Der Name ist Programm – ab Punkt 12 Uhr gibt’s bei der "MahlZeit" ein warmes Essen und Getränke, danach noch Kaffee und Kuchen, am frühen Nachmittag ist Schluss. Einmal im Jahr, von Sonntag bis Sonntag, ohne großes Rahmenprogramm. Eben alles eine Nummer kleiner. Aber vielleicht auch ein bisschen persönlicher.
Januar/Februar ist in Nürnberg Vesperkirchenzeit. Während in der Gustav-Adolf-Gedächtniskirche in der Südstadt gleich sechs Wochen lang Menschen zusammenkommen, um zwischen zwei Gerichten plus Vorspeise und Dessert wählen zu können und sich manchmal eine halbe Stunde lang anstellen zu müssen, ist das Konzept in der Trabantenstadt-Kirche im Südosten ein anderes.
"Bei uns gibt es nur ein einzelnes Gericht, wahlweise mit oder ohne Fleisch. Und es hängt auch kein Speiseplan aus, gegessen wird, was auf den Tisch kommt", sagt Hanne Lucijanic.
Viel Selbstgemachtes
Vorher gibt man seinen Mantel an der Garderobe ab und erhält einen Chip an der Kasse, wo 1 Euro zu entrichten ist. Der reicht dann für einmal Essen, gerne auch noch einen Nachschlag an der Extrastation. Den Chip gibt man dann beim Kaffee-und-Kuchen-Stand ab, wo täglich leckere Backkreationen von Freunden und Gönnern abgegeben werden. Vieles selbst gemacht, manches auch von Profis gespendet, die etwas übrig haben.
Bäcker und Metzger gebe es, meint Lucijanic, die hin und wieder mit noch frischer Ware überraschen, ebenso Einzelhändler, die zwar noch einwandfreies, aber vielleicht schon nicht mehr so leicht verkäufliches Gemüse oder andere Zutaten abgeben. "Mit einem Euro kommen wir nicht nur kostendeckend hin, wir haben sogar am Ende noch ein bisschen was übrig", ergänzt Pfarrerin Griet Petersen, die zusammen mit ihrem Kollegen und Gatten Daniel Szemerédy das Projekt mit ins Leben gerufen hat.
42 Jahre lang hat Hanne Lucijanic als gelernte Hauswirtschafterin täglich Essen für Schüler und Erwachsene in verschiedenen Einrichtungen gekocht und vorher eingekauft, kalkuliert, portioniert. Das macht sie jetzt in ihrer Freizeit wieder – zumindest eine Woche lang.
"Wir wissen, was wir tun", lacht die Rentnerin und zeigt auf Bärbel Werner und Gesche Lipécz, die ebenfalls vom Fach sind und seit 10 Jahren mit einem Team aus gleichgesinnten Ehrenamtlichen rund 140 Essen pro Tag in der 1976 eingeweihten Dietrich-Bonhoeffer-Kirche kredenzen. Das ist vielleicht nur ein Viertel dessen, was in der "bekannteren" Nürnberger Vesperkirche täglich verzehrt wird.

Dafür braucht’s in Langwasser aber auch keinen professionellen Catering-Service, hier kommt alles von den Bürgern für die Bürger. Die kommen mittlerweile übrigens nicht nur aus dem Stadtteil, der mit rund 30 000 Einwohnern schon eine veritable Kleinstadtgröße hat. Und schon gar nicht nur aus der Dietrich-Bonhoeffer-Gemeinde, die eine von vier evangelischen der Pfarrei Langwasser ist.
Es reisen auch hie und da Nürnberger aus anderen Himmelsrichtungen an, weil sie die Atmosphäre und das Angebot hier schätzen. Konfessionsübergreifend und ohne Unterscheidung bei Alter, Geschlecht und sozialer Stellung.
Das ist in der Südstadt freilich genauso. Und dort gibt’s neben dem Essen noch ein reichhaltiges kulturelles Rahmenprogramm, Beratungsstellen aller Couleur, Zerstreuung bei optionalen Sportangeboten oder einen Friseur. Einen geistlichen Impuls, wie er während der "MahlZeit" täglich um Punkt 13 Uhr für 90 Sekunden stattfindet, den gibt’s in der großen Vesperkirche aber nicht.
Und für den legen die Gäste auch mal Gabel und Löffel hin und hören zu. "Unser Altar steht während der Woche selbstverständlich in der Mitte, es werden auch die Kerzen angezündet", erklärt Pfarrer Daniel Szemerédy.
Bevor es losgeht, versammelt sich das Team, täglich etwa 20 von insgesamt etwa 50 Ehrenamtlichen, um den großen Tisch, betet gemeinsam und bereitet sich auf die anstrengenden nächsten Stunden vor. "Dienstlich" ist das Pfarrer-Ehepaar zwar schon hier, aber nicht in seinem Sinne "praktizierend". "Unsere Brüder und Schwestern der Nachbargemeinden, evangelisch und katholisch, übernehmen abwechselnd die geistlichen Parts", freuen sie sich.
Meister der Spülmaschine
Die Damen aus der Küche sind natürlich schon am Vormittag hier gewesen zur Essenvorbereitung. Jetzt schlägt die Stunde für Männer wie Bernhard Riehm, von Anfang an im Team als "Meister der Spülmaschine" mit dabei und dieses Jahr leider gesundheitlich angeschlagen und daher verhindert. "Ich hab immer geträumt, vom Tellerwäscher zum Millionär zu werden, irgendwann muss man ja mal anfangen", lacht er. Dass Riehm auch noch täglich Kuchen für die "MahlZeit" backt, das verraten seine Kollegen im Service.
An den Tischen wird derweil gegessen, getrunken und dann natürlich – gequatscht. Männergrüppchen diskutieren die Fußballspiele der vergangenen Tage, junge Mütter wiegen beim Plaudern ihre Babys, ein paar Omas sitzen in extra für heute herausgeputztem Gewand zusammen und schwelgen in Erinnerungen. Pfarrerin Petersen hat eine ihrer Schulklassen mit zum Essen gebracht, die noch ein Lied für die Gesellschaft singen.
Wenn nach acht Tagen die "MahlZeit" wieder vorbei ist, dann machen alle Beteiligten die berühmten "drei Kreuze" und schnaufen tief durch. "Acht Tage schaffen wir, mehr muss es auch nicht sein", meint Szemerédy. Und trotzdem: Bald freuen sich alle schon wieder auf das nächste Jahr – spätestens nach dem Helferessen, das freilich mit dazugehört.
Vesperkirchen
Mehrere evangelische Kirchengemeinden in Bayern bieten in diesen Winterwochen Vesperkirchen an. Begonnen hat St. Johannis in Schweinfurt am 26. Januar. Seit diesem Sonntag sind die Nürnberger Vesperkirchen in der Gustav-Adolf-Gedächtniskirche (bis 9. März) und die "MahlZeit" (bis 9. Februar) in Langwasser geöffnet. In St. Paul in Augsburg beginnt an diesem Sonntag (9. Februar) die bisher einzige ökumenische Vesperkirche. Den Abschluss macht vom 16. bis 30. März die Memminger Vesperkirche in der dortigen Christuskirche.
Seit 1995 die erste Vesperkirche in Stuttgart stattfand, sind deutschlandweit über 70 solcher traditionell evangelischer Projekte entstanden. Menschen kommen im Kirchenraum zusammen, um für einen symbolischen Preis gemeinsam zu essen und Gemeinschaft zu erleben. An einigen Vesperkirchenorten bieten die Diakonie und verschiedene Organisationen Hilfen oder Beratungen an: Dazu gehören kostenloses Haareschneiden und Blutdruckmessungen oder Sozialberatungen genauso wie ein tägliches Seelsorgeangebot.
2015 startete die Vesperkirche Schweinfurt als erste ihrer Art in Bayern als Pilotprojekt mit Unterstützung der Diakonie und der Landeskirche. Die größte bayerische Vesperkirche findet in der Gustav-Adolf-Gedächtniskirche in Nürnberg statt, in der etwa 500 Essen täglich ausgegeben werden. In der vergangenen Saison wurden dort insgesamt rund 15.000 Mittagessen verspeist, 8.400 Liter Kaffee, Tee und Milch getrunken und 9.000 Stück Kuchen gegessen.
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