Menschen mit einer schweren Behinderung würden oft in eine Schublade gesteckt, beklagt Barbara Windbergs. "Viele Menschen denken, Behinderte kommen nicht alleine klar und gehören daher in ein Heim." Windbergs hat Multiple Sklerose (MS) und ist schwerbehindert. Die 56-Jährige sitzt im Rollstuhl, ihre Hände machen nicht mehr, was der Kopf will. Doch ein Heim käme für die Würzburger Behindertenaktivistin niemals infrage. Windbergs will selbstbestimmt leben. In ihrer eigenen Wohnung. Nach ihren Vorstellungen. Seit zehn Jahren helfen ihr Assistentinnen dabei.

Viele behinderte Menschen brauchen Persönliche Assistenten. "Nur so können wir am gesellschaftlichen Leben teilhaben", sagt Windbergs. Durch die Assistenz kann die studierte Sonderpädagogin auch ihrem Ehrenamt nachgehen: Barbara Windbergs ist Gründungs- und Vorstandsmitglied des Vereins "WüSL - Selbstbestimmt Leben Würzburg". Ihre Assistentinnen benötigt sie jedoch auch für "tausend" kleine Verrichtungen im Alltag. Zum Essen. Zum Trinken. Zum Duschen.

Barbara Windbergs ist quasi Arbeitgeberin: Wenn eine Assistenzstelle neu zu besetzen ist, setzt sie Anzeigen auf, führt Vorstellungsgespräche und wählt dann ihr Personal aus. Weil sie mit dem Regierungsbezirk Unterfranken gut verhandelt habe, kann sie ihren Assistentinnen knapp 15 Euro pro Stunde zahlen. Das sei deutlich mehr, als vielen anderen Menschen mit Handicap zur Vergütung ihrer Assistenz vom Staat refinanziert werde.

Windbergs erlebt viel Unwissen. Betroffene hätten häufig keine Ahnung, dass es die Möglichkeit einer Assistenz gibt und dass sie darauf ein Recht haben könnten. Das bestätigt Petra Wontorra, Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderungen in Niedersachsen. Nach wie vor würden viele Behinderte von ihren Eltern unterstützt, obwohl sie Anspruch auf professionelle Hilfe hätten. Auch mit 40, 50 oder 60 Jahren lebten sie noch bei ihren Eltern.

Manche Assistentinnen und Assistenten werden, obwohl sie einen extrem anspruchsvollen Job machen, wie billige Arbeitskräfte behandelt, weiß Windbergs aus ihrer Arbeit beim Verein WüSL. Vivian B. (Name geändert) zum Beispiel kümmert sich um eine Patientin mit MS, die rund um die Uhr Unterstützung braucht. "Es kam schon vor, dass ich zehn Tage am Stück 24 Stunden lang bei dieser Frau war", schildert sie. Ihr Stundenlohn beträgt weniger als 12 Euro. Bereitschaftsstunden in der Nacht würden weit unter Mindestlohn vergütet.

Die Behindertenbeauftragte Wontorra fordert eine bessere Bezahlung für Persönliche Assistenten: "Oft sind die Stundenlöhne zu gering." Das erschwert laut Wontorra die Suche nach Assistenten massiv: "Vor allem Sonderschichten etwa an Weihnachten sind schwer zu besetzen."

Gerhard Bartz, Vorsitzender des Bundesverbands Forum selbstbestimmter Assistenz behinderter Menschen (ForseA), kritisiert das Verhalten von Behörden. "Antragsteller sehen sich oft einer Macht ausgeliefert, die sie winzig aussehen lässt." Bei einem Leistungsantrag würden Menschen oft gezwungen, ihren Tagesablauf über längere Zeit zu protokollieren. Inklusive jeder Mahlzeit. Und jeden Toilettengangs. Sich bis ins Intimste hinein gläsern zu machen, empfänden die Betroffenen als beschämend, erklärt Bartz.

Auch das Karlsruher Netzwerk für Inklusion, Teilhabe, Selbstbestimmung und Assistenz (NITSA) kritisiert, dass sich Behinderte quasi "ausziehen" müssen. "Über die besondere Mitwirkungspflicht wird in unzulässiger Weise die Herausgabe persönlicher Daten verlangt", sagt Vorstandsmitglied Klaus Mück. "Da jedoch viele Menschen mit einer Behinderung ihre ganze Kraft für die Alltagsbewältigung brauchen, ist an eine Gegenwehr oft nicht zu denken."