Barbara Yelin ist in der Comic-Szene gut bekannt. Mit ihren Graphicnovels wie "Gift" oder "Irmina" hat sich schon in der Vergangenheit ihre Fähigkeit bewiesen, schwierige Themen einer breiten Leserschaft zu präsentieren.

In ihrem neuen Graphicnovel "Emmie Arbel: Die Farbe der Erinnerung" nähert sie sich der Geschichte des Holocaust auf eine ganz persönliche Art und Weise. In ihrem neuen Buch, das unter anderem in München (Buchmesse im Literaturhaus vom 2. bis 3. Dezember) gezeigt wird, schildert die Illustratorin, wie sie der Jüdin Emmie Arbel begegnet.

Emmie Arbel überlebt das Konzentrationslager

Emmie Arbel, 1937 in Den Haag geboren, wird mit ihrer jüdischen Familie 1942 von den Nationalsozialisten deportiert. Sie überlebt die Konzentrationslager Ravensbrück und Bergen-Belsen. Als der Zweite Weltkrieg endet, kommt die Achtjährige mit ihren Brüdern zu einer Pflegefamilie. 1949 wandert die Familie nach Israel aus.

Das sind die Fakten. Yelin ist eine großartige Erzählerin, gleich zu Beginn entfaltet die Geschichte einen unglaublichen Sog. Da ist Emmie, sie rennt aus dem Haus mitten in der Nacht, sie muss raus, "sonst wäre ich im nächsten Moment explodiert", sie rennt zu Hannah, die sie umarmt, und dann redet Emmie die ganze Nacht – denn die Erinnerung an das Grauen, an die Angst, an die Erlebnisse, sie ist zurückgekommen. Cut.

Die Schritte knirschen. Barbara Yelin stapft über den schwarzen Kies der Gedenkstätte Ravensbrück. Sie ist auf dem Weg zu ihrer ersten Begegnung mit Emmie.

"Emmie Arbel. Die Farbe der Erinnerung" erzählt nicht nur die Biografie einer Frau, die den Holocaust überlebt hat. Sie versucht vielmehr, Emmies Leben in all seinen Facetten wiederzugeben. Natürlich sind das die Kindheit und Jugend, die stark geprägt sind von Tod und Gewalt, Missbrauch und Einsamkeit.

Aber da ist auch die ungeheure Kraft von Emmie, die überlebt, ihren Weg findet und eine eigene Familie gründet – und den Mut findet, ihre Geschichte schonungslos wiederzugeben.

Barbara Yelin ist eine großartige Illustratorin, sie zeichnet mit Aquarell und Buntstiften, nutzt Gouache und Bleistift. Sie weiß, wie sie Geschichten vorantreibt und wann es darum geht, einen wichtigen Moment festzuhalten – wie etwa den grauenhaften Moment, als ihr im Konzentrationslager die Haare geschoren werden. In die Erzählung dieses Moments schiebt sie zwei Panels mit Emmie als erwachsene Frau, die kurzzeitig verstummt.

Diese Verzahnung von Vergangenheit und Gegenwart macht den besonderen Reiz der Graphicnovel aus: Die Illustratorin Barbara Yelin nähert sich ihrer Protagonistin Emmie Arbel von einem sehr persönlichen Blickwinkel: Sie nimmt die Leserinnen und Leser mit auf ihre persönliche Entdeckungsreise – von der ersten Begegnung in der Gedenkstätte in Ravensbrück bis hin zu den Besuchen im Haus von Emmie Arbel in Haifa, bei denen nicht nur viel erzählt, sondern auch gemeinsam gekocht und gelacht wird.

Yelin schildert, wie aus der Begegnung mit Emmie Arbel eine Freundschaft wird. Indem sie diese Begegnung reflektiert und thematisiert, schafft sie für die Leserinnen und Lesern einen Raum, in dem sie sich selbst verorten können – und so einen persönlichen Zugang finden zur Geschichte des Holocaust.

In einem lesenswerten Nachwort zur Graphicnovel schreibt Yelin über ihr Vorhaben: "Es war uns beiden klar, und doch haben wir es unterschätzt. Dieses Buch war ein ungeheurer Akt der Anstrengung". Die Anstrengung, sie hat sich gelohnt. Danke Barbara. Danke Emmie.

Barbara Yelin

  • 2010 veröffentlichte Barbara Yelin zusammen mit Peer Meter die Graphic Novel "Gift" über den historischen Kriminalfall der Bremer Mörderin Gesche Gottfried.
  • 2014 legte sie ihren vielfach ausgezeichneten Comic-Roman "Irmina" (Reprodukt Verlag) vor: Basierend auf einer wahren Geschichte, erzählt Yelin in atmosphärisch dichten Bildern einen Lebensweg voller Brüche und thematisiert Mitläufertum und Wegsehen im Nationalsozialismus.
  • 2015 erhielt sie den Bayrischen Kunstförderpreis für Literatur, 2016 folgte der Max-und-Moritz-Preis als beste deutschsprachige Comic-Künstlerin.
  • 2016 erschien die Comic-Biografie "Vor allem eins: Dir selbst sei treu – die Schauspielerin Channa Maron" (Reprodukt Verlag).
  • 2017 folgte die Veröffentlichung der Graphic Novel "Der Sommer ihres Lebens"

Barbara Yelin engagiert sich mit ihren Zeichnungen auch immer wieder für Geflüchtete. 2022 entstanden für Slowfood Deutschland e.V. im Rahmen einer Auftragsarbeit mehrere Comics für eine Kampagne gegen die Ausbeutung von Geflüchteten und Migrant*innen in der Landwirtschaft Europas. 2020 versteigerte sie höchstbietend vier Original-Zeichnungen zugunsten PRO ASYL. 2019 veröffentlichte sie zusammen mit ihrer Schwester Ursula Yelin den Doku-Comic "Unsichtbar", der die Geschichte des Geflüchteten Kidane aus Eritrea erzählt.

Barbara Yelin lebt mit ihrem Partner und dem gemeinsamen Sohn in München.

Barbara Yelin: Emmie Arbel - Die Farbe der Erinnerung

Die Graphic Novel "Emmie Arbel. Die Farbe der Erinnerung" entstand im Rahmen des internationalen Projekts "Visual Storytelling and Graphic Art in Genocide & Human Rights Education" der Universität Victoria, Kanada. 40 Seiten des Buchs sind 2022 bereits in der Anthologie "Aber ich lebe" (C.H. Beck) erschienen.  Herausgegeben von Charlotte Schallié und Alexander Korb.

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