Interreligiös und interkulturell präsentierte sich der erste Jahresempfang des Dekanats München nach der langen Corona-Pause. Zahlreiche Vertreter der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen, des Rats der Religionen, der fremdsprachigen evangelischen sowie der jüdischen und muslimischen Gemeinden waren dem Ruf des Leitungsgremiums um Stadtdekan Bernhard Liess ins Alte Rathaus gefolgt.

"Der Traum vom solidarischen Miteinander der Religionen wird in München Wirklichkeit", sagte die zweite Bürgermeisterin Kathrin Habenschaden (Grüne) in ihrem Grußwort. Sie danke dem Dekanat für das engagierte Wirken im interreligiösen und interkulturellen Dialog sowie "für das stetige und klare Eintreten gegen Rechtsextremismus und Intoleranz".

Bürgermeisterin lobt Reformen in evangelischer Kirche

Habenschaden würdigte kreative kirchliche Angebote wie die "Trauung to go" oder das mobile Friedhofs-Café, mit denen die Protestanten in München den Herausforderungen der sinkenden Mitgliedszahlen begegneten. Es sei dabei sicher "nicht leicht, zuversichtlich zu bleiben", sagte die Politikerin. Umso mehr beeindrucke sie, wie die evangelische Kirche ihre Strukturen reformiere und Teilhabe auf allen Ebenen stärke.

Für Bernhard Liess, seit 1. September 2020 Münchner Stadtdekan, war es der erste Jahresempfang.

In seiner Begrüßung betonte er die Solidarität "mit den Menschen in der Ukraine, die Tag für Tag, Nacht für Nacht mit Krieg, Gewalt und Terror überzogen werden".

Das Dekanat München hat eine Partnerschaft mit der lutherischen Katharinenkirche in Kiew. Freiheit, Pluralität und Demokratie seien keine Selbstverständlichkeit, sagte Liess. Die Demokratie müsse derzeit "gegen Populismus und Angstmacherei" verteidigt werden.

Ist Gott demokratisch?

Auch aus diesem Grund war als Festredner der Tübinger Philosoph Otfried Höffe zu Gast. In seinem Vortrag "Ist Gott demokratisch? Zum Verhältnis von Demokratie und Religion" versah er die These vom Niedergang der Religion im säkularen Staat mit einem dicken Fragezeichen. "Dem widerspricht die Wirklichkeit", sagte Höffe.

Ob in Redensarten oder der bildenden Kunst, im Landschaftsbild oder im Sozialwesen: Nach wie vor sei vor allem das Christentum vielfach gegenwärtig. Auch Atheisten kämen trotz aller Religionskritik nicht auf die Idee, das Weihnachtsoratorium aus der Musikliteratur zu streichen.

Als paradox bezeichnete der Leiter der Tübinger Forschungsstelle Politische Philosophie die Rolle der Zehn Gebote: "Unsere unstrittig säkularen, gegen die Religionen zumindest fremdelnden Gesellschaften, erkennen ein nicht minder unstrittig religiöses Dokument an."

Dies sei möglich, weil der Rechtskodex aus Juden- und Christentum der Überlieferung zufolge auf zwei Tafeln notiert gewesen sei. Alle Gebote der zweiten Tafel würden dabei rein weltlich begründet. Die Verpflichtungen, nicht zu lügen, zu töten oder zu stehlen, "erleichtern unabhängig von jeder Religion ein humanes Zusammenleben", erklärte der Ethikexperte. Drei der Verbote gehörten sogar weltweit zum Kernbestand allen Strafrechts.

Insgesamt stellte Höffe fest, dass sich, "von wenigen Sonderfällen abgesehen, Demokratie und Religion gut vertragen".

Das evangelisch-lutherische Dekanat München ist der größte Dekanatsbezirk in der bayerischen Landeskirche. Zu ihm gehören 66 Kirchengemeinden mit zusammen rund 220.000 Protestanten sowie die Evangelischen Dienste, in denen Arbeitsbereiche wie Krankenhaus- oder Telefonseelsorge, Jugend-, Behinderten- oder Migrationsarbeit organisiert sind. Stadtdekan ist Bernhard Liess.

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