Die Geschichte von E.T.A. Hoffmanns "Der Sandmann" ist eine düstere, psychologisch komplexe Erzählung, die ursprünglich 1816 veröffentlicht wurde und als eines der zentralen Werke der deutschen Romantik gilt. Die Geschichte wird in Form von Briefen erzählt, die der junge Student Nathanael an seine Verlobte Clara und ihren Bruder, Lothar, richtet.
Als Kind hatte Nathanael einen Mann namens Coppelius getroffen, den er für den Sandmann hielt, eine düstere Gestalt, die laut einer alten Legende Kindern die Augen stiehlt. Nathanaels Angst vor Coppelius bleibt auch in seiner Jugend bestehen, als er wieder auf den mysteriösen Mann trifft. Doch es stellt sich heraus, dass Coppelius ein wissenschaftlicher Alchemist ist, der versucht, menschenähnliche Automaten zu erschaffen.
Im Verlauf der Geschichte wird der Sandmann jedoch immer mehr mit der Puppe Olimpia in Verbindung gebracht. Nathanael, der in sie verliebt ist, erkennt schließlich, dass sie ein Automatenwesen ist, das von einem anderen Wissenschaftler, Spalanzani, erschaffen wurde. Die Erzählung endet tragisch: Nathanael stürzt in den Wahnsinn und sticht, in seiner Halluzination, Spalanzani nieder. Der Text lässt offen, ob seine Erfahrungen tatsächlich real oder nur Produkte seiner geistesgestörten Wahrnehmung sind.
In der Inszenierung des Staatstheaters Augsburg verschmelzen Schauspiel und Puppenspiel auf spannende Weise, um die Grenzen zwischen Realität und Fiktion zu erkunden. Regisseur Florian Moch hat die Vorlage behutsam modernisiert, wobei die düstere, traumhafte Stimmung der Originalgeschichte erhalten bleibt.
Für junges Publikum
"Wir wollen uns gezielt an jüngeres Publikum richten, das Stück ist ab zirka 15 Jahren empfohlen. Ich glaube, wenn Schülerinnen und Schüler das Stück in der Schule gelesen haben, wird es für sie noch mal eine gute Erfahrung sein", sagt Moch. Alleine der Zugang über ein anderes Medium sei innovativ. "Wie wir das umgesetzt haben, ist das Stück nicht direkt vergleichbar mit anderen VR-Arbeiten des Staatstheaters. Wir haben einen eigenen Weg gefunden haben", so der Regisseur über die neue Textfassung, die eigens für die Produktion geschaffen wurde und die ein bisschen anders durch die Geschichte durchführt als in der Vorlage.
Eine Besonderheit ist die Interaktion zwischen realen Schauspielern und den Marionetten der Augsburger Puppenkiste. Diese Elemente wurden harmonisch kombiniert, um Hoffmanns surreale Welt lebendig zu machen. Die Puppen verkörpern Figuren und Albträume aus Nathanaels Wahrnehmung, wodurch die psychologische Tiefe der Erzählung visuell verstärkt wird. So wird der "Sandmann" zu einem immersiven Erlebnis, das die klassische Erzählung auf eine völlig neue Art zugänglich macht.
"Wir haben den Weg gewählt, dass Olimpia durch eine Puppe dargestellt wird, was relativ naheliegend ist, weil sie in der Vorlage auch eine Puppe ist. Dann haben wir aber auch noch zwei, drei Figuren und Anknüpfungspunkte gefunden für Darstellungsweisen, in denen auch Puppen zum Einsatz kommen, die vielleicht nicht so unbedingt naheliegend sind. Ich glaube, das eröffnet mehr Möglichkeiten, wenn man die Geschichte auf verschiedenen Ebenen erzählt", meint Moch.
Speziell für VR-Brillen
Die Produktion ist speziell für VR-Brillen entwickelt worden. Dies erlaubt dem Publikum, hautnah in die Geschichte einzutauchen, da die 360-Grad-Perspektive das Gefühl vermittelt, direkt in Nathanaels Welt zu stehen. Die VR-Umsetzung wurde gezielt eingesetzt, um das Thema der verschwimmenden Grenzen zwischen Realität und Fiktion zu unterstreichen. Durch das Medium VR wird die subjektive Perspektive Nathanaels greifbar, was die psychologische Intensität erhöht.
Besonders hervorzuheben ist die künstlerische Originalität und die nahtlose Verschmelzung von Puppenspiel und VR-Technologie. Die Inszenierung wurde so gestaltet, dass Zuschauer die Szenerie aus der Ich-Perspektive erleben können. Dadurch wird die Trennung zwischen Zuschauer und Handlung aufgehoben.
In einer der spannendsten Szenen trifft Nathanael zum ersten Mal auf den mysteriösen Coppola. Diese Begegnung markiert einen Wendepunkt in der Erzählung, da Nathanael immer mehr von seiner Angst und den Erinnerungen an seine Kindheit heimgesucht wird. Die Figur Coppola, die als Symbol für Nathanaels tief verwurzelte Ängste fungiert, wird durch geschickte Licht- und Soundeffekte noch bedrohlicher dargestellt.
"Diese Produktion realisiert zu haben, war eine ganz tolle Erfahrung", resümiert Moch. Die Herausforderung sei gewesen, einerseits mit Schauspielern zu arbeiten, aber auch mit Puppenspielern, die dann gleichzeitig auch als Akteure im Einsatz waren.
Die Premiere fand am 26. September in der Augsburger Puppenkiste statt. Die Bestellung erfolgt online über www.staatstheater-augsburg.de, der Versand ist in Deutschland und Österreich möglich. Während der Mietdauer (in der Regel über das Wochenende) kann die Inszenierung mehrmals angeschaut werden. In den Kosten von 29 Euro ist der Hin- und Rückversand bereits enthalten. Wer eine eigene VR-Brille besitzt, kann die Inszenierung auch als Stream bestellen.
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