Kirchtürme sind meist von Weitem sichtbar und mit ihrem Glockengeläut gut zu hören. Sie zeigen den Menschen, wo sie sich zu Gebet und Gottesdienst treffen können. Ein ungewöhnliches Konzept aus Karlsruhe stellt nun die Türme auf den Kopf: Die Glocken hängen nicht oben, sondern im unteren Bereich. Was merkwürdig erscheint, hat einen praktischen Grund. In Zeiten knapper Kassen können auf diese Art baufällige oder fehlende Glockentürme vergleichsweise preiswert ersetzt werden.

Idee für Glockentürme auf dem Kopf

Die Idee dazu hatte der Leiter des Orgel- und Glockenprüfungsamts der Evangelischen Landeskirche in Baden, Martin Kares aus Karlsruhe. Auch wenn heute manche Kirchenbauten aufgegeben würden, gebe es dennoch viele erhaltenswerte Kirchen, deren Glockentürme saniert werden müssten, vor allem aus der Nachkriegszeit.Hier seien "auf den Kopf gestellte" Glockentürme eine "innovative Lösung", erklärt Kares im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Anders als im klassischen Turm, wo die Glocken weit oben hängen, werden sie in diesem Modell so tief wie möglich platziert. Dadurch sind die statischen und dynamischen Kräfte von mehreren Tonnen auf das Bauwerk wesentlich geringer.

Der eigentliche Turm diene dann lediglich als Schallröhre mit Reflektor und könne filigran und leicht ausgeführt werden, erläutert der Experte. Ob Beton, Stahl, Glas oder Holz, das Material spiele dabei keine Rolle. So können Kosten gespart werden. Die Schallaustrittsöffnungen sollten aber höher liegen als die umliegenden Gebäude.Und noch einen weiteren Vorteil sieht Kares: Während Glocken normalerweise in luftiger Höhe nicht öffentlich zugänglich seien, könnten sie so mit ihren Inschriften und Verzierungen "in Szene gesetzt" und betrachtet werden.

Erster Kopfüber-Glockenturm in Sinzheim

Viel Mut bewies 2015 die evangelische Matthäusgemeinde im badischen Sinzheim bei Baden-Baden. Dort wurde der erste Kopfüber-Glockenturm errichtet. Weder in Deutschland noch Europa habe es bislang Ähnliches gegeben, sagt Kares. Ein Patent habe er aber nicht beantragt. Denn möglichst viele Gemeinden sollten von der kostengünstigen Idee profitieren und Glocken weiterhin ein "flächendeckendes Kommunikationsmittel der Kirche" bleiben.

In Sinzheim funktioniere das Konzept: Wenn man direkt neben dem Turm stehe, seien die Glocken prägnant zu hören, aber nicht unangenehm laut. Schon auf der gegenüberliegenden Straßenseite werde der Schall als "von oben" wahrgenommen, sagt der Experte. In dem Turm aus rostbraunem Stahl und viel Glas sind drei Bronzeglocken gut zu erkennen. "Christus spricht: Ich bin bei euch alle Tage" lautet die Inschrift auf der untersten und größten Glocke. Jeden Tag pünktlich um 12 Uhr erklingt zum Mittagsgebet die mittlere Glocke.

Zum sonntäglichen Gottesdienst läuten dann alle drei Glocken, erklärt Helmut Huber. Der Kirchenälteste ist Herr über die Glocken in Sinzheim und aktiviert mit einer Fernbedienung die kleinste Glocke, während das Vaterunser gebetet wird oder während der Segnung bei Taufen und Trauungen. Doch sind nicht alle Sinzheimer begeistert. Das liege jedoch nicht am Klang, sondern lediglich am rostbraunem Design, sagt Huber: "Ich bring’ mal einen Eimer Farbe vorbei", habe etwa ein Gottesdienstbesucher gespottet.

Zwei weitere Upside-Down-Türme

Zwei weitere Upside-Down-Türme wurden bereits im badischen Malsch im Rhein-Neckar-Kreis und in Odenheim im Kreis Karlsruhe realisiert. Ein weiterer entsteht auf dem Friedhof in Heidelberg-Rohrbach neben der Kapelle. Dabei kooperieren die Stadt Heidelberg und die evangelische Melanchthongemeinde. Die Friedensglocke, die in einem mittlerweile verkauften Gemeindezentrum hing, soll dort eine neue Heimat bekommen.

Auch außerhalb der badischen Landeskirche ist das Interesse groß, etwa in der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannovers. Für deren Glockensachverständigen Andreas Philipp "liegen die Vorzüge auf der Hand": So sei der Bau eines solchen Turms technisch viel leichter umzusetzen, weil die Schwingungsproblematik hoch aufgehängter Glocken fehle.

Das macht sich auch die evangelisch-lutherische Epiphaniasgemeinde Gamsen-Kästorf im niedersächsischen Gifhorn zunutze. Bislang hatte ihre 1991 gebaute Kirche weder einen Glockenturm noch ein Geläut. Aber nicht nur die Kosten, auch der Klang des Sinzheimer Glockenturms habe die Gemeinde bei einem Besuch im Badischen überzeugt, sagt Pastorin Angelika Meyerdierks. Die Planung sei abgeschlossen. Jetzt würden nur noch Baufirmen gesucht, die den Turm errichteten

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