Gelassener sind selten Christen in den Tod gegangen: "Was können sie uns denn schon tun?" fragte der Lübecker Kaplan Johannes Prassek während der Verhandlung vor dem Volksgerichtshof, wo man ihm und seinen Freunden Hochverrat und Wehrkraftzersetzung vorwarf. "Höchstens einen Kopf kürzer machen!" Als die Todesurteile verkündet waren und man ihn in seine Gefängniszelle zurückbrachte, knurrte Prassek laut: "Na Gott sei Dank, dass dieser Quatsch vorbei ist", und ließ sich den schlechten Anstaltskaffee schmecken.

Seit dem 11. Oktober vertreibt die Post eine Sonderbriefmarke "Lübecker Märtyrer", die an den 75. Jahrestag ihrer Hinrichtung am 10. November 1943 erinnert. Die vier Geistlichen hätten zur Zeit des Nationalsozialismus Zivilcourage gezeigt und gegen das menschenverachtende "Dritte Reich" aufbegehrt, stellte Ministerpräsident Daniel Günther bei der Vorstellung der 70-Cent-Marke fest. Deshalb sei es richtig und wichtig, die Blutzeugen bundesweit zu ehren. Der katholische Hamburger Erzbischof Stefan Heße würde die Briefmarke am liebsten all jenen Frauen und Männern widmen, die in diesen 75 Jahren das Gedenken an die vier Toten erhalten hätten. "Ohne sie wären die vier Geistlichen vermutlich nicht mehr als eine Notiz in den Kirchen- und Geschichtsbüchern."

"Den Kopf können sie uns nehmen, das Leben nie!"

Die Wachmänner im Untersuchungsgefängnis Lübeck-Lauerhof glaubten damals im November 1943, einen Verrückten vor sich zu haben. Eben war er vom Volksgerichtshof zum Tod verurteilt worden, der einunddreißigjährige Kaplan Johannes Prassek. Aber als man ihn in seine Zelle zurückführte, da weinte er nicht etwa vor Angst, sondern schien erleichtert, dass er die Justizkomödie hinter sich hatte. Und als dann sein Verteidiger auf ein letztes Gespräch hereinkam – wie alle Advokaten hatte er dem Prozess nur hilflos folgen können -, fand er den Todeskandidaten im Gefängnisflur stehen, mit beiden Backen gemütlich kauend, in der einen Hand eine dicke Stulle, in der andern die erwähnte Tasse mit dünnem Kaffee.

"Heute Abend ist es nun so weit, dass ich sterben darf. Ich freue mich so, ich kann es Euch nicht sagen, wie sehr."

Johannes Prassek an seine Familie

Prasseks Freunde – zwei katholische Kapläne und ein protestantischer Pastor, die ebenfalls wegen "Hetze gegen den nationalsozialistischen Staat" und "Zersetzung der Wehrkraft" zum Tod auf dem Schafott verurteilt worden waren – erschienen nicht minder gefasst, ja beinahe fröhlich: "Den Kopf können sie uns nehmen, das Leben nie!" sagte einer. Verstehen kann das wohl nur jemand, der an eine glückliche andere Welt glaubt.

"Lübecker Christenprozess" vor dem "Volksgerichtshof"

Den sogenannten "Lübecker Christenprozess" gegen die vier Geistlichen Hermann Lange, Eduard Müller, Johannes Prassek und Karl-Friedrich Stellbrink sowie achtzehn Laien – die mit Gefängnisstrafen davonkamen – hat man nicht nur im Norden Deutschlands nie ganz vergessen. Die Hinrichtung der drei Katholiken und ihres protestantischen Amtsbruders mit dem Fallbeil gilt als traurige Geburtsstunde einer in die Tiefe reichenden Ökumene.

Deshalb konnte es Erzbischof Heßes Vorgänger Werner Thissen sechzig Jahre nach der Hinrichtung 2003 auch wagen, die Seligsprechung der drei Kapläne anzuregen. Die evangelische Schwesterkirche, der mit Pastor Stellbrink der vierte Märtyrer angehörte, brachte er damit zunächst einmal in die Bredouille, denn eine Seligsprechung kennt man dort nicht. Würde das eine Ausgrenzung der protestantischen Widerständler bedeuten? Das Nordelbische Kirchenamt verwies freilich darauf, dass es auch in der protestantischen Tradition "heilige" Vorbilder und einen liturgischen Kalender mit wichtigen Glaubenszeugen gebe. Die Seligsprechung der drei Katholiken erfolgte im Juni 2011.

Feindsender und verbotene Gruppenstunden

Alle vier hatten sich in Predigten und Gruppenstunden mit Soldaten und Jugendlichen als entschiedene Gegner des Hitler-Staates gezeigt. Ein Spitzel, den die Gestapo als lernbegierigen "Konvertiten" in das katholische Pfarrhaus Herz Jesu eingeschleust hatte, konnte berichten, dass Kaplan Prassek und seine gleichaltrigen Mitbrüder Hermann Lange und Eduard Müller regelmäßig "Feindsender" hörten, in den verbotenen Gruppenstunden Kritik an der Kriegführung und an den Massakern im Osten übten und dass sie die Predigten des Münsteraner Bischofs Graf von Galen gegen Kirchenverfolgung und Euthanasie weiter verbreiteten.

"Meine liebe, liebe Lisbeth, jetzt ist es soweit! In wenigen Stunden habe ich meinen Lebensweg vollendet. Der Herr über Leben und Tod, Christus, mein König, holt mich heim zu sich. Die letzten Zeilen von dieser Erde sollst Du haben."

Eduard Müller an seine Schwester

Der Vikar Lange war bei einer früheren Haussuchung der Verhaftung knapp entgangen, weil er während der Gestapo-Aktion mit unschuldiger Miene auf einem Koffer saß, der mit Abschriften von Galens wuchtigen Protestpredigten gefüllt war. Was ihn von seinen gefährlichen Aktivitäten keineswegs abbringen konnte. Prassek wiederum provozierte Partei und Gestapo, indem er sich liebevoll um polnische Zwangsarbeiter kümmerte.

Mutiger Retter im Bombenhagel

In der Nacht zum Palmsonntag 1942 ging ein solcher Bombenhagel auf Lübeck nieder, dass sich nicht einmal die Polizisten und Luftschutzwarte aus den Bunkern trauten. Kaplan Prassek schleppte unerschrocken die frisch entbundenen Wöchnerinnen und ihre Babys aus der Kinderklinik neben der Kirche in den Luftschutzkeller, eine nach der anderen. "Schwarz von Rauch und Ruß im Gesicht hat man ihn mitten im Bombenhagel in den Stockwerken getroffener Häuser herumsteigen sehen", erinnerte sich eine Augenzeugin.

Pastor Karl Friedrich Stellbrink, bei seiner Verhaftung 48 Jahre alt, war pikanterweise anfangs ein glühender Nationalsozialist gewesen. Im Ersten Weltkrieg in der Schlacht an der Somme verwundet, arbeitete er später acht Jahre als Auslandsseelsorger für Deutsche in Brasilien. Bei seiner Rückkehr nach Deutschland setzte der konservative Patriot zunächst große Hoffnungen auf Hitler. Doch unter dem Eindruck des Terrors gegen Andersdenkende und der jeder völkerrechtlichen Norm spottenden Kriegführung wandte er sich bald von der braunen Bewegung ab und wurde aus der Partei ausgeschlossen.

Wegen seiner kritischen Predigten mehrfach von der Gestapo verwarnt, stolperte Stellbrink am Palmsonntag 1942 endgültig über eine Kanzelrede: In der Nacht hatten englische Bomber die Lübecker Altstadt in ein Trümmermeer verwandelt. Stellbrink sah darin nicht gerade ein "Gottesgericht", wie man ihm später vorwarf, aber doch ein Signal des Himmels, einen Ruf, innezuhalten und umzukehren. Klassische "Wehrkraftzersetzung" nach der braunen Ideologie.

"Wegen eines Stückchens Brot könnte ich jemand umbringen!"

Sie waren keine ins Leiden Verliebten, die sich verzückt nach dem Märtyrertod drängten. "Weißt Du, was Hunger ist, wenn es Dir aus dem Halse herausstinkt vor Leere?" schrieb Prassek einem Freund in verzweifelter Empörung aus der Todeszelle und berichtete, wie er sich verschimmeltes Brot aus dem Abfalleimer holte und kalte Pellkartoffeln, die neben dem Fressnapf eines Wachhundes im Sand lagen, wie eine Kostbarkeit barg. "Wegen eines Stückchens Brot könnte ich jemanden umbringen." Und doch fand er es völlig in Ordnung, für seine Überzeugung zu sterben, und betete mit zusammengebissenen Zähnen: "Bildhauer Gott, schlag zu!"

Die Todesurteile standen schon vorher fest

Die Verhandlung, zu der eigens der Zweite Senat des Volksgerichtshofs aus Berlin nach Lübeck gekommen war, ist eine einzige Farce gewesen. Die Todesurteile standen bereits vorher fest. Während die Verteidigung ihre nutzlosen Plädoyers hielt, schrieben die Richter gelangweilt Postkarten. Der Gerichtsvorsitzende Dr. Crohne sagte zu einem der Anwälte: "Ist ja ganz egal, alle Geistlichen sind Schufte und Hunde!"

Der Osnabrücker katholische Bischof Wilhelm Hermann Berning – er gehörte der entschlossen nazi-kritischen Fraktion im deutschen Episkopat an – hatte sich tatkräftig, aber vergeblich für eine Begnadigung der zum Tod Verurteilten eingesetzt, obwohl er ihr politisches Engagement für unklug hielt. "Onkel Wilhelm lässt grüßen", hieß es in den verschlüsselten Botschaften aus dem Ordinariat. Sein Besuch in der Todeszelle war nicht nur die letzte Freude für die drei Priester, Berning selbst wertete ihn später als eine der "größten und ergreifendsten" Stunden seines Lebens.

Was ein Märtyrer eigentlich ist

Die evangelische Kirchenleitung hingegen ließ ihren Pastor Stellbrink wie eine heiße Kartoffel fallen und erkannte ihm das Pastorenamt ab. Der Lübecker Propst stellte zwar auch ein Gnadengesuch, fügte jedoch ein psychologisches Gutachten über Stellbrinks "unglückliche Charakterveranlagung" bei und versicherte, die gesamte Pastorenschaft verurteile "die Vergehen ihres ehemaligen Amtsbruders aufs schärfste".

Erst 1993 rehabilitierte ihn die Nordelbische Kirche "mit Schmerz und Scham". Bei der Präsentation der Sonderbriefmarke gab die evangelische Bischöfin Kirsten Fehrs zu bedenken, die vier toten Geistlichen erinnerten daran, was Märtyrer eigentlich seien. Bei Selbstmordanschlägen sprächen die Medien auch immer wieder von Märtyrern. Aber, so die Bischöfin, "ein Märtyrer ist doch einer, der wegen seines Glaubens Gewalt erleidet – und nicht um seines Glaubens willen Gewalt ausübt."

Bettina Hagedorn, SPD-Staatssekretärin im Bundesfinanzministerium, im Oktober 2018 bei der Präsentation der Gedenkbriefmarke »Lübecker Märtyrer«.
Bettina Hagedorn, SPD-Staatssekretärin im Bundesfinanzministerium, im Oktober 2018 bei der Präsentation der Gedenkbriefmarke »Lübecker Märtyrer«.

ZEUGNISSE DES GLAUBENS

Die Abschiedsbriefe der Lübecker Märtyrer

Jahrzehntelang galten sie als verschollen oder vernichtet: Die Abschiedsbriefe der Lübecker Märtyrer Johannes Prassek, Hermann Lange, Eduard Müller und Karl Friedrich Stellbrink. Im November 2004 tauchten diese Briefe wieder auf. Der Lübecker Historiker Peter Voswinckel entdeckte eine ganze Reihe verschollener Märtyrer-Dokumente im Berliner Bundesarchiv.

Nun kann man den Weg der Briefe nachzeichnen: Der "Volksgerichtshof" verbot ihre Weiterleitung. Grund waren die Bekenntnisse der Zuversicht, ja der Freude der Geistlichen vor ihrem Tod. Die Nazi-Richter sahen sie deswegen als gefährlich an: "Mit diesen Bemerkungen haben die Verurteilten offenbar zum Ausdruck bringen wollen, dass sie sich bei Begehung ihrer Straftaten für eine gute Sache eingesetzt und ihr Leben als Märtyrer eingesetzt hätten." Nach dem Krieg gelangten die Briefe in die Archive der DDR, die dann nach der Wende Teil des Bundesarchivs wurden.