Die Fakten sind so bekannt wie erdrückend: Die Erderwärmung schreitet voran, Gletscher verschwinden, die Meeresspiegel steigen und die Extremwetterereignisse verschärfen sich. Dürre- und Hungerkatastrophen fördern Migrationsbewegungen. "Der Klimawandel ist längst ausgeforscht", sagt der Astrophysiker Harald Lesch im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Doch auf die wissenschaftlichen Erkenntnisse werde "überheblich und gleichgültig" reagiert. Das macht den aus der Fernseh-Reihe "Leschs Kosmos" bekannten Wissenschaftler wütend: "Meine Generation hat vollständig versagt." 

Herr Lesch, haben wir den Kampf gegen die Erderwärmung längst verloren oder ist die Menschheit noch zu retten?

Harald Lesch: Wir können es nur hoffen, dass wir noch zu retten sind, aber wirklich sagen können wir es nicht. Das Weltklima ist ein hochkomplexes System, das bereits auf leichte Störungen reagiert. Vor allem wenn es instabil wird, reagiert es relativ schnell. Es gibt momentan erste Ideen dazu, dass die Erde sich von einer Eis- zu einer Heiß-Zeit entwickelt. Wenn wir jetzt nichts tun, werden wir in absolut katastrophale Abläufe geraten. Das ist sozusagen unsere allerletzte Chance.

Die Fakten sind bekannt, trotzdem wird zu wenig getan. Was erwarten Sie von den politischen Entscheidungsträgern?

Lesch: Wir brauchen den sofortigen Kohleausstieg und die erneuerbaren Energien müssen ausgebaut werden. Wir brauchen eine Mobilitätsoffensive in Richtung öffentlicher Nahverkehr. Die Elektromobilität ist auch keine Lösung, weil dort Ressourcen aus anderen Erdteilen verwendet werden. Wir sollten mehr über Genossenschaften nachdenken: Ich bin kein Freund davon, Energiekonzerne zu privatisieren. Wasser, Land und Luft sollten bei den Stadt- und Gemeindewerken bleiben.

Sind solche Veränderungen ohne grundlegende Eingriffe in das Wirtschaftssystem denkbar?  

Lesch: Anstatt dass Unternehmen ihre Gewinne an Aktionäre ausschütten, sollten sie in saubere Innovationen reinvestiert werden. Die Gewinne der deutschen Kapitalgesellschaften haben sich zwischen 1991 und 2016 verdreifacht. Die Nettoinvestitionen sind von 85 auf 20 Milliarden gesunken. Wollen die die reichsten Leichen auf dem Friedhof werden oder was machen die mit dem Geld? Wir brauchen vor allen Dingen - das mag vielen nicht gefallen - eine tatsächliche Umverteilung von Vermögen. Wir könnten das Geld besser in der Wirklichkeit gebrauchen als auf irgendwelchen Konten. Ich bin überzeugt, dass wir in Deutschland weniger Probleme hätten, wenn wir wieder mehr Genossenschaftsbanken hätten.

Die meisten Menschen streiten den Klimawandel gar nicht ab, aber getan wird trotzdem zu wenig.

Lesch: Jeder kann etwas dafür tun: Fahrradfahren statt SUV, Fahrgemeinschaften bilden, nicht mit dem Flugzeug verreisen, weniger Fleisch essen, stattdessen Ökostrom beziehen und das Licht ausschalten. Das Allerwichtigste wäre, dass jedem Menschen pro Jahr ein Kohlendioxid-Budget von rund zwei Tonnen zustehen sollte. Heute aber verbraucht jeder zehn Tonnen pro Jahr. Außerdem brauchen wir eine Kohlendioxid-Steuer.

Wann glauben Sie, geht ein Ruck durch die Welt, der deutlich macht, wie ernst es ist?

Lesch: Wir brauchen eine politische Aktivitätsinitiative, und zwar parteiübergreifend. Die Natur kennt keine Parteien, sie kennt nur ihre Gesetze. Beim Weltwirtschaftsforum in Davos wurde der Klimawandel als die größte Bedrohung der Menschheit angesehen: Wenn wir aber so weitermachen wie bisher, dann wird die Menschheit mehr oder weniger verschwinden. Alle Religionen sind aufgefordert, sich stärker für die Frage der Schöpfungsverantwortung einzusetzen, sie ist die Bedingung der Möglichkeit, überhaupt als Lebewesen auf diesem Planeten zu sein. Und wer weiß, wenn große Katastrophen eintreten, vielleicht kommen noch ganz andere politische Bewegungen an die Regierungsstellen, als wir das je für möglich gehalten haben.