"Pfarrer*innen müssen sich auf Seelsorge, Kasualien und  Gottesdienste konzentrieren können."

Wie steht der vkm-Bayern zur Entscheidung der Landessynode, einen Teil der Planstellen künftig auch für nicht-kirchliche Berufsgruppen zu öffnen? Ein richtiges Signal oder der falsche Weg?

Klaus Klemm: Das ist in unseren Augen richtig und wichtig. Bereits im Jahr 2030 werden voraussichtlich 30 Prozent weniger Pfarrer*innen im aktiven Dienst zur Verfügung stehen.  Schon jetzt gibt es etliche Pfarrstellen, die nicht besetzt werden können. Darauf muss reagiert werden. Wenn wir als evangelische Kirche unseren Auftrag gerecht werden wollen, ist es notwendig, mit multiprofessionellen Teams zu arbeiten. Pfarrer*innen müssen sich auf Seelsorge, Kasualien und  Gottesdienste konzentrieren können. Projekte wie kirchengemeindliche Geschäftsführung, besetzt mit Verwaltungsfachleuten, weisen da in meinen Augen in die richtige Richtung.

Wie beurteilen Sie die Situation der kirchlich Beschäftigten allgemein, etwa im Hinblick auf die getroffenen Tarifvereinbarungen?

Gerda Keilwerth: Es gibt zwei unterschiedliche Tarifwerke innerhalb der Evangelischen Kirche in Bayern: Für den Bereich der Diakonie die Arbeitsvertragsrichtlinien Bayern und für den Bereich der Kirche die Dienstvertragsordnung in Verbindung mit dem Tarifvertrag der Länder.

Die Arbeits- und Entlohnungsbedingungen für Beschäftigte in der Diakonie bewegen sich seit vielen Jahren auf einem hohen Niveau und brauchen den Vergleich mit anderen wohlfahrtsverbandlichen Tarifwerken nicht zu scheuen. Dies zeigen die regelmäßigen Tarifvergleiche der Zeitschrift Wohlfahrt intern. Nichtsdestotrotz steht auch die Diakonie vor großen Herausforderungen: Der Fachkräftemangel ist in allen Bereichen der Diakonie – von der Altenpflege bis hin zu den Kindertagesstätten – spürbar und kann nur durch wirklich gute Tarifbedingungen für die Beschäftigten abgemildert werden. Der Verband kirchlicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als Gewerkschaft in Kirche und Diakonie steht nachhaltig für solche Arbeits- und Entlohnungsbedingungen.

Klaus Klemm: Im Bereich der verfassten Kirche ist unsere Leitwährung der Tarifvertrag der Länder (TvL). Da brauchen wir keinen Vergleich zu scheuen. Im Gegenteil, wir haben diverse Besserstellungen: Keine Eigenbeteiligung bei der Zusatzversorgung, Regenerationstage im Kindertagesstättenbereich und Zulagen für Fach- und Ergänzungskräfte, die es so nur im Bereich des TVöD gibt – um nur einige Beispiele zu nennen.

Was ist der vkm-Bayern?

Der Verband kirchlicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Bayern (vkm) versteht sich als Arbeitnehmervereinigung mit gewerkschaftlichen Aufgaben. Er gehört dem Dachbverband Vereinigung der Mitarbeitendenverbände Deutschland (VKM-D) an.

Seine Mitglieder sind in der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern und dem Diakonischen Werk tätig, die vom vkm-Bayern beraten und unterstützt werden. Sie sind aktiv in den arbeitsrechtlichen Kommissionen der Kirchen, die teilweise auch für den Bereich der Diakonie das Arbeitsrecht setzen.

"Für uns als kirchliche Gewerkschaft steht es außer Frage, dass das Streikrecht ein Grundrecht ist."

Wie sehen Sie, als kirchliche Gewerkschaft, die Diskussionen um das Streikrecht? Arbeitgeberpräsident Dulger fordert angesichts der aktuellen Arbeitskämpfe, das Streikrecht einzuschränken.

Klaus Klemm: Für uns als kirchliche Gewerkschaft steht es außer Frage, dass das Streikrecht ein Grundrecht ist. Es gibt allerdings auch andere, gleichgewichtige Grundrechte. Im Einzelfall muss zwischen diesen abgewogen werden. Das Bundesverfassungsgericht hat in unseren Augen mit einigen Urteilen Leitplanken aufgezeigt. Alles mit Maß und Ziel. Schlichtung ist für uns ein geeignetes Mittel, gute Kompromisse zu finden. Das hat sich auch am vergangenen Wochenende wieder gezeigt. Im Bereich unserer Kirche haben wir im Modell des kirchlichen Dritten Weges eine verbindliche Schlichtung, wenn es trotz intensiver Bemühungen auch nach dem zweiten Anlauf keine Beschlussfassung gibt. Es zeigt sich, dass wir innerhalb unserer evangelischen Dienstgemeinschaft auch ohne Streikrecht gute Kompromisse finden.    

Wie gut gerüstet sind die kirchlich Beschäftigten für die weiterhin hohe Inflation?

Gerda Keilwerth: Bereits zum 1. Januar 2023 trat für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der  Diakonie eine Entgelterhöhung von bis zu 8 Prozent in Kraft. Diese hat geholfen, die beginnende Inflation besser verkraften zu können. Angesichts der nun länger anhaltenden Phase von steigenden Verbraucherpreisen sind weitere Verbesserungen im Entlohnungsgefüge der Diakonie notwendig. Der Abschluss im öffentlichen Dienst des Bundes und der Kommunen ist auch für die Diakonie wegweisend.

Klaus Klemm: Die Laufzeit der letzten Entgelterhöhungsrunde für die kirchlich Beschäftigten endet zum 30. September. Als wir uns nach Beratungen im November und Dezember 2021 am 11. Januar 2022 auf eine Coronaprämie über 1.300 € sowie eine Tariferhöhung ab 01.01.2023 um 2,8 Prozent einigten, lag die Inflationsrate 2021: +3,1 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Sie erinnern sich sicher auch noch an die damals von den Experten geäußerten Einschätzungen, dass es vielleicht 2022 zu einer höheren Inflationsrate kommen könnte, aber bereits 2023 wieder alles im Normalbereich liegen werden.

Genau, das war Konsens.

Klaus Klemm: Die Realität war eine andere. So begrüßen wir außerordentlich den Tarifabschluss im öffentlichen Dienst der Kommunen und des Bundes. Es gibt sicherlich dringenden Nachholbedarf. 3.000 Euro Inflationsausgleichzahlung sowie eine Entgelterhöhung um 200 Euro und anschließend 5,5 Prozent, mind. insgesamt 350 Euro können wir uns gut als Abschluss im Herbst dieses Jahres für den kirchlichen Bereich vorstellen. Wie das jedoch finanziert werden soll, ist eine offene Frage und für die Evangelische Kirche in Bayern sicher herausfordernd.

"In welchem anderen Tarifbereich herrscht im Grunde hundertprozentige Tarifbindung? Auch im Bereich betriebliche Mitbestimmung liegen wir weit vorn."

Was ist Ihre Haltung zum kirchlichen Arbeitsrecht? Die Ampel will es abschaffen – was meinen Sie?

Klaus Klemm: Im Koalitionsvertrag steht das Ziel, im Dialog das kirchliche Arbeitsrecht an das staatliche anzugleichen. Wir hatten als vkm-Bayern in den letzten Monaten viele Gespräche mit Landtags- und Bundestagsabgeordneten und haben über unsere tariflichen Bestimmungen und das Mitarbeitervertretungsgesetzt informiert. Das war wichtig. In welchem anderen Tarifbereich herrscht im Grunde hundertprozentige Tarifbindung? Auch im Bereich betriebliche Mitbestimmung liegen wir weit vorn. Nach einer Erhebung von 2018 haben lediglich 9 Prozent der Betriebe mit mehr als fünf Beschäftigten einen Betriebsrat und es wurden 41 Prozent der Beschäftigten in der Privatwirtschaft von einem Betriebsrat vertreten. Sicher gibt es im Detail noch Verbesserungsbedarf im Bereich des Mitarbeitervertretungsgesetzes, insbesondere bei der Unternehmensmitbestimmung in großen diakonischen Einrichtungen. Dies wird sich hoffentlich mit der nächsten Novelle in naher Zukunft ändern.

Gerda Keilwerth: Ohne Tarifbindung – also beim Wegfall des Dritten Weges – wäre die tarifliche Zukunft vieler Arbeitnehmer*innen gefährdet. Denn aus Sicht des vkm-Bayern ist es keinesfalls gesichert, dass eine Tarifbindung über das Tarifvertragsgesetz kurz- und mittelfristig diese Lücke füllt. Aus unserer Sicht käme es dann zu einer Zersplitterung der Tariflandschaft vor allem im diakonischen Arbeitsbereich, die sehr viele Arbeitsverhältnisse betreffen würde.

Was ist für den vkm-Bayern aktuell das wichtigste Thema?

Klaus Klemm: Für den Verband kirchlicher Mitarbeiter*innen in Bayern sind dies gute Arbeits- und Entlohnungsbedingungen in Zeiten von hoher Inflation, zurückgehender Kirchensteuereinnahmen und sich weiter verschärfendem Fachkräftemangel.

Kommentare

Diskutiere jetzt mit und verfasse einen Kommentar.

Teile Deine Meinung mit anderen Mitgliedern aus der Sonntagsblatt-Community.

Anmelden