Herr Kurz, Sie sind nicht mehr Direktor, sondern Geschäftsführer von Herzogsägmühle. Was schwingt bei diesem Detail alles mit?
Andreas Kurz: Grundsätzliche Themen wie die Neuausrichtung der Diakonie München und Oberbayern (DMO). Angesichts der raschen Veränderungen im Sozialbereich müssen wir verschiedene Geschäftsbereiche verzahnen. Dafür braucht es andere Leitungsstrukturen. Deshalb haben wir - das wurde seit langem vorbereitet - die Bereiche den drei Geschäftsführern der DMO neu zugeordnet. Ich bin für die Themen Ausbildung, Schulen und Arbeitsplätze zuständig sowie für das Dorfleben und die Außenwahrnehmung von Herzogsägmühle. Mein Kollege Johann Rock verantwortet die gesamte DMO-Verwaltung, die Finanzen und das Personal, meine Kollegin Andrea Betz die Bereiche Wohnungslosenhilfe, Jugendhilfe und seelische Hilfen. Die beiden sind zudem zusätzlich Vorstände der Diakonie München und Oberbayern. Neu ist, dass manche Bereiche von Herzogsägmühle - wie die Altenhilfe - zukünftig von anderen Tochtergesellschaften der DMO geführt werden. Andere wie Flucht und Migration werden innerhalb des Vereins in eigene Organisationseinheiten zusammengefasst.
"Das ist unser Spirit, den wollen und müssen wir bewahren."
Verliert Herzogsägmühle durch diese Aufteilung nicht seinen Charakter als Einheit?
Herzogsägmühle hat seit seiner Gründung 1894 als Arbeiterkolonie ein Mut-Gen, wir sind miteinander unterwegs. Das ist unser Spirit, den wollen und müssen wir bewahren. Aber wir können in einer vernetzten, kooperierenden Welt nicht alles allein schaffen. Mir ist deshalb wichtiger, was wir durch die Vernetzung innerhalb der DMO gewinnen - nämlich mehr Stabilität für die Zukunftssicherheit.
Worin genau bestehen die synergetischen Effekte?
Nehmen wir den Pflegebereich. Das Pflegegesetz des SGB XI ist komplett unterschiedlich zu anderen Bereichen des Sozialgesetzbuchs. Nirgendwo sonst gibt es einen Medizinischen Dienst der Krankenkassen, der die Einrichtungen engmaschig kontrolliert. Auch die Dokumentationspflicht unterscheidet sich von anderen Feldern wie der Jugendhilfe. Wer sich im SGB XI super auskennt, kann noch lange nicht beim SGB VIII mitreden. Zudem verändert sich die Sozialgesetzgebung permanent. Wir müssen als Organisation laufend mitlernen.
Das bedeutet einen hohen Aufwand, damit die Qualität gleichbleibt. Indem die rund 50 Pflegeplätze in unserem Schöneckerhaus ab 1. Juli von der DMO-Tochter "Hilfe im Alter" betrieben werden, können wir das bündeln. Denn ob die 'Hilfe im Alter' ihre Expertise für 700 Plätze einsetzt oder für 750, macht keinen großen Unterschied. Zudem erwarten unsere Kostenträger, dass wir Synergien beim Einkauf nutzen. Die 'Hilfe im Alter' hat da durch ihre Größe natürlich andere Konditionen als wir.
Die Identität des Dorfs zu bewahren, gehört zu Ihren Aufgaben. Wie stellen Sie das an?
Ich werde darauf achten, dass wir weiterhin zwischen den Bereichen verzahnt arbeiten. Das ist ein Punkt, den sowohl Kostenträger wie auch Hilfeberechtigte und Angehörige an uns schätzen: Man kann bei uns zwischen den Angeboten "quer" gehen, ohne die Einrichtung wechseln zu müssen. Außerdem bleiben Menschen bei uns als Individuen im Mittelpunkt. Für die Mitarbeitenden ist außerdem der christliche Aspekt oft wichtig sowie die Arbeit in einer Gemeinschaft und die Möglichkeit, aus einer breiten Palette beruflicher Angebote wählen zu können.
"Die Zuwanderung von Menschen aus aller Welt ist für uns inzwischen ein unerlässlicher Faktor in der Personalgewinnung."
Was tun Sie gegen den Fachkräftemangel?
Was uns hilft sind die familiären Strukturen auf dem Land: Wenn der Opa bei einer Firma gern gearbeitet hat, gehen die Kinder und Enkel oft auch dorthin. Das müssen wir pflegen, denn durch solche "Kettenreaktionen" bleiben wir auch in Zukunft stabil. Tatsächlich haben wir mit externen Recruiting-Maßnahmen kaum noch Erfolg - da fischen alle im gleichen, immer leerer werdenden Teich. Ich sehe aber Potenzial darin, Weiterbildungsangebote für die eigenen Mitarbeiter zu schaffen. Wer nach Jahren in der Verwaltung gern in den pädagogischen Bereich wechseln möchte, soll das bei uns tun können. Solche Wechsel in späteren Berufsjahren sind nicht selten: Unsere Heilerziehungsschule besuchen Menschen, die zu 70 Prozent zwischen 30 und 40 Jahre alt sind.
Und dann, ganz wichtig: Die Zuwanderung von Menschen aus aller Welt. Das ist für uns inzwischen ein unerlässlicher Faktor in der Personalgewinnung. Inzwischen haben wir in Herzogsägmühle Menschen aus 29 Nationen beschäftigt und sind sehr froh über alle verwaltungstechnischen Erleichterungen in der Anerkennung von Abschlüssen oder Aufenthaltsstatus. Diese Dinge machen uns hier das erfolgreiche "Onboarding", also das Bewerben und Einstellen, sehr schwer. Die ganzen interkulturellen Fragestellungen, die aus der Vielfalt folgen, sind alle zu meistern. Wir begreifen das hier bei uns als einen - wenn auch herausfordernden - Beitrag hin zu einem vielfältigen Einwanderungsland.
Gibt es neue Bau- oder Expansionspläne oder stehen die Zeichen nach den Pandemiejahren auf Konsolidierung?
Eine wirtschaftliche Konsolidierung ist wichtig. Unsere aktuellen Zahlen sind wieder auskömmlich, aber wir wollen Ertragsziele erreichen, um so etwas wie eine Pandemie besser abfedern zu können. Ich nenne das "eine wirtschaftliche Resilienz" entwickeln. Trotzdem planen wir drei große Baumaßnahmen: Der geplante Umbau des Schönecker-Pflegeheims zum schon erwähnten evangelischen Pflegezentrum Herzogsägmühle, bei dem wir gerade mit 20 Prozent höheren Baukosten kämpfen. Dann das geplante Baugebiet "Roter Berg West" mit 40 bis 45 Wohneinheiten für den freien Mietmarkt - das zu integrieren, ist ein wichtiges Thema bei der Dorfentwicklung.
Und die CO2-neutrale Wärmeversorgung bis 2035 - statt der lange favorisierten Hackschnitzelanlage setzen wir jetzt auf eine große Wärmepumpenanlage bis 2025, die 80 Prozent des Bedarfs abdecken wird. Um den nötigen Strom dafür zu produzieren, nutzen wir 17 Hektar unserer insgesamt 150 Hektar Weidefläche für eine hochgestellte Photovoltaik-Anlage. Die Paneele lassen Licht durch. Von ähnlichen Agri-PV-Anlagen wissen wir, dass die Kühe das gern als Unterstand nutzen. Mit diesen beiden Maßnahmen kommen wir bei der Energieversorgung bis 2025 weg von fossilen Verbrennungsthemen.
"Unsere Identität macht uns stark. Wenn das authentisch ist, ist das enorm tragfähig."
Was ist Ihr persönliches Ziel für die nächsten Jahre?
Wir befinden uns in der Zwischenphase eines Transformationsprozesses. Den möchte ich abschließen und Herzogsägmühle als leuchtenden Stern innerhalb der DMO platzieren. Der Funke unseres Spirits soll überspringen - das erleben wir jetzt schon in der engen Zusammenarbeit mit der 'Hilfe im Alter'. Alle sollen spüren: Es funktioniert, wenn wir gemeinsam unterwegs sind. Unsere Identität macht uns stark. Wenn das authentisch ist, ist das enorm tragfähig.
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