Der Bannwaldsee im Allgäu gehörte einer Schriftstellerin namens Ilse Schneider-Lengyel. Sie schrieb surrealistische Gedichte und fing Fische. Drei Tage lang ernährte sie damit 16 Dichter, die sich Anfang September 1947 bei ihr eingenistet hatten: Mitarbeiter der Exilzeitschrift "Der Ruf", dessen deutsches Nachfolgeblatt von den amerikanischen Besatzern verboten worden war. Die sozialistische Tendenz war den Westmächten nicht geheuer.

Anreise von München nicht leicht

Zu den Autoren der ersten Stunde gehörten Hans Werner Richter und Wolfdietrich Schnurre. "Ich weiß heute noch nicht, wie er von Berlin nach München gekommen ist", erinnerte sich Richter später an seinen Kollegen. Aber auch aus München war die Anreise nicht leicht. Deutschland lag zwei Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs in Trümmern. "Der Zug, mit dem wir fahren konnten, ging nur bis Weilheim", so Richter. "Von dort waren es noch fast 100 Kilometer bis zum Bannwaldsee. Es gab keine Verbindungen mehr."

Die Dichter, unter ihnen Alfred Andersch und Nicolaus Sombart, waren hager vom Hunger und warteten in eingefärbter Gefangenen- oder Wehrmachtskleidung vor dem Weilheimer Bahnhof. Dann stöberten zwei von ihnen einen Holzgas-Lastwagen auf. Als sie am Bannwaldsee ankamen, sprangen die Frauen nackt ins Wasser. "Es gab zu Abend Hecht, von Ilse aus ihrem See geholt", so Richter. Sie wollten eine neue Zeitschrift gründen, aber die notwendige Lizenz der Amerikaner blieb aus.

Manuskripte lesen wird zum Ritual

Am nächsten Tag begannen sie, aus ihren Manuskripten zu lesen. "Aber keiner von uns ahnte, dass hier ein Ritual entstand, das uns noch zwei Jahrzehnte beschäftigen sollte", erinnerte sich Richter. Zweimal jährlich lud er fortan eigens von ihm erwählte Autoren ein, die neben ihm auf dem sogenannten elektrischen Stuhl Platz nahmen, um sich von den anderen feiern oder fertigmachen zu lassen.

"So entstand das, was man später die 'Gruppe 47' nannte", resümiert er. "Eine Sadistenvereinigung", lästerte später die Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek. Schon im nächsten Jahr stieß Günter Eich zu dem Kreis, 1951 seine spätere Frau Ilse Aichinger, die 1952 für ihre "Spiegelgeschichte" den 1950 ausgeschriebenen Förderpreis erhielt. Heinrich Böll wurde damit 1951 für seine Satire "Die schwarzen Schafe" ausgezeichnet, bevor er den Nobelpreis erhielt.

Antisemitismus-Vorwürfe relativiert

Nach der "Trümmer"-Literatur der Anfangsphase wandte sich die Gruppe dem magischen Realismus und Surrealismus zu. Für Paul Celan war sie nicht reif. Seine "Todesfuge" kam bei der Wahl zum Förderpreis nur auf den dritten Platz. Den Vorwurf des Antisemitismus aber hat der Literaturkritiker Helmut Böttiger vor zehn Jahren in seiner Geschichte der "Gruppe 47" relativiert.

Ende der Fünfziger ging die Gruppe zu Gesellschaftskritik und Groteske über. Günter Grass stellte 1958 seinen Roman "Die Blechtrommel" vor. Im selben Jahr stieß Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki dazu. Das Forum, das sich mit 150 Teilnehmern zu einer Institution entwickelt hatte, öffnete sich nun auch für Verleger wie Siegfried Unseld.

Sprachkritik wird Gesellschaftskritik

Konkrete Poesie und Nouveau Roman kamen Anfang der 60er-Jahre auf. Der Sprachkritik folgte die Gesellschaftskritik mit einer Resolution gegen den Vietnamkrieg. Martin Walser, seit 1953 mit dabei, sprach nun von einer "herrschsüchtigen Clique." Auch Peter Handke, der mit der Gruppe 1966 in Princeton getagt hatte, schimpfte über die "Beschreibungsimpotenz" der Kollegen, denen sein Text nicht gefallen hatte.

Thomas Mann hatte sie schon immer für eine "pöbelhafte Rasselbande" gehalten. Nun wandten sich auch die Studenten gegen die "Papiertiger". Für Richter aber war Hans Magnus Enzensberger mit seiner "Ideologie, Technokratie und Soziologie" der Sargnagel der Gruppe. Böttiger dagegen hält ihn für den "Erfinder des bundesdeutschen Literaturbetriebs".

Letztes Treffen in Oberfranken

Im oberfränkischen Waischenfeld traf man sich 1967 zum letzten Mal. Aber erst zehn Jahre später schloss Richter die "Gruppe 47" offiziell: "Das war in der Kleber-Post in Saulgau. Wolfdietrich Schnurre las noch einmal seine Geschichte 'Die Beerdigung Gottes', mit der dreißig Jahre zuvor am Bannwaldsee alles begonnen hatte."

Was der Gruppen-Autokrat Richter tatsächlich von seinen Mitstreitern hielt, steht in seinen Tagebüchern. Über Heinrich Böll: "verquastes Denken, bramarbasierende Moral", über Walser: "der stilistisch Beste und politisch Dümmste", über Handke: "Akrobat seines eigenen Ruhms".

Der Autorenwettbewerb um den Ingeborg-Bachmann-Preis in Klagenfurt löste die "Gruppe 47" ab. Heute leben nur noch wenige ihrer Autoren. Martin Walser und Hans Magnus Enzensberger sind jenseits der Neunzig. Auch Peter Bichsel und Peter Handke, neben Böll und Grass der dritte Nobelpreisträger der Gruppe, zählen zu den Dinosauriern. Michael Krüger, Barbara Frischmuth und Elisabeth Plessen können nur noch über die Spätphase Auskunft geben.