"Alle singfähigen Kinder bis zum Stimmbruch machen mit", sagt Markus Zwink, musikalischer Leiter der Passionsspiele. Zentral organisiert wird dabei nichts. Die Geschwisterpaare oder Zweierteams ziehen normalerweise in der Dämmerung los, um den Oberammergauern ihre "Klöpfellieder" zu singen.

Doch die jüngsten Verschärfungen der Corona-Maßnahmen werden dem Brauch in diesem Winter wohl einen Strich durch die Rechnung machen. Dabei ist das "Anklopfen" laut Zwinks Frau Gabi, Chorleiterin an der örtlichen Musikschule, in "ununterbrochener Tradition" erhalten geblieben.

Der Brauch reicht im Werdenfelser Land rund um Garmisch-Partenkirchen weit ins 17. Jahrhundert zurück. Seinen Ursprung habe er im damaligen Geisterglauben, schreiben Adolf und Hildegard Rehm in ihrem Buch "Lebendiges Brauchtum in Werdenfels": In der Mittwinterzeit "schien die Natur den unheimlichen Mächten verfallen zu sein".

Brauchtum: Mit Lärmumzügen und schaurigen Masken Unholde bekämpfen

Die Idee, mit Lärmumzügen und schaurigen Masken Unholde zu bekämpfen, hat sich in vielen Bräuchen ausgeprägt: in den Rübengeistern zu Allerheiligen oder den Perchtenläufen der Raunächte - oder eben beim "Anklöpfeln" an den Adventsdonnerstagen.

Die zunächst als Opfergaben gedachten Lebensmittel behielten die Sänger bald für sich - weshalb die Nächte vorwiegend von Kindern, Hirten und Tagelöhnern als Aufbesserung des kargen Einkommens genutzt wurden. Schon im 16. Jahrhundert wurde der heidnische Brauch von der Kirche christlich umgedeutet, als Vorbereitung der Ankunft Jesu an Heiligabend.

Als "Klöpfelnächte" oder "Klöcklsingen" ist der Brauch heute noch an manchen Orten in Oberbayern, Tirol und der Schweiz verbreitet - und im Tiroler Unterland sogar ins Verzeichnis des "Immateriellen Kulturerbes Österreichs" eingetragen.

 

Ihren Namen verdanken die Klöpfelnächte einem Gerät und dessen Geräusch: Mit einem Hammer oder "Klöpfel" schlugen die Sängerinnen und Sänger an die hölzernen Türen oder Fensterläden der Häuser, um sich Gehör und Einlass zu verschaffen. Gesungen wurden Advents- und Krippenlieder oder regional unterschiedliche Klöpfellieder mit der Bitte um den Segen für die besuchte Familie.

In Mittenwald erklangen dabei oft die Verse: "Wir ziehen daher so spat in der Nacht, denn heit is de heilige Klöpfelenacht". Als Gaben erhielten die Sänger, so berichten die Autoren Rehm, meist Dörrobst oder Nüsse. Besonders beliebt seien die Höfe der größeren Bauern gewesen: "Weil man hier einen Kreuzer, oft auch einen Groschen oder Brot bekam."

Auch im Zugspitzdorf Grainau ist die Tradition nicht in Vergessenheit geraten. "Es ist ein alter Bettelbrauch", erzählt Klaus Munz, Vorstandmitglied des Grainauer Volkstrachtenvereins. Er kennt ihn seit seiner Kindheit. "1965, als ich ein kleiner Bub war, kam als es dunkel wurde immer ein Geschwisterpaar zu uns." Nach dem Singen freuten sich die Kinder über Äpfel, Nüsse und Schokolade.

"Wichtig ist es, den Brauch aufrechtzuerhalten", sagt Munz.

Deshalb sei in Grainau das Klöpflesnachtsingen immer wieder gepflegt worden. Wie tief das Brauchtum verwurzelt ist, demonstriert der Werdenfelser selbst: Aus dem Stegreif sing er den traditionellen Spruch der Grainauer "Anklöpfler": "Insa Herr und Dama, rafflt üba d?Kamma, rafflt üba?s Stiagla ro', bricht sie d'Händ und Füaßlan o'! Jetz isch gor, jetz isch gor, schenkt's ins oua Klöpfleswar."

Und auch in der Chronik der Gemeinde Kohlgrub finden sich Hinweise auf den Brauch: "Bis um die Jahrhundertwende zogen Kinder, Arme und Dienstboten an den Donnerstagen vor Weihnachten bei einbrechender Nacht im Dorfe herum und riefen: Holla ho! Knöpflnachta san do!" Nüsse, Dörrbirnen, Schmalzgebäck und Brotwecken belohnten die Sänger.

Hoffen auf Weihnachten 2021

In Oberammergau klingen die Klöpfellieder vermutlich besonders schön, denn Musikalität und Stimmbildung sind schon für die Kinder, die alle mal auf der Passionsspielbühne stehen wollen, Pflicht.

Auf reichen Lohn für ihren Gesang hoffen auch sie, wenn sie dann im Winter 2021 wieder am Donnerstag vor Heiligabend von Haus zu Haus gehen, anklopfen, singen und mit dem traditionellen Spruch "Bittschön um an Oklopfer" um die Gaben bitten.

Süßigkeiten wie an Halloween kommen dabei nicht in die Tüte. "Das ist ein ganz alter Brauch", sagt Singleiter Markus Zwink, "deshalb gibt es Plätzchen, Mandarinen und Schokolade." Und vielleicht ein bisschen Kleingeld für die Sparbüchse.