Der Ferentari ist der ärmste Stadtteil der rumänischen Hauptstadt Bukarest, geprägt von Kriminalität und Elend. In diese zwielichtige Welt zieht es Adrian, einen jungen Doktoranten, der an seiner Arbeit über die Manele-Kultur schreibt – einer Musikrichtung, die traditionelle Roma-Musik und Pop-Kultur vereint. Doch viel lieber vertreibt er sich die Zeit in verrauchten Kneipen unter Bettlern, Junkies und Gangstern.
Das Rotlichtviertel übt eine seltsame Faszination auf den jungen Akademiker aus. Der Bezirk gehört zu den ärmsten der rumänischen Hauptstadt, offiziell leben dort ca. 90.000 Menschen, die meisten davon Angehörige der Sinti und Roma. Adrians Stammbar riecht nach Alkohol, Schweiß und Sex. Seine Freundin Ana hat ihn verlassen und er hat seinen Job als Journalist an den Nagel gehängt hat. Adrian ist schwul oder vielleicht bisexuell, das weiß er selber noch nicht so genau.
Unterschiedliche Lebenswelten
In einer der Bars lernt er den Rom Alberto kennen, einen ehemaligen Häftling, der angeblich aus einer berüchtigten Gangsterfamilie stammt. Ohne es zu planen, entwickelt sich zwischen den beiden Männern eine Liebesbeziehung.
"Ich kaufte zwei Shawarma und blieb noch, um zu zahlen. Er ging voraus, und wie er so ging, so schwerfällig mit der Schnauze im Shawarma, Bauch voran, dazu diese unproportional langen Arme, da hatte ich das Gefühl, er wäre ein gezähmter Zirkusbär, den man in der Stadt zwischen den Autos hat laufen lassen, der verwirrt war vom Hupen und dem Lärm, in dem er lebte – und alles, was er jetzt tun konnte, war, sich einen Herrn zu suchen. Und genau das zog mich an."
Doch ihre Lebenswelten sind äußerst unterschiedlich, ein gemeinsamer Alltag unmöglich. Die Grenzen zwischen Lust, Liebe und Prostitution zwischen Alberto und Adrian sind fließend. Beziehungsstatus: es ist kompliziert.
Alberto hat mehr Zeit im Gefängnis verbracht, als in Freiheit. Er war rau, konnte brutal erscheinen und abgebrüht, doch auch warmherzig und devot, er war nicht kompliziert, nicht verkopft und hatte eine geringe Frustrationstoleranz.
Geheime Homosexualität
Seine Homosexualität ist geheim, begann wohl im Gefängnis. Doch immer wieder offenbart er Neues, Widersprüchliches. Mal ist er ein "Parasit," der seine Quellen finanziell ausnutzt, mal ein Missbrauchsopfer, das seine prägenden Jahre als "Lustsklave" erlebt hat. Und all dem steht, der Erzähler gegenüber, der Versprechungen macht, die er nicht halten kann.
Der rumänische Autor Adrian Schiop beschreibt die stets problematische Beziehung sehr nüchtern - manchmal schimmern Klischees durch - irgendwo zwischen Charles Bukowski und Rainer Werner Fassbinder. Es geht um Sex, Alkohol, Rausch, da wird das letzte Geld verhauen und manchmal auch das Geborgte verspielt.
Am Ende geht es um die Sehnsucht nach Liebe und Abenteuer, nach etwas, das den Menschen spüren lässt, am Leben zu sein, das unvorhersehbar und problematisch ist, spannungsgeladen. Jenseits von Sicherheit, Planung und Routine.
Unmögliche Affäre zweier Männer
Der Roman "Soldaten – Geschichten aus dem Ferentari" nimmt uns erstmals mit in eine unmögliche Affäre zweier Männer aus unterschiedlichen Welten, zwischen einem Rom und einem Doktoranten. Dabei verliert Adrian Schiop nie das Menschliche seiner Figuren aus den Augen und hat mit Alberto eine Figur geschaffen, die sich jeglichen Eindeutigkeiten entzieht.
Der Lesende wird entführt in das Leben der Elenden, in die Welt zwischen Hauptbahnhof, Rotlichtbars und krummen Geschäften. "Soldaten" ist mal komisch, mal traurig und immer herausfordernd. Der Roman ist wohl der erste queere Roman Rumäniens, wurde mehrfach ausgezeichnet und im Jahr 2017 verfilmt. Schiop liefert tiefe Einblicke in eine Gesellschaft, die sich noch finden muss.
Dabei scheint das Werk sehr autobiografisch geprägt, Schiop selber wurde 1973 in Porumbacu de Jos (Kreis Sibiu) geboren. Er studierte Psychologie, Erziehungswissenschaften und Linguistik und promovierte in Anthropologie. Nach Stationen als Lehrer, Maler und Journalist lebt er heute als freier Schriftsteller und Drehbuchautor im Bezirk Ferentari in Bukarest. Nicht zufällig wird sein Protagonist denselben Namen tragen.
Adrian Schiop (2023): Soldaten. Geschichte aus dem Ferentari.
Aus dem Rumänischen von Eva Ruth Wemme. 352 Seiten. Buchverlag Text/Rahmen, Wien. Taschenbuch: 18 € (ISBN 978-3-903365-12-4)
Kommentare
Diskutiere jetzt mit und verfasse einen Kommentar.
Teile Deine Meinung mit anderen Mitgliedern aus der Sonntagsblatt-Community.
Anmelden