Friedrich Spee war Jesuit in Mainz und hatte fast das Theologiestudium beendet, als er sein Lied "O Heiland, reiß die Himmel auf" zum ersten Mal drucken ließ. Das war 1622. Damals ließ der Mainzer Erzbischof und Kurfürst Johann Schweikard von Kronberg mehrere Hundert Frauen hinrichten, die er als Hexen verunglimpfte.

Friedrich Spee stritt als einer der Ersten gegen Folter und für rechtsstaatliche Prinzipien, er gab den unschuldig Leidenden eine Stimme, machte aus ihrem himmelschreienden Elend einen Schrei zum Himmel: "O Heiland, reiß die Himmel auf, herab, herab vom Himmel lauf, reiß ab vom Himmel Tor und Tür, reiß ab, wo Schloss und Riegel für." In der vierten Strophe klingen vorsichtig Trost und Vertrauen an: "Wo bleibst du, Trost der ganzen Welt, darauf sie all ihr Hoffnung stellt? O komm, ach komm vom höchsten Saal, komm, tröst uns hier im Jammertal."

Friedrich Spree kämpft gegen Folter

Es ist ein beunruhigender, herber, bedrängender Text. Ein verzweifeltes Weinen im Dunkel. Ein stürmisches Rufen nach Gott, der den Himmel aufreißen, die Riegel abreißen, zu seiner verwüsteten Schöpfung herablaufen und die verlorenen Menschen retten soll.

Und das nicht irgendwann, bei der endgültigen Abrechnung am Jüngsten Tag, sondern jetzt, auf der Stelle, ganz schnell. Die harten Bilder von Finsternis und Verzweiflung hat Spee beim Propheten Jesaja entlehnt. Es überrascht nicht, dass die evangelische Jugend- und Singbewegung das eine Zeit lang vergessene Lied ausgerechnet während des Ersten Weltkriegs wiederentdeckt hat.

Für die Rettung stehen die Metaphern von Tau und Regen, von Blume und Wurzel. Nach antiker Mythologie befruchtet der Himmel die Erde. Weiches Wasser bricht den Stein. Gegengewalt und aggressive Macht können nicht erlösen, nur zerstören.

Das Leben wächst klein, unscheinbar, sanft, aber unaufhaltsam, zäh und kraftvoll aus der Erde empor. Das hilflose Kind rettet. Mitten in der seelischen Trümmerlandschaft von Einsamkeit und Verzweiflung brechen sich neue Kräfte Bahn, die am Ende stärker sein werden als die Kräfte des Todes.

Druckfassung des Lieds: O Heiland reiß die Himmel auf aus dem 17. Jahrhundert.
"Säufftzen der Altvätter in der Vorhöll": Druckfassung des Adventslieds aus Erfurt aus dem 17. Jahrhundert.

"O Erd, schlag aus, schlag aus, o Erd, dass Berg und Tal grün alles werd. O Erd, herfür dies Blümlein bring, o Heiland, aus der Erden spring."

Erstmals veröffentlicht wurde das Lied in der 1622 in Würzburg gedruckten katechetischen Liedersammlung "Das Allerschönste Kind in der Welt". Bald taucht es auch in Kölner, Mainzer, Paderborner und Augsburger Liederbüchern auf. Die Jesuiten verwenden es zunächst in Katechismusschulen. "Wer Christus sey / lern junger Christ", heißt es in einer Vorrede zur Erstveröffentlichung. "Zur Seligkeit es noethig ist / Wer Christus sey / hie fleissig such / Kurtz alles steht in diesem Buch."

Interessanterweise ist das 1666 in Augsburg von einem katholisch gewordenen Landgrafen herausgegebene "Rheinfelsische Gesangbuch", in dem das Lied zum ersten Mal mit der bis heute bekannten Melodie auftaucht, bereits ökumenisch geprägt. Es enthält 76 Lieder aus der evangelischen und 82 aus der katholischen Tradition.

Starke Bilder aus der prophetischen Tradition

Die Ausgangssituation des Lieds ist zeitlos. Es beginnt mit der Gottferne, in der sich die ganze Welt befindet. Gläubige und weniger gläubige Menschen genauso spüren auch heute, dass die Welt nicht heil ist. Gott schweigt oft. Alles scheint gegen seine Präsenz zu sprechen.

 

 

Spee schildert diese triste, aber von einer leidenschaftlichen Hoffnung durchbrochene Situation in farbigen, starken Bildern aus der prophetischen Tradition. "Taut, ihr Himmel, von oben, ihr Wolken, lasst Gerechtigkeit regnen!", steht im Prophetenbuch Jesaja. "Die Erde tue sich auf und bringe das Heil hervor." Nach den lateinischen Anfangsworten dieser Verse heißt das oft im Kerzenlicht und am frühen Morgen gefeierte Engelamt der Adventszeit "Rorate", übersetzt "Taut!". Spee orientiert sich außerdem an der katholischen Adventsliturgie seiner Epoche, etwa an den sieben "O-Antiphonen", denen die vielen Imperative des Gesangs entsprechen: "O klare Sonn, du schöner Stern, dich wollten wir anschauen gern; o Sonn, geh auf, ohn deinen Schein in Finsternis wir alle sein."

"Die Herrlichkeit des Herrn geht strahlend auf über dir", weiß der Prophet Jesaja, der wie Friedrich Spee Himmel und Erde, Licht und Dunkel, Elend und Vaterland in schmerzhaften Kontrast zu bringen pflegt und die Erlösung aus der Erde sprießen lässt. "Doch aus dem Baumstumpf Isais", die "Wurzel Jesse" sagte man früher dazu, "wächst ein Reis hervor, ein junger Trieb aus seinen Wurzeln bringt Frucht."

Nach Spees Tod: Lied um 7. Strophe ergänzt

Isai alias Jesse ist der Vater des späteren Königs David, also der Stammvater des biblischen Königshauses von Israel. Gott selbst wird sein verzweifeltes, verbittertes Volk "vom Elend zu dem Vaterland" führen, aus dem "ewigen Tod" in ein Leben, das bleibt.

Diese behutsamen Andeutungen im Lied hat man gar nicht lange nach Spees Tod auf drastische Weise ergänzt. 1666 erscheint in Erfurt die "Geistlich Nachtigal" mit Spees Lied und einer hinzugedichteten siebten Strophe. Diese formuliert die christliche Hoffnung sieghaft, was nicht so recht zum ursprünglichen Gedankengang passt: "Da wollen wir all danken dir unserm Erlöser für und für; da wollen wir all loben dich ja allzeit immer und ewiglich."

"Seufftzen der Alt Vätter in der Vorhöll" haben die Erfurter das Lied genannt und den Schrei nach Befreiung in graue Vorzeit verlagert. In der Aufklärungsepoche geht die Botschaft dann zeitweise völlig verloren. Ein Würzburger Kirchengesangbuch 1828: "O Heiland! thu’ den Himmel auf! rief einst die Welt: Nimm deinen Lauf zu uns, hör’ unser Klaggeschrei! Mach uns vom Suenden-Joche frei. Und du erfuelltest, Herr, dein Wort: Du sel’ges Bethlem warst der Ort: In dir stieg endlich der herab, der Gottes Gnad’ uns wiedergab."

Ruf nach Erlösung und Zukunft

Private Sündenschuld statt der Gottferne. Und nicht mehr die in der Kirche versammelten Gottesdienstbesucher rufen nach Erlösung und Zukunft. Die haben sie ja längst. Die in der Vorhölle darbenden Patriarchen des Alten Bunds verlangen danach.

Dabei hätte Friedrich Spees unsterbliches Adventslied das Zeug, die für das Christenleben charakteristische Spannung zwischen dem "Schon" und dem "Noch nicht" exemplarisch abzubilden. Die Wiederkehr des Herrn und die endgültige Erlösung der Welt stehen noch aus. Gottesferne erleben Menschen auch heute, aber auch Trost und eine zähe Gewissheit. Denn die Rettung hat schon begonnen, in der Menschwerdung Gottes, und ihre Spuren in der Welt lassen sich nicht auslöschen.

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