Herr Engel, die meisten Leute kennen Sie als Schlagzeuger. Sie kommen musikalisch aber vom Piano?
Bertram Engel: Ja, das war mein allererstes Instrument, welches ich richtig gelernt habe. Natürlich hat man zwar Klavier gelernt, weil die Eltern die klassische Ausbildung wollten. Aber ich bin schnell durch meinen Bruder, der 9 Jahre älter ist, vom Pop und Rock in den 1960ern infiziert worden. Der hörte die Beatles und die Stones. Da war natürlich erstmal kein Piano zu hören, sondern nur Gitarren. Klavier lernen ist ja auch keine schlechte Ausbildung, weil man dann weiß, wie Musik funktioniert. Durch diese Ausbildung war ich in der Lage, Songs zu schreiben und die Alben von Peter Maffay 14 Jahre lang mitzuproduzieren. Da man den Überblick hat über die Harmonien, die ganze Band und nicht nur über das Schlagzeug.
Ihr Buch heißt "Mit alten Männern spiele ich nicht", und jetzt sind Sie doch selbst langsam einer?
Natürlich bin ich selber jetzt schon alt und spiele ich in meiner Band mit alten Männern. Aber die sind auch alle jung geblieben. Und die es nicht mehr sind, sind auch nicht mehr dabei.
Wie ist der Satz entstanden?
Das war während der Proben zur "Carambolage"-Tour mit Maffay, die sehr schleppend liefen. Da habe ich die Stöcke weggeworfen und dann sowas gesagt wie "Ich habe keinen Bock auf diesen Alte-Männer-Scheiß" und bin rausgegangen. Das war ein bisschen Kompetenzüberschreitung, weil ich die Stöcke meinem Chef vor die Füße geworfen habe, aber ich konnte nicht mehr. Das hat er sich sehr zu Herzen genommen. Und sprach mich im Lauf der Jahre auch immer wieder darauf an und erwähnt den Spruch öfters im Konzert. Aber es ist natürlich jetzt auch mittlerweile ein Satz, der mich auch verfolgt. Wenn man mit jungen Leuten in der Band spielt, muss man sich an seinem eigenen Satz immer wieder messen lassen. Aber ich glaube, das kann ich auch. Ich bin immer noch derjenige, der das Gaspedal unter sich hat und das Tempo und die Kraft vorgibt.
Welche Rolle spielte Ihr Bruder für Ihre Karriere?
Er ist dafür verantwortlich, dass ich überhaupt in Kontakt kam mit Udo Lindenberg und daher auch, wie es dann alles weiter ging. Das habe ich ihm zu verdanken. Er hat gemerkt, dass ich stundenlang im Keller saß und immer geübt habe. Mein Bruder kannte Udo Lindenberg und Bassist Steffi Stephan und nahm mich einfach mal mit in deren Proberaum, das war Ende 1972. Da probten sie gerade für ihr neues Panikorchester-Ding, diese Vision, die viele Leute ja später toll fanden. Udo war immer mein Lieblingsschlagzeuger aus Deutschland. Als ich dann vorgespielt habe, waren da natürlich im Spiel schon Ähnlichkeiten. Das hat er gemerkt, weil kein Trommler davor mit ihm so gearbeitet hat.
Wie ist Ihr Verhältnis gewesen, wie ist es heute?
Mein Vater war ja schon tot. Super traurig, weil ich ein Papa-Kind war. Er war sehr konservativ, zu Hause wurde Klassik oder mal Schlager gehört. Ich nehme an, wenn er weiter gelebt hätte, dass es nicht zu meiner Entwicklung in Richtung Rock gekommen wäre. Meine Mutter hat das aber immer sehr unterstützt. Wir pflegen so eine typische Bruder-Beziehung, wie vielleicht auch die Davis-Brüder der Kinks oder die Gallaghers von Oasis. Das Verständnis für Musik und die Philosophie – super! Aber persönlich muss ich sagen, ich habe zu manchen Freunden mehr Kontakt als zum eigenen Bruder. Vielleicht spielt der Altersunterschied eine große Rolle. Oder dass er damals die Vaterrolle übernommen hat, als unser Vater gestorben war und ich mich nicht so gerne von meinem älteren Bruder habe maßregeln lassen.
Aber eigentlich war Steffi Stephan Ihr Vaterersatz?
Er hatte von Udo die Aufgabe erhalten, etwas auf mich aufzupassen. Die Galaxo Gang-Tour war 1976 die erste, die ich gespielt habe. Da habe ich weder geraucht noch getrunken noch irgendwelche anderen illegalen Zaubermedikamente eingenommen. Die anderen haben natürlich reichlich getrunken, waren immer sehr lustig und ich wunderte mich immer, warum. Aber die haben sich nicht vor mir die Flaschen am Hals gesetzt, weil es hieß, "wir müssen ein bisschen auf Bertram aufpassen, der darf das nicht so mitkriegen."
Sind Sie so brav geblieben während Ihrer Karriere?
Nein, so ab Anfang der 80er habe ich dann auch eine Zeit gehabt, wo ich gerne mal über die Stränge geschlagen bin. Aber die andere Hälfte in meinem Kopf ist sehr diszipliniert und konservativ. Ich habe beides in mir, den Verrückten auf einer Art, und dann kommt der andere wieder, der sagt "Halt" Bis hierhin, und nicht weiter." Ich hasse es, Kontrollverlust zu haben, um dann nicht mehr mit Qualität spielen und bieten zu können, wie sie notwendig ist. Ich habe noch nie einen Gig versemmelt oder bin zu spät gekommen.
Jetzt gehen Sie auf eine ganz andre Art von Tour, lesen aus dem Buch und spielen Musik dazu. Wie kam es dazu?
Ich bin Geschichtenerzähler und rede gerne, manchmal auch zu viel. Und die großen Maffay-Tourneen sind jetzt erstmal Geschichte. Meine Frau sagte schon 2019, "die Leute lachen immer und weinen bei deinen Geschichten. Erzähl doch mal das der Öffentlichkeit und schreib doch mal ein Buch. Dann kam dieser Corona-Lockdown Mitte März 2020. Da habe ich meinen Co-Autoren und Freund, den Musikjournalisten Tom Schäfer angerufen und gesagt, jetzt sei eigentlich die Zeit, meine ganzen Geschichten mal aufzuschreiben. Tom war total interessiert. In langen Zoom-Konferenzen haben wir dann alles häppchenweise notiert und haben dann später gesehen, wo wir was vergessen haben oder was wichtig noch zu erwähnen wäre. Der Prozess dauerte lange vier Jahre bis Mitte 2024.
Aber wie wurde aus einem Buchprojekt dann sogar eine Tournee?
Ich wurde vorgeschlagen für so einen Workshop-Nachmittag auf einem Kreuzfahrtschiff, im September 2023, da war das Buch schon weit fortgeschritten. Da kam wiederum meine Frau auf mich zu und fragte, "warum machst du schon wieder einen Workshop, das hast du jetzt schon an die 50 Mal gemacht?" Das habe ich mir zu Herzen genommen, den Leuten ein paar Geschichten aus meinem Buch vorgelesen und dazwischen immer einen Song gespielt, den ich für mich oder auch andere geschrieben habe, am Flügel. Das ist super angekommen! Und zufällig saß unser Konzertveranstalter Fabian im Publikum und meinte, damit müssen wir eine Tour machen. Da war ich natürlich motiviert! Jetzt kann ich wieder Flügel spielen, mein erstes Instrument. Ich kann meine Songs spielen, von denen viele Leute gar nicht wissen, dass ich die geschrieben habe, und vielleicht noch zwei, drei neue einbauen.
Was bedeutet Ihnen Spiritualität?
Ich bin eigentlich ein ziemlich pragmatischer Westfale, der immer wieder aufsteht und diese Oberflächlichkeit gerade in diesem Geschäft bekämpft. Gefühle sind meistens gar nicht angesagt. Das ist schade, weil diese Seite ist an mir sehr stark ist. Ich weiß nicht, ob das spirituell ist. Aber ich glaube, dass jeden Morgen, wenn du wieder aufstehst und die Sonne scheint wieder, du die negativen Sachen, die vielleicht am anderen Tag passiert sind, auch wieder weggehen und dir wieder positive Sachen zugespielt werden. Ich habe auch Besinnungsmomente, wenn ich beispielsweise in einer Kapelle sitz und diesen absoluten Frieden spüre. Dann sehe ich auf das Kreuz mit Jesus, entzünde eine Kerze und bitte, dass derjenige da oben, wer immer das auch ist, alles wieder richten wird. Und daran glaube ich schon.
Buchtipp: »Mit alten Männern spiel’ ich nicht« von Bertram Engel ist im Münchner Riva-Verlag erschienen und kostet 22 Euro. Am 15. Januar liest er im Stuttgarter Theaterhaus und am 17. Januar in München in der Alten Kongresshalle.
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