Cornelia Diethelm ist spezialisiert auf den digitalen Wandel von Unternehmen. Als Inhaberin der Shifting Society AG will die Politikwissenschaftlerin den digitalen Wandel an der Schnittstelle von Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft mitgestalten. Dafür hat sie das Centre for Digital Responsibility (CDR) aufgebaut, ein unabhängiger Think Tank für Digitale Ethik in der DACH-Region.  Im Sonntagsblatt-Interview erklärt sie, warum sich Einrichtungen stärker mit ethischen Fragen beschäftigen sollten.

 

Cornelia Diethelm, Sie bieten ein Seminar über digitale Ethik an. Haben Unternehmen bei diesem Thema Handlungsbedarf?

Diethelm: Erst wenige Unternehmen nehmen sich ethischen Fragestellungen systematisch an, die sich bei der Nutzung großer Datenmengen und neuer Technologien stellen. Doch erfreulicherweise werden es immer mehr! Viele Unternehmen haben bereits damit begonnen, Schlüsselpersonen und Fachpersonen zu schulen, Ethik-Richtlinien zu formulieren und deren Umsetzung über interne Gremien oder sogar über neue Jobprofile sicherzustellen. Das ist  ermutigend. Andere Unternehmen machen sich auf den Weg, indem sie intern für diese Themen sensibilisieren. Unser jährliches Stimmungsbarometer bestätigt, dass die digitale Ethik im Bewusstsein der Mitarbeitenden und Führungskräfte angekommen ist und für das eigene Unternehmen als reputationsrelevant taxiert wird. Das ist sicher mit ein Grund, weshalb unser Weiterbildungsangebot über digitale Ethik bei Praktikerinnen und Praktikern sehr gut ankommt.


Worum geht es in dem Seminar, was wird da konkret vermittelt?

Diethelm: Wir zeigen anhand konkreter Beispiele, was dank großen Datenmengen und neuen Technologien möglich ist. Dazu gehört auch ein Basiswissen zur Ethik im digitalen Raum sowie zur Künstlichen Intelligenz. Wir gehen auf die unternehmerischen Chancen ebenso ein wie auf die Risiken, zum Beispiel wenn der Kundenkontakt automatisiert wird oder wenn Führungskräfte basierend auf Daten Entscheidungen treffen. Außerdem zeigen wir, weshalb gewisse Produkte, Dienstleistungen und Geschäftsmodelle gegen wichtige Werte wie zum Beispiel Privatsphäre, Fairness oder Selbstbestimmung der Kundinnen und Kunden verstoßen. Während des Seminars gehen wir immer wieder auf Best Practices, Praxiserfahrungen der Teilnehmenden sowie aktuelle Trends ein. Nach diesem Praxisseminar sind sie bestens gerüstet, um das Potenzial der Digitalisierung kundenorientiert und mit einem echten Mehrwert für die Gesellschaft zu nutzen – und unnötige Risiken zu vermeiden.

Wie können Unternehmen die Ethik in die Unternehmenskultur verankern?

Diethelm: Der wichtigste Schritt ist die Einsicht, dass die ethischen Aspekte der Digitalisierung strategisch relevant sind. Denn nicht alles, was technologisch möglich ist, ist sinnvoll und wird gesellschaftlich akzeptiert. Ziel sollten datenbasierte Produkte und Dienstleistungen sein, die einen echten Mehrwert bieten. Dies gelingt, wenn Unternehmen ihre Werte in einer Richtlinie schriftlich festhalten und diese intern schulen. Die Umsetzung wird dann über die Governance sichergestellt, also indem Prozesse und Verantwortlichkeiten geklärt werden. Die Digitalisierung bedingt eine holistische Sicht, weshalb Unternehmen auch ihre Anreizsysteme überprüfen sollten. Sind die Anreize so gesetzt, dass mittel- bis langfristige Erfolge belohnt werden? Auch realistische Ziele reduzieren den Druck, Risiken einzugehen und Interessen einseitig durchzusetzen.

Was muss geschehen, damit wir "Ethikwashing" von Unternehmen vermeiden?

Diethelm: Das ist ein ganz wichtiger Punkt! Lügen haben bekanntlich kurze Beine, von daher ist ein nicht glaubwürdiges Engagement kontraproduktiv. Ethikwashing wird von Kundinnen und Kunden, Medien sowie unabhängigen Organisationen schnell entlarvt, wenn den Worten keine Taten folgen, was schädlich für die Reputation des Unternehmens ist. Unterschätzt wird auch die Wichtigkeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wer Ethikwashing betreibt, wird es schwer haben, gut qualifizierte und motivierte Fachkräfte zu rekrutieren. 

Das Seminar Digital Ethics findet am 29./30. November 2022 in Zürich statt, hier geht es zur Anmeldung.