Die Vorbereitungen für den 37. Deutschen Evangelischen Kirchentag 2019 in Dortmund laufen bereits auf Hochtouren. Als Kirchentagspräsident bestimmt der frühere SZ-Redakteur Hans Leyendecker zusammen mit der bayerischen Pfarrerin Julia Helmke als Generalsekretärin die thematischen Linien. In einem Gespräch mit EPV-Direktor Roland Gertz und dem Chefredakteur des epd Bayern, Achim Schmid, stellen sie inhaltliche Schwerpunkte vor, benennen die Grenzen für einen offenen Dialog und erklären, warum sich Dortmund in ganz besonderer Weise als Ort für das große Protestantenteffen eignet.
Nach dem Katholikentag ist vor dem evangelischen Kirchentag, den Sie beide in verantwortlichen Funktionen sozusagen offiziell gestalten müssen. Wie ist denn Ihre ganz persönliche Beziehung zum Kirchentag?
Leyendecker: Meine erste Erfahrung mit dem Kirchentag reicht schon weit zurück. 1975 bin ich zusammen mit meiner Frau, beide mit dem Rucksack, über den Kirchentag gegangen und wir waren seitdem bei allen evangelischen Kirchentagen dabei. Selbst Krankheiten haben uns nicht gestoppt, und wir sind wirklich Leute, die sich auf alle zwei Jahre Kirchentag freuen. Helmke: Mein erster Kirchentag war 1985 in Düsseldorf mit der Losung "Die Erde ist des Herrn". Da war ich knapp 16, mit der Jugendgruppe unterwegs und es war für mich alles neu. Ich kam aus dem Staunen gar nicht heraus, diese besondere Stimmung wahrzunehmen und selber unterwegs zu sein. Der "Markt der Möglichkeiten" überwältigte mich mit all dem, was Protestantismus ausmacht und wofür sich Menschen engagieren. Das Feierabendmahl zusammen mit ganz vielen Glaubenden war Gänsehautgefühl pur.
Der Kirchentag spielt für meine religiöse und soziale Sozialisation eine ganz große Rolle. Inzwischen sind Sie nicht mehr Besucher, sondern können und müssen selbst die inhaltlichen Schwerpunkte setzen. Gibt es dabei Themen, die Ihnen ganz besonders am Herzen liegen?
Leyendecker: Ein ganz zentrales Thema ist für mich die gespaltene Mitte der Gesellschaft, dass eben Menschen zumindest ein diffuses Gefühl haben: In diesem Land kannst du nicht mehr sagen wie es wirklich ist, sonst sagt jeder, du bist gleich ein Nazi. Ich glaube schon, dass wir da hinhören müssen, und zwar stärker, als wir das in der Vergangenheit taten. Obwohl es uns heute so gut geht wie wohl nie zuvor, haben die Ängste vieler Menschen zugenommen, was nicht allein mit einer Aversion gegen Flüchtlinge oder den Islam zu tun hat, sondern mit Problemen im eigenen Umfeld - am Arbeitsplatz oder in der Stadt. Mir wäre es deshalb ein wichtiges Projekt, dass diese möglicherweise auch diffusen Ängste eine Stimme bekommen. Diese Ängste werden ganz bewusst von der AfD aufgegriffen.
Gibt es da für den kommenden Kirchentag Grenzen des Dialogs?
Helmke: Das Kirchentagspräsidium hat 2016 einen Beschluss gefasst, dass Menschen nicht eingeladen werden, die sich offen rassistisch oder menschenfeindlich äußern. Da ist sozusagen die klare Grenze. Leyendecker: Ich glaube zum Christsein gehört, dass man nicht ausgrenzt, dass man kein Rassist ist, dass man nicht hetzt - und da gibt es eine Menge Leute die sich entweder nicht davon distanzieren oder hetzen und Rassisten sind. Und wenn ich mir anschauen, wie die Diskussionen verlaufen, die man mit AfD-Vertretern führt, kann man eigentlich nur etwas darüber lernen, wie sie den Diskurs machen: sie machen aus der Sache nichts, sie lernen inhaltlich nichts. Die Kirchentagsbesucher wollen zuhören, wollen mitdiskutieren, aber sie wollen auch lernen. Ich sehe keinen in der AfD, von dem ich irgendwas lernen kann.
Sie haben jetzt inhaltlich schon grobe Linien gezogen, wie kommen Sie denn nun tatsächlich zum Programm? Es gab ja unter anderem mal einen Vorwurf, das laufe zu wenig basisdemokratisch ab.
Helmke: Wir haben beide gelernt, wie komplex der Prozess sich über die Jahre entwickelt hat und dass versucht wird, so viele wie möglich mitzunehmen auf diesem Weg. Dafür gibt es ein gespurtes Verfahren: Die Präsidialversammlung, 'Parlament' des Kirchentages mit 130 Mitgliedern, bereitet in verschiedenen Arbeitsgruppen die Themen vor, dazu kommen Ideen aus der gastgebenden Landeskirche und aus den Auswertungen der bisherigen Projektleitungen. Diese Vorschläge werden dann alle nochmals in die Hand genommen und gewogen und zum Schluss sieht man, welches Themenspektrum aktuell und dran ist, um hoffentlich "Zeitansage" zu sein. Das spannt sich in den Bereichen Gesellschaft, Politik, Zivilgesellschaft, im Bereich Theologie, Spiritualität und auch Kultur und Gemeinschaftsangebote. Daneben gibt es feststehende Fixpunkte im Programm wie den Abend der Begegnung, Eröffnungsgottesdienste und Feierabendmahle, die 1979 in Nürnberg zum ersten Mal gefeiert worden sind. epd: Die Kirche hat mit alle möglichen Dingen zu kämpfen, wie Austritte oder abnehmende Glaubwürdigkeit.
Gibt es über den Kirchentag auch die Möglichkeit, etwas im kirchlichen Milieu zu ändern?
Leyendecker: Unser Kirchentag ist eine Laienbewegung und wir beide bestehen sehr darauf, dass es eine Laienbewegung bleibt. Das wird ja auch von den Leuten ein bisschen als Event gesehen, bei dem das Gemeinschaftserlebnis ganz wichtig ist. Das steckt ja hinter dieser Kirchentagsidee: wie könnte man Menschen gewinnen die eigentlich dran vorbeilaufen wollen, wie schaffen wir es, dass sie stehenbleiben, dass sie sagen, das ist ja gar nicht so uninteressant. Diese Erfahrung könnte dann auch in die gesamte Kirche und ihre Angebote ausstrahlen. Helmke: Der Impuls des Kirchentages seit seiner Gründung ist es, eine Bewegung von Christenmenschen zu sein, die in und für die Gesellschaft Verantwortung übernehmen wollen. Kirchentag ist eine einmalige Schnittstelle von Kirche und Gesellschaft. Die Kirche als Institution ist von ihrem Wesen her gerade keine Bewegung, sondern beruht auf Kontinuität, Ordnung, zuweilen auch Bürokratie. Da kann eine Gemeinschaft auf Zeit wie der Kirchentag vielleicht manche Verkrustungen aufbrechen, vor-läufige Kirche sein, auch Experimentierlabor - immer aber auch ein Fest des Glaubens. Mir geht es aber nicht um ein Gegeneinander ausspielen. Wir brauchen beides: eine lebendige Kirche und ermutigende Kirchentage.
Aus dem konservativen Spektrum kommt jedoch immer wieder der Vorwurf, der Kirchentag sei nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems - weil er zu links, zu säkular und zu politisch sei.
Leyendecker: Dieser Vorwurf, der Kirchentag sei zu links, sei zu grün, sei eine Blase, ist nicht berechtigt und war auch nie berechtigt. Denn der Kirchentag versteht sich ganz im Gegenteil als Plattform, die alle Strömungen aufgreift. So waren beispielsweise beim Stuttgarter Kirchentag die Pietisten mit ihrer Frömmigkeitsform prominent vertreten. Dazu gehört aber auch, dass jeder Kirchentagsbesucher neben seiner persönlichen Position auch andere Einschätzungen respektiert. Das Jahr 2015 sehe ich als großartiges Beispiel einer Willkommenskultur, muss aber gleichzeitig die Stimmen respektieren, die diese Entwicklung mit Sorge als Staatsversagen und als Gefährdung des Gemeinwohls sehen.
Zum Kirchentag gehört, dass auch andere Positionen Raum haben und wir uns gegenseitig zuhören. Helmke: Auch in der Vorbereitung des nächsten Kirchentags sind wir ganz selbstverständlich im Gespräch mit unterschiedlichsten Gruppierungen wie etwa im Bereich der Jugend auch mit dem CVJM und anderen. Die verbindende Grundlage muss aber immer sein, dass es eine Offenheit für andere oder abweichende theologische Überzeugungen gibt, die sich auch in andere Lebensformen übersetzt. Das ist Ausdruck der evangelischen Vielfalt und Gewissensfreiheit. Deshalb ist es auch nur gut, dass nach vielen internen Diskussionen zum Beispiel Regenbogen-Community inzwischen ganz selbstverständlich ihren festen Platz auf dem Kirchentag gefunden hat.
Welche Bedeutung hat der jeweilige Ort für den Kirchentag, wie im nächsten Jahr Dortmund?
Leyendecker: Als gebürtiger Dortmunder und leidenschaftlicher schwarz-gelber Borussen-Fan bin ich da vielleicht nicht so ganz objektiv. Ich bin allerdings überzeugt, dass Dortmund als Stadt des Umbruchs genau in eine Zeit der Verunsicherung passt. Denn Dortmund hat gezeigt, wie eine Stadt mit einem Strukturwandel zurechtkommt, wie anstelle von Stahl und Kohle Hightech, Dienstleistungen, kulturelle Angebote und Wissenschaft getreten sind. Dabei haben die Menschen nie einen gewissen Grundoptimismus und ihre Solidarität untereinander verloren. Deshalb ist dieser Ort ein guter Platz, um über gesellschaftlichen Wandel, um über Fragen zu diskutieren, wie wir mit Migration und Integration umgehen kommen können.
epd: Wird es in Dortmund neue oder spezielle Veranstaltungen und Formate geben?
Helmke: Kirchentag muss in Veränderung bleiben. Wir merken, dass partizipative Formate gut ankommen, weil die Besucherinnen und Besucher nicht nur einen prominenten Referenten weit entfernt auf der Bühne oder einer Leinwand sehen, sondern ihm oder ihr auf Augenhöhe begegnen können. In Dortmund soll es deshalb beispielsweise Kneipen-Gespräche geben, bei denen die Besucher in einen direkten Austausch kommen und Fragen stellen können. Außerdem wollen wir versuchen, die Möglichkeiten digitaler Kommunikation einzusetzen: So können sich die Besucher nicht nur über den Anwalt des Publikums, sondern auch mit ihren Smart-Phones in die Diskussion einbringen. Aber natürlich stellt sich auch die Frage, wie wir Partizipation mit vielen Menschen ermöglichen können, denn neue Formate wie beispielsweise Bar-Camps sind eher auf kleinere Gruppen ausgerichtet. Lassen Sie sich also überraschen.
Bei aller spezifischen Ausprägung ist auch Dortmund nur ein Glied in der Kirchentagskette. Wie mächtig steht bereits der Ökumenische Kirchentag 2021 am Horizont?
Helmke: Natürlich arbeiten wir bereits jetzt eng und vertrauensvoll mit dem Katholikentag zusammen. Ich sehe aber zurzeit nicht die Entwicklung, dass die konfessionellen Kirchentage in einem übergreifenden ökumenischen Kirchentag aufgehen. Wir brauchen weiterhin die jeweils spezifische Zeitansage auf die Gesellschaft, auf Politik und Kirche. Sehr positiv ist, dass es auf dem Weg zum Ökumenischen Kirchentag immer mehr ökumenische Kooperation gibt. Interessant bleibt der Gedanke eines "Europäischen Kirchentages".
Ist der nächste Ökumenische Kirchentag ohne gemeinsames Abendmahl überhaupt denkbar?
Leyendecker: Das gemeinsame Abendmahl ist längst überfällig und wird auch von der katholischen Basis vehement gewünscht, wie ich es selbst beim Katholikentag in Münster erlebt habe. Es war da schon ein etwas befremdlicher Anblick, dass bei der Eucharistie der evangelische Bundespräsident sitzen blieb und seine katholische Frau zur Eucharistie gegangen ist. Vor allem die katholischen Dogmatiker sagen, dass ein Ökumenischer Kirchentag ein rein willkürliches Datum für eine theologisch so schwerwiegende Frage sei. Deshalb kann ich nur davor warnen, den Erfolg oder Misserfolg des nächsten Ökumenischen Kirchentags allein an der Frage des Gemeinsamen Abendmahls festzumachen, zumal die Christen auf Gemeindeebene da in der Praxis schon viel weiter sind.
Dossier Kirchentag
Alles über den Deutschen Evangelischen Kirchentag in Dortmund in unserem Dossier www.sonntagsblatt.de/kirchentag.
Seit 1949 treffen sich evangelische Christen alle zwei Jahre beim Deutschen Evangelischen Kirchentag (DEKT). Rund 100.000 Menschen kommen dann in eine Großstadt - 2013 war es Hamburg, 2015 Stuttgart und zuletzt 2017 Berlin und Wittenberg. Zum Programm gehören Konzerte, aber auch Vorträge, Podiumsdiskussionen, Gottesdienste, Bibelandachten oder Ausstellungen. Die Menschen diskutieren über feministische Theologie, Friedens-, Entwicklungs- und Umweltpolitik und feiern in Messehallen, Kirchen oder auf der Straße.