Mit einem Digitalrat will die Bundesregierung den digitalen Wandel in Deutschland vorantreiben. Das zehnköpfige Gremium, das diese Woche in Berlin vorgestellt wurde, soll die Regierung "antreiben" und "unbequeme Fragen" stellen, wie Bundeskanzlerin Angela Merkel (CSU) in ihrer wöchentlichen Videobotschaft erklärte.
Digitalrat soll antreiben und unbequeme Fragen stellen
Deutschland hat Nachholbedarf in Sachen Internet, das weiß die Kanzlerin: Viele ländliche Regionen haben immer noch kein vernünftiges Netz, in der Wirtschaft fehlen digitale Start-ups, im ganzen Land müssen digitale Verwaltung und (Schul-)Bildung vorangetrieben werden. Der Digitalrat soll hierzu konkrete Handlungsvorschläge liefern.
Einige Organisationen bezweifeln das. Ingo Dachwitz von netzpolitik.org glaubt nicht, dass der Digitalrat die "verkorkste Netzpolitik" retten kann. Vielmehr verstaubten die Ergebnisse der Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft "unangetastet in den Schubladen der Bundesregierung", sagt Dachwitz.
Der bildungs- und forschungspolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Oliver Kaczmarek, kritisierte, dass der lange beschlossene Digitalpakt für die Schulen nicht vorangehe. Und die FDP forderte ein "Digitalministerium" anstelle eines Digitalrates. Der Digitalisierungsexperte der FDP-Bundestagsfraktion, Manuel Höferlin, sieht im Digitalrat nur ein "weiteres Ablenkungsmanöver". Die Regierung wolle der Öffentlichkeit "vorgaukeln", dass die Digitalisierung mit Hochdruck gestaltet würde.
Digitalrat will sich zweimal jährlich treffen
Zwei Mal jährlich soll sich das Gremium treffen. Häufiger wird es aufgrund der internationalen Zusammensetzung auch kaum möglich sein. Aus New York reist die Rechtsprofessorin Beth Simone Noveck an, die die Digitalisierung unter US-Präsident Barack Obama vorangetrieben hatte. Viktor Mayer-Schönberger, Professor für Internet Governance and Regulation kommt aus Oxford, Urs Gasser ist Direktor des Berkman Klein Center for Internet & Society und arbeitet in Harvard.
Vorsitzende des Digitalrates wird Katrin Suder, die für die Unternehmensberatung McKinsey gearbeitet hat und von 2014 bis 2018 als Staatssekretärin im Verteidigungsministerium tätig war. Zum Rat gehören weiter Ada Pellert, Rektorin der Fernuniversität Hagen, Peter Parycek, Leiter des Kompetenzzentrums Öffentliche IT am Fraunhofer FOKUS Institut, Wissenschaftler Andreas Weigend und die drei Unternehmer und Gründer Ijad Madisch (Researchgate), Stephanie Kaiser (Heartbeat Labs) und Hans-Christian Boos (Arago). Die Mitglieder arbeiten ehrenamtlich, Reisekosten und Spesen werden bezahlt.
Zivilgesellschaftliche Gremien fehlen gänzlich
Die Zusammenstellung macht deutlich: Das Gremium besteht aus Verwaltungsexperten, Wissenschaftlern und Unternehmern. Zivilgesellschaftliche Gremien kommen nicht vor. Damit fehlen aber wichtige Stimmen und Argumente von Nichtregierungsorganisationen, Kirchen und Bürgerinitiativen. Auch Gewerkschaften und Sozialverbände bleiben ungehört. Das alles lässt vermuten, dass es Kanzlerin Merkel eher darum geht, die Wirtschaft weiter voranzutreiben, als sich mit schwierigen Fragen wie Datenschutz oder Ethik zu beschäftigen.
Der Digitalrat soll sich primär mit vier Themen beschäftigen: Dazu gehören die Zukunft der Arbeitswelt, der Umgang mit Künstlicher Intelligenz, die Förderung der Gründerszene sowie die Einführung eines Bürgerportals (eGovernment). Als Querschnittsthema soll das Gremium auch diskutieren, wie sich Digitalisierung auf Kultur und Gesellschaft auswirkt.
Die Themen überschneiden sich aber mit anderen Organisationen der Bundesregierung. So wurde erst kürzlich ein Digitalkabinett eingerichtet und eine Datenethikkommission begründet. Außerdem gibt es in den einzelnen Ministerien eigene Arbeitsbereiche, die sich mit dem Thema Digitalisierung beschäftigen. Wie sollen sich diese vielen verschiedenen Gremien abstimmen? Wäre es nicht sinnvoller gewesen, kleinere Einheiten zu bilden, die sich intensiv mit einem Problem oder einem Thema beschäftigen?
Ethik, Datenschutz und Ehrenamt? Kein Thema
Viel schwerer wiegt aber die Tatsache, dass die Digitalisierung der Zivilgesellschaft über die Besetzung des Gremiums nicht vorkommt. Themen wie Datenschutz, Schutz der Privatsphäre, digitale Ethik, offene Ressourcen für das Ehrenamt oder Fundraising werden deshalb vermutlich nicht vorkommen – obwohl es eine große Chance sein könnte, hier einen Schwerpunkt zu setzen, um die Zivilgesellschaft zu stärken.
Erst kürzlich kam die Studie "Digitalisierung in Non-Profit-Organisationen" zum Schluss, dass es großen Nachholbedarf bei der Digitalisierung der Zivilgesellschaft gibt. Nötig seien bessere Rahmenbedingungen für zivilgesellschaftliche Selbstorganisation, eine Förderung von digitalen Hilfsmitteln (wie Open-Source-Software) und die Weiterentwicklung von Organisationskultur und -struktur in NGOs. Faktisch sorgt der Digitalrat jetzt aber dafür, dass gemeinnützige Organisationen und NGOs in den kommenden Jahren noch weiter abgehängt werden in Sachen Digitalisierung.
Digitalrat der Bundesregierung
Der Digitalrat berät die Bundesregierung beim Thema Digitalisierung. Seine zehn Mitglieder stammen aus Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft. Vorsitzende des Expertengremiums ist Katrin Suder. Das Video kann hier angesehen werden.
- Dr. Katrin Suder: Jahrgang 1971, ist Mitglied des Kuratoriums der Hertie School of Governance. Zuvor war sie Staatssekretärin im Bundesministerium der Verteidigung und unter anderem für die Abteilungen Ausrüstung und Cyber/Informationstechnik verantwortlich. Die promovierte Physikerin arbeitete bei McKinsey & Company. > mehr
Die Mitglieder:
- Chris Boos: 1972 in Konstanz geboren, evangelisch. Er gründete 1995 das auf Künstliche Intelligenz (KI) spezialisierte Unternehmen Arago. Der studierte Computerwissenschaftler baute mit Aragos AI HIRO eine KI-Plattform für Unternehmen auf, die sich auf den Business-to-Business-Sektor konzentriert und dabei KI als Basistechnologie zur Verfügung stellt. Boos arbeitet zudem als strategischer Unternehmens- und Politikberater sowie als Investor. > mehr
- Prof. Dr. Urs Gasser: 1972 geboren, Direktor des Berkman Klein Center for Internet & Society an der Harvard University und Professor an der Harvard Law School. Der promovierte Jurist forscht an der Schnittstelle zwischen Recht und Innovation. Seine Themen sind Sicherheitsfragen und Technologien wie Cloud Computing und Künstliche Intelligenz. > mehr
- Stephanie Kaiser: 1982 geboren, Geschäftsführerin und Gründerin der Heartbeat Labs GmbH. Die Geisteswissenschaftlerin will mit ihren Produkten die gesundheitliche Versorgung für Menschen verbessern und erleichtern - dazu gehört etwa eine App für die Vorhersage des Zyklus für Frauen. > mehr
- Ijad Madisch: 1980 geboren, ist Mediziner und studierte Informatik an der Fernuni Hagen. Seit 2008 arbeitet er am Massachusetts General Hospital, wo er das Onlinenetzwerk ResearchGate für Wissenschaftler gründete. Damit sollen Nutzer ihre Forschungsergebnisse teilen. > mehr
- Prof. Dr. Viktor Mayer-Schönberger: 1966 geboren, ist seit 2010 Professor für Internet Governance and Regulation am Oxford Internet Institute. Der Rechtswissenschaftler beschäftigt sich mit den gesellschaftlichen Folgen der Nutzung von Big Data und Künstliche Intelligenz. > mehr
- Prof. Dr. Beth Simone Noveck: 1971 geboren, studierte an der Harvard University und promovierte in den Fächern Politik und Germanistik in Innsbruck. Die Rechtsprofessorin an der New York University leitet das Governance Labs. Von 2009 bis 2011 war sie stellvertretende Technologiebeauftragte im Weißen Haus und leitete die Open Government Initiative. > mehr
- Univ.-Prof. Mag. Dr. Peter Parycek: 1971 in Österreich geboren, leitet seit 2017 das Kompetenzzentrum Öffentliche IT am Fraunhofer FOKUS Institut. Die Denkfabrik ÖFIT soll Impulse für die Digitalisierung im öffentlichen Raum bringen. Der Rechtsinformatiker wirkt in der Open-Government-Bewegung im deutschsprachigen Raum mit. Zudem verantwortet er seit 2015 das Departement für Electronic-Governance der Donau-Universität Krems. > mehr
- Prof. Dr. Ada Pellert: 1962 geboren, seit 2016 Rektorin der FernUniversität in Hagen. Die Sozial- und Wirtschaftswissenschaftlerin ist Vorsitzende des Vorstands der Kooperationsplattform "Digitale Hochschule NRW". Sie arbeitete im Hochschulmanagement verschiedener Universitäten im deutschsprachigen Raum. Zudem habilitierte sie sich 1998 im Bereich Organisationsentwicklung an der Universität Klagenfurt. > mehr
- Dr. Andreas Weigend: ist promovierter Physiker und lehrt an der Stanford University und an der University of California, Berkeley. Er forscht über Social Data und berät Unternehmen. Als Chief Scientist von Amazon half er bei der Erstellung einer Datenstrategie. > mehr
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