelischen Gemeinde und einigen islamischen Moscheen in den Stadtteilen St. Georg und Borgfelde bestehen seit vielen Jahren enge Verbindungen. Eine der Moscheen ist die wenige hundert Meter entfernte Centrum-Moschee. Ercan Yüksekkaya, Jahrgang 1977, ist dort Imam. Er kam mit vier Jahren mit seinen Eltern aus der Türkei nach Deutschland.
Was sollte der Kern der Fastenzeit sein?
Yüksekkaya: Im Ramadan darf man zu bestimmten Zeiten nichts essen und nichts trinken, das ist vorgegeben, das kann man nicht interpretieren. Elf Monate kannst du essen, wie du möchtest, wann du möchtest, was du möchtest. Aber einen Monat macht man Diät, so reinigt man sich innerlich und äußerlich, sinnlich und körperlich. Und so hat man geübt, geduldig zu sein. Heutzutage fehlt vielen Menschen die Geduld.
Und wenn man dann isst, schmeckt alles so wunderbar. Erst dann kapieren wir, wieviele Gaben uns Gott eigentlich gegeben hat: Früchte, Gemüse. Wie wertvoll ein sauberes Glas Wasser ist. Also der Kern der Sache ist, mit Gott zusammen zu sein.
Und zusätzlich zum Essen fasten kommen dann noch die anderen Dinge wie nicht zu lügen?
Yüksekkaya: Ja, genau, das wird immer empfohlen. Es gibt drei Stufen beim Fasten: Erstens, mit dem Magen zu fasten. Das machen alle Muslime. Eine Stufe höher ist, mit dem Magen und dem Mund zu fasten. Und die dritte Stufe ist es, mit dem Magen, dem Mund und dem ganzen Körper zu fasten. Da kann man zum Beispiel mehr beten, mehr spenden, mehr nachdenken, was man die vergangenen elf Monate gemacht hat.
Die Fastenaktion "Sieben Wochen ohne" in der evangelischen Kirche ist thematisch immer recht weit gefasst. In diesem Jahr lautet das Thema "Sieben Wochen ohne Alleingänge".
Kühn: Ich bin da eher bei meinen muslimischen Geschwistern, weil ich das klarer finde. Es eine schöne Art, dass für alle verbindlich gilt: Wir verzichten auf Essen und Trinken, von dieser Uhrzeit bis zu dieser Uhrzeit. Und dazu kommt ja auch, dass ihr dann den Iftar feiert, also das Fastenbrechen. Das ist ein toller Akt der Gemeinschaft und Gemeinsamkeit. Da sitzen dann manchmal hunderte Leute und teilen miteinander ihr Essen. Das finde ich sehr schön. Und es ist immer mit einem Gebet verbunden. Das ist im Christentum ja bei weitem nicht so, da ist es eher etwas Freiwilliges und keiner verpflichtet jemanden darauf.
Yüksekkaya: Der Ramadan ist die beste Gelegenheit, Familie und Freunde zu treffen, mit Bekannten, Nachbarn oder Arbeitskollegen zusammenzukommen. Mit anderen gemeinsam Iftar zu feiern, ist eine große Tat, wie der Prophet es gelobt hat. Niemand möchte das verpassen. Wir werden hier in der Gemeinde auch 30mal für Obdachlose, für Asylbewerber kochen und sie mit Essen beschenken.
Kühn: Das hat ja so ein bisschen die Bedeutung wie bei uns das Weihnachtsfest: Einmal im Jahr kommt die Familie zusammen, Freunde und Freundinnen versammeln sich, das Essen ist ganz wichtig, Geschenke werden verteilt.
Yüksekkaya: Ja, genau. Im Ramadan ist wirklich viel los. Da wird auch einmal von der ersten bis zur letzten Seite der Koran rezitiert. Das wird von den Moscheen angeboten, wer möchte, kann mitmachen. 30 Tage lang werden täglich 20 Seiten rezitiert, das sind dann 600 Seiten. So liest man den Koran einmal vom Anfang bis zum Ende.
Nochmal zurück zu dem Aspekt des Verzichts und der inneren Einkehr. Ist das heute überhaupt noch wichtig in unserer Gesellschaft?
Kühn: Ich finde, dass es gerade in unserer derzeitigen gesellschaftspolitischen Situation besonders wichtig ist. Alles, was spirituell ist oder gar eine Beziehung zu Gott scheint kaum noch eine Rolle zu spielen. In Hamburg haben wir weit unter 30 Prozent Kirchenzugehörigkeit mittlerweile.
Auf der anderen Seite sind Menschen ganz stark auf der Suche, nach spirituellen Angeboten, nach etwas, was ihr Leben bereichert, abseits von Arbeit und Stress, wo sie zu sich kommen, wo sie eine Bindung finden zu etwas, das größer ist als sie selbst und wo sie merken: Ich bin nicht das Maß aller Dinge. Für mich ist das Gott. Andere nennen das vielleicht Schicksal oder Fügung. Ich glaube, dass die Sehnsucht der Menschen danach, zu wissen, was über sie selbst hinaus geht, immens groß ist. Einkehrtage in Klöstern sind zum Beispiel ganz stark nachgefragt.
Mit dem Ramadan oder der Fastenzeit können wir einen festen Punkt im Jahr anbieten, an dem es quasi von außen schon vorgesehen ist, sich auf Gott zu besinnen oder auf das, was größer ist. Das ist eine tolle Chance.
Ich finde, wir müssten als Kirche viel offensiver und mutiger damit umgehen. Wir sind da häufig zu schüchtern, weil wir glauben, es spricht Menschen nicht an oder wir werden dafür ausgelacht. Da könnten wir viel mehr machen und die Menschen bereichern. Bei euch Muslimen ist das selbstverständlich.
Yüksekkaya: Bei uns ist das Haus voll bei jedem Freitagsgebet. Niemand möchte das vernachlässigen und beim Ramadan ist es genauso. Man sagt, ich habe das Größte jetzt geschafft und den ganzen Tag nichts gegessen. Da möchte man auch das Nachtgebet nicht verpassen. Viele kommen dann. Nachdem wir gegessen haben, muss man ja auch alles gut verdauen. Eine Stunde wird gebetet, das ist richtig sportlich, mit 20mal bücken und niederknien.
Gibt es auch Muslime, die sagen, warum soll ich mich noch an so eine alte Tradition halten?
Yüksekkaya: Ja, die gibt es auch, natürlich. Nicht alle halten sich an die Regeln. Aber nach dem Koran ist Fasten Pflicht. Vielleicht müssen wir daran noch mehr arbeiten, dass alle Muslime in Hamburg eines Tages fasten. Ich gehe davon aus, dass nur eine Minderheit fastet, vielleicht 40, 45 Prozent? Manche fasten nur, kommen dann aber nicht zum Gebet. Manche fasten, kommen zum Gebet, aber nicht zur Rezitation. Das ist unterschiedlich.
In diesem Jahr überschneiden sich Fastenzeit und Ramadan für drei Wochen im März. Haben Sie da gemeinsame Aktionen geplant?
Beide: Noch nicht. Aber könnten wir eigentlich. Dazu müssten wir uns mal ein bisschen Gedanken machen. Vielleicht eine Bildungsveranstaltung? Das wäre eine gute Chance.
Kühn: Wir haben immer unser interreligiöses Gebet am Karfreitag. Wir machen schon seit vielen Jahren um 14 Uhr ein Friedensgebet und laden Nachbargemeinden ein. Letztes Jahr waren Muslime bei uns, die jüdische Gemeinde, die katholische Gemeinde vom Mariendom. Das findet dieses Jahr auch wieder statt, aber unabhängig vom Ramadan.
Und wir haben ja unser großes Integrations- und Familienzentrum, das IFZ. Da sind wir interkulturell und interreligiös aufgestellt. Dort feiern wir jedes Jahr auch einen Abend zum Iftar für die Kinder und Jugendlichen und die Familien. Da ist es immer brechend voll. Und da laden wir natürlich auch unsere muslimischen Nachbargemeinden ein.
Yüksekkaya: Wir machen jedes Jahr einen Empfang, ungefähr in der Mitte des Ramadans. Da laden wir auch benachbarte christliche Gemeinden ein.
Was könnte man sich vielleicht bei der jeweils anderen Religion aus der Fastenzeit abschauen? Frau Kühn, Sie haben vorhin schon das gemeinsame Fastenbrechen am Abend genannt, das Ihnen gut gefällt.
Kühn: Ja, das ist was Tolles und da könnte man ja auch ein gemeinsames Gebet sprechen, religionsübergreifend. Als Segen zum Essen zum Beispiel. Ich glaube, da gibt es schon viele Anknüpfungspunkte, die man nutzen könnte.
Und dieses übergreifende Bewusstsein dafür, dass man gemeinsam fastet, dass ganz klar beschrieben ist, was das bedeutet: das ist im Christentum ja nicht so verankert wie im Islam. Bei uns ist es doch stark individualisiert: Ich verzichte auf Süßigkeiten, jemand anderes verzichtet auf Instagram. Das ist auch in Ordnung. Aber es gibt kein gemeinsames Verständnis darüber.
Können sich die Muslime von der christlichen Fastenzeit auch etwas abschauen?
Yüksekkaya: Ja, die Idee von "Sieben Wochen ohne". Ich empfehle das! Das passt gut zusammen. Essen und Trinken fasten ist das Minimum. Aber wir können zum Beispiel zusätzlich noch auf die Playstation verzichten, weniger das Handy benutzen.
In unserer Literatur steht das auch. Du hast nicht nur mit deinem Mund gefastet, indem du nichts gegessen hast. Auf was hast du dieses Jahr verzichtet? Sinn der Sache ist es ja, etwas zu lernen. Das kann man vom Christentum so übernehmen. Man kann doch von anderen Religionen profitieren.
Ramadan ist die größte Gelegenheit, mehr zu schaffen. Wir fasten nicht mit dem Magen, sondern mit dem Gehirn, mit dem Verstand.
Kühn: Es geht eher um eine bewusste innere Haltung zu dem, was ich habe und zu Gott.
Yüksekkaya: Genau. Das ist das richtige Wort. Es geht um die Haltung.
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