Seit knapp drei Jahren gibt es an bayerischen Schulen einen regulären Islamunterricht. Nach einer mehr als zehn Jahre dauernden Modellphase wurde der "Islamische Unterricht" zum Schuljahr 2021/2022 als Wahlpflichtfach eingeführt. Seitdem können muslimische Schülerinnen und Schüler ihn als Alternative zum Ethikunterricht wählen.
Im aktuellen Schuljahr 2023/2024 besuchen etwa 21.000 Schülerinnen und Schüler an 410 allgemeinbildenden Schulen in Bayern den "Islamischen Unterricht", schreibt das Bayerische Kultusministerium. Mehr als die Hälfte dieser Schulen (260) sind Grundschulen. Die Gesamtzahl von Schülerinnen und Schülern mit islamischer Religionszugehörigkeit in Bayern beziffert das Kultusministerium auf rund 140.000.
Der Unterricht werde insgesamt sehr gut angenommen, die Zahl der teilnehmenden Schülerinnen und Schüler steigt nach Angaben des Ministeriums jedes Jahr leicht an. Meist äußerten die Eltern den Wunsch nach Islamischem Unterricht an der Schule ihrer Kinder, erläutert Tarek Badawia, Professor für Islamisch-Religiöse Studien und Inhaber des Lehrstuhls für Islamische Religionslehre an der Friedrich-Alexander-Universität (FAU) Erlangen-Nürnberg. Er ist zuständig für die Ausbildung muslimischer Religionslehrkräfte an der FAU.
Das Unterrichtsangebot soll "bedarfsorientiert" ausgebaut werden
Ab einer Gruppengröße von etwa neun bis zwölf Kindern könne der Unterricht organisiert werden. Doch nicht überall, wo der Islamische Unterricht gewünscht wird, kann er auch angeboten werden, weil es immer noch nicht genügend Lehrkräfte gibt, sagt Badawia. Aus dem Kultusministerium heißt es, das Unterrichtsangebot solle weiter "bedarfsorientiert" ausgebaut werden, "inklusive dem Aufbau der entsprechenden Lehrkräftekapazitäten".
Im Unterschied zum evangelischen oder katholischen Religionsunterricht wird der Islamische Unterricht in Bayern nicht konfessionell organisiert. "Wir haben einen religionskundlichen Unterricht. Es geht also nicht um Glaubensbildung oder Glaubenserziehung wie im Gemeindeunterricht", sagt Badawia. "Im Islamunterricht werden islamische Inhalte vermittelt, aber die Haltung ist nicht konfessionell." Es gehe darum, dass die Kinder Kompetenzen entwickelten, um ihre eigenen Entscheidungen in Bezug auf ihren Glauben treffen und ihr Leben in Deutschland führen zu können.
Der Grund dafür, dass das Fach vom Staat verantwortet wird, liegt an der Vielfalt und Organisationsstruktur islamischer Glaubensgemeinschaften. "Für die religiöse Erziehung durch Religionsunterricht bedarf es einer kooperierenden Religionsgemeinschaft, die den Inhalt ihres Glaubens definiert und die Lehrkräfte zur Erteilung des Unterrichts bevollmächtigt", schreibt das Kultusministerium. Im katholischen und evangelischen Religionsunterricht sind dies die katholische und die evangelische Kirche.
Vor der Einführung des "Islamischen Unterrichts" als Wahlpflichtfach gab es rege Debatten
Keine der in Bayern tätigen islamischen Organisationen könne jedoch für sich in Anspruch nehmen, für alle Muslime im Freistaat zu sprechen, heißt es aus dem Kultusministerium. Außerdem erfülle aktuell keine der Organisationen uneingeschränkt die Merkmale einer Religionsgemeinschaft im rechtlichen Sinne, die - gemäß Artikel 7 Absatz 3 des Grundgesetzes - zur Kooperation befähigt wäre.
In der Übergangsphase vom Modellversuch zum Islamischen Unterricht als Wahlpflichtfach gab es deshalb rege Debatten und eine große Unzufriedenheit in der muslimischen Community, sagt Badawia. Es habe viele Fragen gegeben, etwa, wer die Unterrichtsinhalte bestimme und wer unterrichten dürfe. Diese Fragen seien jedoch mittlerweile geklärt. "Das Projekt ist gut angekommen."
Bei der Gestaltung und Entwicklung der Unterrichtsinhalte am Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung München (ISB) wirkt der Wissenschaftliche Beirat des Departments Islamisch-Religiöse Studien (DIRS) der FAU Erlangen-Nürnberg mit. Er wird durch zwei Fachvertreter beteiligt.
Die muslimische Schülerschaft in Bayern ist bunt gemischt
Dieser Beirat besteht aus in Bayern tätigen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens mit verschiedenen religiösen und ethnischen Hintergründen und Gelehrten der islamischen Theologie und fachverwandter Wissenschaften. Die Vertreter des Beirats seien Menschen, die ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland haben, die Lebenswelten der Schülerinnen und Schüler kennen und verstehen, was junge Leute brauchen, sagt Badawia.
Die muslimische Schülerschaft in Bayern sei sehr bunt gemischt. "Ihre Wurzeln reichen von Marokko bis Indonesien." Die religiöse Vielfalt der muslimischen Community, auch die verschiedenen Glaubensrichtungen etwa von Sunniten, Schiiten und Aleviten, sei Thema im Unterricht. Auch die Lehrkräfte bildeten diese Vielfalt ab.
Um Islamischen Unterricht zu geben, sei es aus fachlicher Sicht empfehlenswert, dass die Lehrkräfte selbst muslimischen Glaubens seien, sagt Badawia. Studieren kann man "Islamischen Unterricht" an der FAU Erlangen-Nürnberg als Erweiterungsfach, entweder im Rahmen eines Lehramtsstudiums oder nach einem Studiengang mit Bezug zum Islam. Quereinsteiger können sich durch zusätzliche Fortbildungen in Kooperation mit der Universität und der bayerischen Lehrerakademie weiterqualifizieren.
Der Lehrer- und Lehrerinnenverband möchte eine "religionssensible Schulkultur"
Auch der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV) fordert einen weiteren Ausbau des Angebots an Islamischem Unterricht, vor allem an Gymnasien, Real- und Berufsschulen. Um gegen den Lehrermangel anzugehen, könnte etwa ein weiterer Studienstandort für den Islamischen Unterricht neben der FAU Erlangen-Nürnberg geschaffen werden, schlägt der BLLV vor.
In die aktuelle Diskussion um den Religionsunterricht in Bayern, der zuletzt von Kürzungen verschont blieb, möchte Simone Fleischmann, BLLV-Präsidentin, auch den Islamunterricht einbeziehen. Man müsse eine übergreifende Diskussion führen über ein flexibleres und zukunftsfähiges Konzept des Ethik- und Religionsunterrichts, sagt Fleischmann. In einer immer vielfältiger werdenden Welt brauche es einen integrierten Unterricht, der die verbindenden Elemente der Religionen aufzeige und die interreligiöse Kompetenz der Kinder stärke, damit sie sich gut orientieren könnten. "Das Stichwort ist eine religionssensible
Schulkultur", sagt die BLLV-Präsidentin.
Außerdem sollten Schulen mehr Auswahlmöglichkeiten haben, wie sie vor Ort konfessionellen, konfessionell-kooperativen oder religionsübergreifenden Unterricht umsetzen möchten. Die Eigenverantwortlichkeit der Schulen sollte gestärkt werden. Dafür müsse man sich nun Formen überlegen, sagt Fleischmann.
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