Als im Jahr 1870 in Zürich zwei junge Frauen einen Hörsaal betreten, erhebt sich "ein wüster Lärm, Schreien, Johlen, Pfeifen". "Da hieß es ruhiges Blut behalten", beschreibt eine der beiden als 80-Jährige in ihren Memoiren das Ereignis. Es sind Franziska Tiburtius von der Insel Rügen und die Fürther Pfarrerstochter Emilie Lehmus, die sich mit dem Studium in der Schweiz ihren Traum, Ärztin zu werden, erfüllen. Im Hörsaal in Zürich sind die zwei Studentinnen Exoten, in Deutschland aber hätten sie als Frauen damals gar keinen Zugang zu Universitäten gehabt. Zu diesen Zeiten sprach man Frauen die Denkfähigkeit ab.
Etwas anderes als Ehe und Familie kam für sie nicht infrage.
Der Geschichte von Emilie Lehmus (1842 bis 1931), die zur ersten Ärztin in Deutschland wurde, hat den Ruhestandspfarrer Christian Schmidt-Scheer interessiert. Von ihm stammt ein Eintrag im lokalen Online-Lexikon "FürthWiki" über Lehmus. Und von ihm ging auch die Initiative aus, der Medizinerin in Fürth ein Denkmal zu setzen. Die Gedenkstätte wird der Öffentlichkeit an Lehmus' Geburtstag übergeben, dem 30. August. Eine junge Frau mit einem Rosenstrauß in den Händen hat der Bildhauer aus dem Stein gehauen.
Fasziniert hat Schmidt-Scheer nicht nur diese Frau selbst, sondern auch Fortschrittlichkeit eines seiner Vorgänger im Pfarramt in Poppenreuth: Emilies Vater, der Pfarrer Friedrich Theodor Eduard Lehmus. Der eröffnete bereits im Jahr 1837 in Fürth einen der ersten Kindergärten in Deutschland, die Fürther "Kinderbewahranstalt". Lehmus und seine Frau förderten ihre sechs Töchter und ließen es zu, dass alle einen Beruf erlernen konnten. Der Vater gibt Emilie sogar privaten Lateinunterricht, damit sie an die Universität gehen kann.
Emilie sollte zunächst Lehrerin werden, begann dann aber 1870 ihr Studium der Medizin.
1874 schloss sie es als "erste deutsche Dame" ab, wie eine Zeitung damals schrieb, und promovierte mit einem "summa cum laude". Eine Approbation allerdings erhielten sie und Tiburtius nicht. "Es fehlt dem weiblichen Geschlechte nach göttlicher und natürlicher Anordnung die Befähigung zur Pflege und Ausübung der Wissenschaften und vor allem der Naturwissenschaften und Medizin", schreibt ein Münchner Anatomie-Professor im Jahr 1872 und ist mit dieser Ansicht freilich nicht allein. Auch der berühmte Medizin-Professor Rudolf Virchow schreibt: "Alles, was wir an dem wahren Weibe Weibliches bewundern und verehren, ist nur eine Dependenz des Eierstockes."
Die Königliche Entbindungsanstalt in Dresden ist die einzige Klinik, die Lehmus nach ihrem Studium das Praxisjahr machen lässt. Dann geht sie als erste ausgebildete Ärztin für "Kinder und Frauen" in Deutschland nach Berlin. €Mit der Studienkollegin Tiburtius gründet sie 1887 zwar eine Praxis in einem Berliner Hinterhof, Ärztinnen dürfen sich die Frauen aber nicht nennen. Auf dem Türschild ihrer "Poliklinik weiblicher Ärzte" stand "Dr. med Zürich".
Lehmus und Tiburtius behandeln ihre Patienten unentgeltlich und erhalten Unterstützung von ihren Familien.
Im Jahr 1900 aber verlässt Lehmus aus gesundheitlichen Gründen Berlin und geht nach München zu zwei ihrer Schwestern, hat Schmidt-Scheer recherchiert. Dann siedelt die Medizinerin zu ihrer jüngsten Schwester nach Gräfenberg im Landkreis Bamberg um. Sie treibt mit die Gründung der Vereinigung weiblicher Ärzte in Berlin voran und gibt dem Verband eine Spende in Höhe von 1.600 Reichsmark. Lehmus stirbt am 17. Oktober 1932 im Alter von 91 Jahren nach einer zweitägigen Krankheit.
Beerdigt wird Lehmus auf dem Fürther Friedhof. Für ihre Beerdigung hat sie verfügt, sie solle als Armenleiche von dem für den Wochendienst zuständigen Pfarrer von St. Martin bestattet werden, hat Schmidt-Scheer herausgefunden. An ihrem Grab durfte keine Rede gehalten werden. Sie hatte als Text nur die Schriftstelle von der Auferstehung der Toten am jüngsten Tag verfügt.