Was viele nicht wissen: Bittlinger komponierte diesen Gassenhauer 1995 für eine Osterrocknacht im Privatfernsehen. "Die Show sollte eine Aktion gegen Ausgrenzung und Ausländerfeindlichkeit in Gang setzen", erzählt er und verrät, dass er für das "Dab dab daba du daa dab" eine Anleihe aus einem Song der Band Purple Schulz übernommen hat, mit Erlaubnis selbstverständlich. Schnell zog der beherzte Rumtata-Song seinen Siegeszug an, auch durch Kirchengemeinden. Vielen traditionellen Kirchenmusikern war – und ist – der Erfolg des schlichten Lieds ein Gräuel. Eine Zeitschrift bemäkelte gar dessen "rhythmisch ekstatisches Kleid". Bittlinger bleibt gelassen. Bei seinen vielen Konzerten merkt er ja: Das Lied erreicht die Menschen und bringt sie tatsächlich zum Aufstehen – was herkömmliche Kirchenlieder nur selten schaffen.

Obwohl er Pfarrer ist: Das Wort "Gott" kommt in seinen Liedern nicht sehr oft vor. Missionarisch ist er dennoch. Wie sein Vater, der Pfarrer Arnold Bittlinger, der im Volksmissionarischen Amt arbeitete. Von einer Studienreise durch die USA brachte er die Frömmigkeit der charismatischen Bewegung nach Deutschland. Clemens wuchs also in frommem Haus mit weitem Horizont auf.

Mischung aus Bruce Springsteen und Jürgen Fliege

Mit 17, 18 merkte er: In der Christenwelt tut sich etwas. Junge Liedermacher sangen fromm und cool vom Glauben. Clemens lernte Gitarre. Begeistert hörte er die Musik von Reinhard Mey und Konstantin Wecker. Er schrieb erste Lieder, sein Vorsatz dabei: "Sei ehrlich. Versuche nicht, auf jede Frage eine fromme Antwort zu finden!" Schnell machte er von sich reden. Viele Christen horchten auf. Hier war einer fromm und gleichzeitig politisch eher links. Ein Lichtblick für viele in der politisch stockkonservativen evangelikalen Christenszene.

Clemens Bittlinger lässt sich bis heute nicht so recht einordnen. Musikalisch ist er zwischen Schlager, Pop und Chanson unterwegs. Geistlich zwischen pietistischer Frömmigkeit und volkskirchlichem Mainstream-Glauben. Textlich zwischen politischem Liedermacher-Jargon und dem, was Kritiker als "Betroffenheitslyrik" bezeichnen. Die ZEIT beschrieb Bittlinger kürzlich als Mischung aus Bruce Springsteen und Jürgen Fliege. Das passt: Kernig hält er die Gitarre, doch seine Songs sind eher seicht und gefühlig.

Mehr als 500 Lieder

Bei seinen Konzerten hält er mit seiner Meinung zu aktuellen Themen nicht hinterm Berg. Homosexualität, Frieden, Handy- und Tätowierwahn – es gibt kaum ein Thema, das Bittlinger auslässt. Sein neuester Streich: "F-F-F – Fridays for Future", ein Schunkel-Mitsinglied über Greta Thunberg. "Mich rührt, was die 16-jährige Schülerin da macht. Und wenn mich etwas bewegt, muss ich ein Lied darüber schreiben", erklärt er. Mehr als 500 Lieder sind so entstanden.

Auch vor Kritik an kirchlichen Missständen macht Bittlinger nicht halt. "Mensch Benedikt": Unter diesem Titel schrieb er 2007 einen musikalisch-kritischen Brief an den damaligen Papst. Als Pfarrer arbeitete Bittlinger da bereits für die Evangelische Kirche von Hessen-Nassau als Referent für Mission und Ökumene. Er scheute sich nicht, das Lied in der evangelischen Kirche in Rom zu singen und auf dem Katholikentag in Osnabrück. Von papstkritischen Katholiken erhielt er Zuspruch. Katholische Fundamentalisten waren empört. Eine Wutwelle ergoss sich über Bittlinger – es gab sogar Morddrohungen. Ein Konzert musste sogar unter Polizeischutz stattfinden. Glaubensfundamentalisten würden das Fegefeuer für Bittlinger anheizen, meinte der Spiegel. Bittlinger war kurz irritiert. Letztlich aber, das weiß er wohl, macht ihn so etwas nur bekannter und nützt dem Absatz. Auf den Verkaufstischen bei seinen Konzerten stapeln sich Bücher mit Titel wie: "Habseligkeiten – Eine Anleitung zum Glücklichsein". Oder: "Jesus und Yoga – eine Spurensuche". Außerdem unzählige CDs. Eine DVD mit einem Konzertmitschnitt gibt es auch, sie heißt, klar: "Aufstehen, aufeinander zugehen".

Wie lange er dieses Lied eigentlich noch singen will? "Bis man mich von der Bühne trägt oder mir gute Freunde sagen: "Allmählich wirst du peinlich", antwortet er lachend – "und ich hoffe, dass ich dann nicht im Altersstarrsinn darauf beharre, trotzdem weiterhin aufzutreten!"