Es war ein kalkulierter Skandal: Aus der "Freiheit eines Christenmenschen" heraus lud der Zürcher Buchdrucker Christoph Froschauer, ein Bayer aus der Nähe von Altötting, zu Beginn der Fastenzeit 1522 zu einem Wurstessen ein. Auch der Zürcher Reformator Ulrich Zwingli war zugegen – beteiligte sich aber nicht an der Aktion. Doch die Provokation am Sonntag Invokavit vor genau 500 Jahren hatte weitreichende Folgen: Sie brachte die Reformation in der Limmatstadt erst so richtig in Gang.

Christoph Froschauer schrieb Reformationsgeschichte

Es gibt wenig katholischere Orte in Bayern als Altötting. Die dortige Gnadenkapelle, eine der meistbesuchten Wallfahrtsstätten Europas, birgt nicht nur ein "Gnadenbild" der Schwarzen Muttergottes, sondern auch die Herzen bayerischer Herrscher vieler Jahrhunderte. Es ist von feiner Ironie, dass keine fünf Kilometer von der Kapelle entfernt einer zur Welt kam, der Reformationsgeschichte schrieb: Christoph Froschauer. In Kastl bei Altötting wurde er um das Jahr 1490 geboren.

Sein Handwerk hat er dann vermutlich beim Augsburger Buchdrucker Johannes Froschauer erlernt, der ein Verwandter von ihm gewesen sein könnte. Sicher ist, dass Christoph Froschauer 1515 nach Zürich kam, wo er bei Hans Rüegger arbeitete. Rüegger war eigentlich Pflastersetzer, betrieb aber seit 1504 eine Druckerei: Die neue profitträchtige Branche boomte. Der Zürcher Pflasterer stellte den Fachmann Froschauer als Gesellen ein. Als Hans Rüegger zwei Jahre später starb, heiratete Froschauer kurzerhand dessen Witwe Elsa, übernahm somit deren Versorgung – und das Geschäft gleich mit: Froschauer übernahm die Druckerei und zog im Wohnhaus "Zum Wyngarten" ein.

Froschauer trifft Zwingli

Am 9. November 1519 erhielt Christoph Froschauer das Zürcher Bürgerrecht, denn der Zürcher Rat wollte den gelernten Drucker dauerhaft ansiedeln. Das war just in jenem Jahr, in dem Ulrich Zwingli seinen Dienst als Leutpriester im Chorherrenstift Grossmünster antrat. Schon bei seiner ersten Predigt am Neujahrstag 1519 hatte Zwingli gezeigt, dass nun ein neuer Wind von der Kanzel des altehrwürdigen Grossmünsters wehte. Er hatte begonnen, das heilige Evangelium nach Matthäus zu verkünden: Da stand Zwingli und erzählte, was er im ersten Kapitel des Matthäusevangeliums – wohl in der griechischen Version des Erasmus von Rotterdam – gelesen hatte und übersetzte es den Leuten.

Er verdeutschte und verdeutlichte ihnen den Sinn und erklärte, wie die Geschichten gemeint waren. Damit setzte sich Zwingli über die römische Leseordnung, welcher Evangeliumstext zu welcher Jahreszeit in der Messe gelesen werden sollte, hinweg und bot so den Zürchern erstmals die Gelegenheit, die Geschichte Jesu von der Geburt bis zur Auferstehung Sonntag für Sonntag kontinuierlich kennenzulernen. Zudem würzte er seine Predigt mit volkstümlichen Vergleichen.

Das Volk – die Leute, deren "Leutpriester" Zwingli war – war begeistert und strömte zuhauf ins Grossmünster. Wohl auch Christoph Froschauer, der auf der rechten Flussseite der Limmat wohnte und dessen Pfarrkirche somit das Grossmünster war.

Ausschnitt aus dem Titelblatt der Froschauerbibel von 1531 mit dem damaligen Druckerzeichen Christoph Froschauers.
Koloriertes Deckblatt der Froschauer-Bibel von 1531: »Die gantze Bibel der ursprünglichen Ebraischen und Griechischen waarheyt nach auffs aller treüwlichest verteütschet. Getruckt zuo Zürich bey Christoffel Froschauer / im Jar als man zalt M. D. XXXI.« Stolz setzte Froschauer sein Buchdruckerzeichen mit den Fröschen in die Mitte.
Christoph Froschauer auf einem Porträt aus dem Jahr 1556. Die von ihm gegründete Druckerei besteht unter dem Namen Orell Füssli bis heute.
Zürich: Frosc hauer-Brunnen und Grossmünster im Frühjahr.
Rechts das Zürcher Grossmünster und links der Froschauer-Brunnen auf dem Predigerplatz: Sein Buchdruckerzeichen veränderte Froschauer über die Jahrzehnte immer wieder. Die Brunnensäule entspricht Froschauers Druckermarke in fortgeschrittenen Jahren: ein Frosch, der einen Knaben mit Fähnlein auf seinem Rücken trägt. Froschauer spielte bei dieser Druckermarke mit seinem Namen. Alle Welt kannte damals das Bild des Heiligen Christophorus, der das Christuskind über einen tiefen Fluss trägt. Hier ist es der Frosch(auer), der das Christuskind auf seinem Rücken trägt.
Für seine Prachtbibel schuf Froschauer eine eigene gut lesbare und kraftvolle Drucktype (Beginn des 24. Kapitels im 2. Samuelbuch).
Für seine Prachtbibel schuf Froschauer eine eigene gut lesbare und kraftvolle Drucktype (Beginn des 24. Kapitels im 2. Samuelbuch).
Links das kolorierte Deckblatt der Froschauer-Prachtbibel, rechts eine Illustration zu Mordechais Traum im Buch Esther.
Links das kolorierte Deckblatt der Froschauer-Prachtbibel, rechts eine Illustration zu Mordechais Traum im Buch Esther.
Die Froschauer-Prachtbibel von 1531 – ausgestellt im Zürcher Grossmünster.
Die Froschauer-Prachtbibel von 1531 – ausgestellt im Zürcher Grossmünster.
Die Froschauer-Prachtbibel von 1531 – ausgestellt im Zürcher Grossmünster.
Die Froschauer-Prachtbibel von 1531 – ausgestellt im Zürcher Grossmünster.
Die göttliche Mühle - Reformationsflugblatt, gedruckt von Christoph Froschauer in Zürich, 1521.
Die »Göttliche Mühle« - Reformationsflugblatt, gedruckt von Christoph Froschauer in Zürich, 1521. So kommt das Evangelium zu den Menschen: Von Gott geht die frohe Botschaft zu Jesus und den Heiligen. Das »Mehl«, das sie mahlen, bringt Martin Luther in Buchform und unter die Leute. Doch Papst und Bischöfe versuchen dies zu verhindern. Drucker wie Froschauer wirkten in der »Medienrevolution« der Reformation somit an dem göttlichen Werk mit.
Limmatblick in Richtung Zürichsee: links die Türme des Grossmünsters, rechts der Turm des Frauenmünsters.
Limmatblick in Richtung Zürichsee: links die Türme des Grossmünsters, rechts der Turm des Frauenmünsters. Christoph Froschauer wohnte auf der Seite des Grossmünsters in der Brunngasse.
Wandmalerei und Inschrift am Haus Froschauers an der Brunngasse 18 in Zürich.

Schwer zu schaffen machte allen Zürchern die Pest, die ab August 1519 monatelang in der Stadt wütete und ein Drittel der Bevölkerung hinwegraffte. Dass Ulrich Zwingli an der Pest erkrankte und diese überlebte, sahen viele damals als göttliches Zeichen dafür, dass gottgefällig sei, wie und was er auf der Kanzel predigte. Viele Zürcher betrachteten die Pest aber auch als Strafe Gottes für ein sündhaftes Verhalten, das den Zürchern mehr und mehr Probleme bereitete.

Seit Jahren schickten sie ihre starken Burschen und Männer als Söldner für fremde Mächte – meist für den Papst – in den Krieg. Das hatte zur Folge, dass die Handwerker in Zürich keine Lehrlinge mehr fanden und keine Gesellen mehr ausbildeten, weil junge Männer auf schnelles Geld hofften und meinten, dies als Söldner viel leichter verdienen zu können. Diejenigen, die aus dem Krieg zurückkamen, hatten dann auch genügend Geld, das sie in der Stadt bei sündhaftem Tun verprassten. Eifrig redete Zwingli den Zürchern ins Gewissen, dass es für einen echten Christenmenschen doch kein richtiger Beruf sei, andere für Sold totzuschlagen. Er wetterte auch gegen reiche Zürcher, die Söldner für fremde Mächte anwarben und dafür fette Provisionen einkassierten.

Die Nasen in den Büchern

Zwinglis Worte wirkten: 1521 verboten die Ratsherren der Stadt Zürich das Söldnerwesen. Wenn man bedenkt, dass die Zürcher sich damals von einer Einkommensquelle trennten, die vierzig Prozent ihrer Wirtschaftsleistung ausmachte, wird ersichtlich, wie groß dieser Umbruch für die Stadt und für die ihr untertane Landschaft waren.

Überhaupt war ein Teil der Zürcher Gesellschaft im Aufbruch: Rund um Zwingli trafen sich in einem Lesekreis junge Bürgersöhne. Man las neben griechischen Klassikern die Vulgata, die lateinische Bibelübersetzung, sowie die hebräischen Schriften des Alten und die griechischen Schriften den Neuen Testaments und lernte dabei die Sprachen Hebräisch und Griechisch. Die Hoffnung dahinter: herauszufinden, wie man die Zürcher Gesellschaft zu einer noch gottgefälligeren umgestalten – ja eben reformieren – könne. Aber so richtig vorangekommen waren die jungen Reformatoren noch nicht.

Christoph Froschauer und Zwingli waren damals schon gute Freunde. Was den Menschen zu der Zeit arg zu schaffen machte, waren die Fastengebote der Kirche, die von den Zürcher Ratsherren streng überwacht wurden. Besonders die vierzig Fastentage vor Ostern kamen die Menschen hart an. In diesen Märztagen, in denen noch nichts Frisches wächst und es oft noch ziemlich kalt ist, nur Getreide essen zu dürfen, keine Scheibe Speck, kein Ei, das bedeutete für viele Menschen nichts anderes, als von morgens bis abends zu hungern. Dagegen begehrten einige auf. Ein aufmüpfiger Zürcher hatte es gewagt, in einem öffentlichen Wirtshaus vor aller Augen ein Stück Braten zu essen. Woanders verspeisten drei Winzergesellen zur Jause im Weinberg ein paar Eier. Manche hatten die Fastengebote einfach nur satt.

"Zeit für eine provokante Aktion", muss sich Froschauer gedacht haben, "Zeit, dem Ulrich Zwingli unter die Arme zu greifen und den Ratsherren etwas zu reden zu geben." Ausgerechnet für den ersten Sonntag in der Fastenzeit, den 9. März 1522, lud Christoph Froschauer in sein Haus "Zum Wyngarten" zum Wurstessen ein. Er lud Ulrich Zwingli zu Tisch, dessen besten Freund Leo Jud, der damals Leutpriester im Benediktinerkloster in Einsiedeln war, sowie Lorenz Keller, den Pfarrer aus Elgg. Zugegen waren auch etliche Handwerker: die Bäcker Heinrich Aberli, Bartlime Pur und Michael Hirt, der Schuhmacher Klaus Hottinger und der Webergeselle Lorenz Hochrütiner. Auch der Schneider Hans Ueli, der Tischler Wolfgang Ininger und der Steinmetz Hans Ockenfuss stießen am späteren Abend noch zur munteren Tischrunde. Es muss ein Kommen und Gehen gewesen sein in Froschauers Haus. Schon allein die Gästeschar zeigt, wie sehr es Froschauer darauf angelegt hatte, dass sich seine Übertretung des Fastengebots bis zum Zürcher Rat herumsprechen würde. Ziemlich mutig für einen "zugereisten" Neubürger.

Freiheit des Christenmenschen

Zu essen gab es "Fasnachts­chüechli", dünn ausgerollte Teigfladen, die in reichlich Schweineschmalz ausgebacken werden. Schon das war ein grober Verstoß gegen das Fastengebot, das nicht nur den Verzehr von Fleisch verbot, sondern auch von Butter und Schmalz. Als Nächstes wurden "Schüblige" gereicht. Das sind Räucherwürste, die zu besorgen gar nicht einfach gewesen war. Elsa Rüegger-Zimmermann, Froschauers Frau, war zum Metzger Hans Hess gegangen und hatte vorgegeben, sie bräuchte Würste für eine "Kindbetterin", denn sowohl Schwangeren als auch Wöchnerinnen war es erlaubt, in der Fastenzeit Fleisch zu essen. Diese Würste kochte Elsa und ihr Mann Christoph schnitt sie für seine Tischgesellschaft in schöne Stücke auf. Worauf jeder der Gäste sein Messer aus dem Schaft an der Hose zog, in ein Stück Wurst stach und dieses verspeiste. Alle außer einem: Ausgerechnet Zwingli aß nichts von der Wurst. 

Damit erwies sich Zwingli als Diplomat. Sein Ziel war, die Reform der Kirche im Einvernehmen mit den Zürcher Ratsherren auf den Weg zu bringen. Da konnte es nicht förderlich sein, mit einer Übertretung des obrigkeitlichen Fastengebots den Ratsherren zuwiderzuhandeln. Zwei Wochen später jedoch predigte Zwingli im Grossmünster und rief:

"Summa, dass ich’s kurz mach. Willst du fasten, tue es; willst du das Fleisch nicht essen, iss es nicht. Lass aber mir dabei den Christenmenschen frei."

Die Predigt schrieb er nieder und Froschauer druckte sie unter dem Titel "Von Erkiesen und Fryheit der Spysen". Es war das erste Mal, dass Froschauer eine Schrift von Zwingli druckte, und der Beginn einer erfolgreichen Zusammenarbeit mit zahlreichen Publikationen.

Mit seiner Formulierung spielte Zwingli deutlich auf Martin Luther und seine 1520 erschienene Schrift "Von der Freiheit eines Christenmenschen" an. Genau dieses Buch gab Leo Jud gerade bei Froschauer neu heraus, und die Exemplare lagen stapelweise neben der Druckerpresse.

Briefträger nach Nürnberg

Für Froschauer blieb das Wurstessen nicht ohne Folgen. Er bekam Post vom Rat, der ihn wegen der Fastenübertretung mahnte. Froschauer erwiderte lapidar, dass er und seine Gesellen so viel Arbeit mit den Büchern von Erasmus von Rotterdam hätten, um diese bis zur Frankfurter Buchmesse fertigzustellen. Da würden sie vom Mus, also vom Getreidebrei, einfach nicht satt. Mit seiner provokanten Aktion hatte Froschauer dafür gesorgt, dass die Frage, welche kirchlichen Regeln man erneuern und reformieren müsse, in Zürich Stadtgespräch wurde. Dank Froschauer kam die Zürcher Reformation nun richtig ins Laufen.

Innerhalb von drei Jahren vollzogen die reformwilligen Zürcher Ratsherren – angeleitet von Zwingli – alle Reformen: Sie erlaubten den Geistlichen 1523 zu heiraten. Zwingli schrieb alle Themen der von ihm angestrebten Reformation nieder – und gab sie sämtlich Froschauer zum Druck. Denn er war begeistert, "wie unser Christoph" bei der Drucklegung von Büchern und Schriften "genau und sorgfältig zu Werke geht". 

Da Zürich als erster Ort der Eidgenossenschaft seine Reformation durchführte, betrieb Zwingli zudem fleißig Networking. Er schieb Briefe an viele Gesinnungsgenossen in und außerhalb der Eidgenossenschaft. Christoph Froschauer, der regelmäßig im Frühling und im Herbst über Basel und Straßburg zur Frankfurter Buchmesse reiste, fungierte oft auch als geschätzter Überbringer von vertraulichen Briefen. Als Zwingli in einem Brief an Willibald Pirckheimer nach Nürnberg über einen leider nicht namentlich genannten Freund schreibt, kann er nach Ansicht des Historikers Urs B. Leu nur Froschauer gemeint haben:

"Dass ich freilich so selten schreibe, kommt daher, weil der Überbringer dieser Zeilen ungefähr der einzige ist, der von hier zu Euch reist; er ist zugleich der zuverlässigste und aufrichtigste, der mir zur Verfügung steht. Er ist mir herzlicher zugetan, als wenn wir von den gleichen Eltern stammten, einzig aus dem Grund, weil er der Sach Gottes auf das herzlichste zugetan ist." 

Zwingli und sein Freund Leo Jud, der mittlerweile Leutpriester der St.-Peter-Kirche geworden war, schafften 1524 in Zürich alle Bräuche ab, die sich nicht aus den Evangelien ablesen ließen. Sie führten keine Prozessionen mehr an, segneten nicht mit Weihwasser, spendeten keine letzte Ölung und ließen kein Totenglöcklein mehr läuten. Die Ratsherren entfernten in den Kirchen Bilder und Figuren von den Altären, die Jesus, Maria oder die Heiligen zeigten, nahmen Kruzifixe von den Wänden, weil Zwingli befand, rechte Christen sollten nicht zu "hölzernen Götzen" beten, sondern ihre Gebete direkt an Gott richten. 

Viele Zürcher begrüßten diese Reformen, andere hingegen wollten beim alten Glauben bleiben, sodass 1524 die Stadt kurz vor einem Bürgerkrieg stand. Den Ausschlag für den Fortgang der Reformation gab Katharina von Zimmern, die Fürstäbtissin des Fraumünsters. Um "die Stadt vor Unruhe und Ungemach zu bewahren und zu tun, was Zürich lieb und dienlich ist", hob die Äbtissin das Stift – eines der reichsten Klöster der Eidgenossenschaft – im Dezember 1524 auf und schenkte die Abtei Fraumünster samt allen Grundstücken, Rechten und Pflichten der Stadt Zürich. 

Die Klöster wurden aufgelöst und anderen Zwecken zugeführt. Das Predigerkloster beispielsweise verwendeten die Zürcher nun als städtisches Spital, in dem für Arme täglich auch Mus, der Getreidebrei bzw. eine dicke Suppe, ausgegeben wurde. Alle silbernen Kerzenständer, goldenen Tabernakel und Reliquiare schmolz man ein und prägte daraus Münzen für die Armentruhe. Zudem verwendete man einen maßgeblichen Teil sämtlicher Klostererträge für die Armenfürsorge und richtete im Augustiner­kloster ein Almosenamt ein.

Das erste reformierte Abendmahl

Zu Ostern 1525 konnte Zwingli erstmals das Abendmahl auf reformierte Weise feiern. Kurz davor hatten die Ratsherren mit knapper Mehrheit entschieden, die Messe in Zürich abzuschaffen. Denn die Vorstellung, Brot und Wein würden sich während der Messe in Leib und Blut Christi wandeln, verwarfen die Zürcher. Stattdessen reichten Frauen und Männer einander Brot – das "Brot des Lebens" – und Wein in der tiefen Überzeugung, dass der Geist Christi während des reformierten Gottesdiensts mitten unter ihnen weile. 

Zwinglis fester Wille, die Reformation nicht gegen die Ratsherren – sozusagen als Revolution von unten – durchzuführen, sondern geduldig und lange auf die Ratsherren einzuwirken, bis er die Mehrheit von seiner Reformation überzeugt hatte, hatte sich gelohnt. Es ist wirklich ein besonderes Merkmal der Zürcher Reformation, dass sie so demokratisch vonstattenging.

1525 begann Zwingli mit dem nächsten Großprojekt: Im Chorraum des Grossmünsters fing er mit sämtlichen Chorherren, den Lehrern der Stiftsschule sowie den Pfarrern der Stadt an, gemeinsam die Bücher des Alten Testaments zu übersetzen. Zuerst las ein Lateinschüler den Text vor, wie er in der Vulgata übersetzt worden war. Dann las der Hebräischlehrer Konrad Pellikan den hebräischen Text und formulierte in Latein, wie er ihn übersetzen würde. Daraufhin las Zwingli aus der Septuaginta dieselbe Textstelle auf Griechisch vor und präsentierte – wiederum in lateinischer Sprache – seine Übersetzung des griechischen Texts. Dann diskutierten die Herren die Fragen und Feinheiten der Übersetzungen. Zum Schluss brachte Leo Jud, der versierteste Übersetzer dieses Gremiums, alles in ein "gutes Deutsch". Das heißt, Jud schrieb den Text in eidgenössischer Kanzleisprache nieder, der Schriftsprache, die die Eidgenossen damals verwendeten.

Wettlauf mit Wittenberg

Auf diese Weise arbeiteten sich die Herren an den Werktag-Vormittagen (außer freitags) durch die Bücher des Alten Testaments. Nachmittags trafen sie sich auf der anderen Flussseite der Limmat im Fraumünster und übersetzten dort aus dem Griechischen das Neue Testament. Da sie ihr strenges Pensum diszipliniert beibehielten, kamen sie schnell voran. Zudem spornte Christoph Froschauer sie stetig an. Wenn er von seinen Reisen zurückkam, erzählte er, wie oft er gefragt worden war, wann denn die Zürcher ihre Übersetzung der Bibel herausbringen würden. 

Ein Grund für die rege Nachfrage war, dass Luthers Bibelübersetzung in Wittenberg 1525 ins Stocken geraten war. Zudem verwendeten Luther und sein Team die sächsische Kanzleisprache. Viele Ausdrücke dieser Schriftsprache waren nur in Mitteldeutschland gut verständlich. Sowohl die Leser im nieder- als auch im oberdeutschen Sprachraum brauchten für Luthers bereits erschienene Bücher des Alten Testaments ein Glossar. Besonders die Leser im süddeutschen Raum hofften auf eine Übersetzung aus Zürich, da das eidgenössische Kanzleideutsch ihren Sprachgewohnheiten näher lag. Die Aussicht, schon vor Martin Luther eine erste Gesamtausgabe der Bibel vorlegen zu können, spornte die Zürcher zusätzlich an.

Als sich 1528 abzeichnete, dass die Zürcher bald mit der Übersetzung aller Bücher des Alten Testaments fertig werden würden, beschloss Froschauer, seine Druckerei zu erweitern. Er bestürmte den Zürcher Rat, dieser möge ihm Teile des ehemaligen Barfüßerklosters überlassen. Dort richtete Froschauer vier weitere Pressen, eine Schriftgießerei und eine Buchbinderei ein. Laufend druckte er bereits übersetzte Bibelteile. 1529 brachte Froschauer mit der Zürcher Bibel die erste Bibel in deutscher Sprache auf den Markt, die vollständig aus den Originalsprachen übersetzt worden war. Die Zürcher hatten die Wittenberger überholt: Es sollte noch bis 1534 dauern, bis die erste vollständige Luther­bibel erscheinen würde.

1531 legte Froschauer eine Prachtausgabe nach. Für diese schuf er eine eigene gut lesbare und kraftvolle Drucktype. Stolz bemerkte er:

"Zu diesem Zweck haben wir einen schönen, lieblichen Buchstaben gegossen, der sich Alten und Jungen wohl fügt."

Diesen Buchstaben fertigte er in mehreren Variationen, schließlich brauchte er verschiedene Größen für Text und Überschriften, kursive Buchstaben, eine Frakturschrift für alle biblischen Parallelstellen. Dazu Buchstaben fürs Kleingedruckte, denn der Philologe Zwingli nahm es wirklich genau:

"Zuweilen haben wir ein Wörtlein, das im hebräischen Text nicht steht, hinzugetan, weil ohne ein solches das Deutsch nicht verständlich wäre. Das dazugesetzte Wörtlein haben wir aber mit kleineren Buchstaben drucken lassen, dass man ersehen kann, welches unser Zusatz sei."

Gelegentlich waren auch griechische und hebräische Lettern vonnöten, aber sie hatte Froschauer schon im Setzkasten. Und selbstverständlich kamen Majuskeln mit Kanzleischnörkeln für den Textbeginn zur Anwendung.

Froschauers Bibeln gingen weg wie die warmen Semmeln – oder in diesem Fall besser: wie warme "Weggli". Froschauers Binder kamen mit dem Binden der Bögen nicht nach, so stark war die Nachfrage, die Froschauer und später sein Neffe und Nachfolger Christoph Froschauer der Jüngere zu befriedigen suchten. Bei einer durchschnittlichen Auflage von 3000 Stück brachten sie bis 1585 eine Gesamtproduktion von etwa 200 000 Bibeln auf den Markt, hat der Buchhistoriker Urs B. Leu errechnet.

Froschauers Druckerei existiert bis heute

Ulrich Zwingli hat die fertige Prachtbibel mit den Bildern von Hans Holbein dem Jüngeren nie zu Gesicht bekommen. Jahrelang hatte er mit Fleiß, Kennerschaft und großer Zuneigung zusammen mit seinen Freunden daran gearbeitet. Wenige Wochen bevor die Froschauer-Bibel 1531 erschien, fiel Zwingli in der Schlacht bei Kappel. Froschauer hat seinen Freund um dreiunddreißig Jahre überlebt: Er starb 1564, im Alter von über 70 Jahren, an der Pest.

Die Froschauer-Druckerei wurde unter wechselnden Namen kontinuierlich weitergeführt, bis ab 1735 Conrad Orell und Hans Rudolf Füssli das Unternehmen übernahmen. Ihre Namen blieben haften – bis heute. Im ehemaligen Froschauer-Verlag erschien seit 1821 auch die altehrwürdige Neue Zürcher Zeitung (NZZ), bevor diese 1868 in einen eigenständigen Verlag ausgegliedert wurde. Das Frosch-Logo verwendete der Verlag sogar noch bis 1974. Im Jahr 2019 wurde daher doppelt gefeiert: Der Verlag Orell Füssli feierte sein 500-jähriges Bestehen – und die Reformierten der Schweiz das 500-Jahr-Jubiläum der Reformation in Zürich. Christoph Froschauer hat diese maßgeblich in Schwung gebracht. Nicht nur mit dem Wurstessen im März 1522, sondern vor allem als Meister seines Fachs und als einer der produktivsten Buchdrucker des 16. Jahrhunderts.

Barbara Hutzl-Ronge
Vor 500 Jahren ging's in Zürich um die Wurst: Die Autorin und Stadtführerin Barbara Hutzl-Ronge lebt seit 1986 als freischaffende Autorin und Stadtführerin in Zürich. Die gebürtige Steirerin (mit »katholischem Migrationshintergrund«) erklärt Zürchern und Touristen besonders gern die reiche Reformationsgeschichte der Limmatstadt.

BUCH-TIPP

Zürcher Reformationsgeschichte(n)

Barbara Hutzl-Ronge (Text), Martina Issler (Fotos): Zürich. Spaziergänge durch 500 Jahre überraschende Stadtgeschichten. AT Verlag, Aarau/München 2019. 392 Seiten, 218 Abbildungen und 12 Karten. ISBN 978-3-03902-042-3, 39,90 Euro.

Reformationsgeschichtliche Spaziergänge durch die Limmatstadt auf den Spuren von Ulrich Zwingli, Leo Jud, Christoph Froschauer und Heinrich Bullinger. Wie ist die Zürcher Reformation mit dem Protestantismus in Europa verbunden? Wo beherbergten die Zürcher evangelische Glaubensflüchtlinge aus Locarno und Hugenotten aus Frankreich und wie bereicherten diese die Stadt? Zürcher Reformationsgeschichte(n) – sorgfältig recherchiert und vergnüglich zu lesen.

HÖRFUNK-TIPP

Evangelische Perspektiven

Streit um die Wurst
Wie die Zürcher Reformatoren das Fasten vom Zwang befreiten

 

Sonntagsblatt- und BR-Autor Uwe Birnstein besuchte die Originalschauplätze der Reformation in Zürich und sprach mit Grossmünster-Pfarrer Christoph Sigrist, der heute dort predigt, wo einst Zwingli wirkte. Auch geht die Sendung der Frage nach: Welche Erkenntnisse aus jener Zeit bleiben fürs heutige Fasten hilfreich?