Als Astronaut Major Tom, Außerirdischer Newton, androgyner Rock-Messias Ziggy Stardust, drogenvernebelter "thin white Duke" bis hin zum sterbenden Lazarus beeinflusste Bowie Heerscharen an Musikschaffenden und verkaufte rund 140 Millionen Tonträger. Dass in all den Rollen auch eine spirituelle Sehnsucht steckt, zeigt ein Blick auf sein Werk.

Es ist einer der Momente am 20. April 1992 bei dem ohnehin von Highlights gespickten Tribute-Konzert zu Ehren des ein halbes Jahr zuvor verstorbenen Freddie Mercury, der im Nachhinein immer noch verwirrend wirkt: Eben hat David Bowie, der 1981 mit dem Queen-Sänger und "Under Pressure" einen Riesenhit gelandet hatte, zusammen mit dessen übrig gebliebener Band einen seiner eigenen größten Erfolge, nämlich "Heroes", das Lied über zwei Liebende im Schatten der Berliner Mauer gesungen. Da sinkt der perfekt gestylte, im hellblauen Anzug dandyhaft wirkende Musiker auf die Knie und betet vor über 70.000 Menschen das "Vater unser", in Gedenken an die vielen AIDS-Opfer.

Ein Moment, der wieder mal eines der vielen Fragezeichen beim Betrachter aufwirft, wie es der wohl größte Verwandlungskünstler der Pop-Geschichte regelmäßig setzte. Sei es mit provokanten Outfits von übergroßen Plateau-Sohlen, kühlem blauäugigen Soul oder kokaingeschwängertem Leder-Gigolo in den 70ern über den Clown der "Ashes to Ashes"-Phase Anfang der 80er, die sofort in die discogetriebenen Beats der kommerziellen Überhits "Let´s Dance" und "China Girl" wechselte bis hin zu den Experimenten mit eine knochentrockenen Bluesrock spielenden Band "Tin Machine" in edlem Anzugs-Zweireiher zum Dekadenwechsel – Bowie war immer wieder für einen Überraschung gut.

1992 hat der damals 45-Jährige also schon einiges hinter sich – prägend waren in jedem Fall die "Swingin´ Sixties" im britischen Königreich, in denen der junge David Jones seine ersten musikalischen Gehversuche unternimmt, die 1969 mit "Space Oddity" und seiner ersten Figur "Major Tom" enden. Ab hier beginnt für die meisten Fans die Zeitrechnung in der Rückschau auf die Karriere ihres mittlerweile zu "Bowie" gewordenen Idols. Da hatte dieses schon seine Liebe für den Buddhismus entdeckt.

David Bowie: Von Buddha zu Satan

Wie Benoît Clerc im kürzlich anlässlich des 75. Geburtstages Bowies erschienenen Buches "Alle Songs" schreibt, habe der junge Künstler bereits im Alter von 13 Jahren das Buch "Das dritte Auge" seines britischen Landsmanns Cyril Henry Hoskin gelesen, der darin behauptet eine Inkarnation des tibetischen Lama Lobsang Rampa zu sein. Das Buch ist damals sehr beliebt unter jungen Menschen auf der Sinnsuche mitten in der Pubertät. Bowie besucht regelmäßig die Treffen der buddhistischen Gesellschaft in London und veröffentlicht 1967 über seine Erfahrungen den Song "Silly Boy Blue", den er für sein großes, erst posthum erscheinendes Alterswerk "Toy" 40 Jahre später noch einmal einspielen wird.

In diesen Jahren lernt Bowie den buddhistischen, 1965 nach London gekommenen Geistlichen Chime Rinpoche kennen, mit dem der Sänger zeitlebens eine enge Freundschaft verbindet, wie Rinpoche kurz nach dem Tod Bowies am 10. Januar 2016 dem "Rolling Stone"-Magazin anvertraute. Gerne wäre der Sänger auch mit seinem Freund Ende der 90er-Jahre nach Tibet gereist. Da dieser 1997 auf seinem Album "Earthling" allerdings den kritischen Song "Seven Days in Tibet" veröffentlicht hatte, habe er ihm von einer Einreise abgeraten.

1969 kommt dann mit "Major Tom" der erste, vom Stanley Kubricks "2001 – Odyssee im Weltraum" inspirierte Hit Bowies ans Licht der Öffentlichkeit. Der Titelheld besingt darin sein Außenseitertum, schwebend im Weltraum, fernab von der irdischen Welt. Susanne Breit-Keßler, damals evangelische Regionalbischöfin von München und Oberbayern, sieht in ihrer nur wenige Tage nach dem Tod Bowies auf der Internetseite des Kirchenkreises veröffentlichten Andacht einen Ausdruck des Lebensgefühls dieser Zeit.

Nietzsche und die Transsexualität

1970 ist es der deutsche Philosoph und Dichter Friedrich Nietzsche, der Bowie fasziniert. Auf seinem Album "The man who sold the world" veröffentlicht er das Lied "The Supermen", das sich mit dem Begriff des "Übermenschen" befasst. Ein Motiv, das auch auf dem nächsten Album "Hunky Dory" wieder auftaucht. Bowie wendet sich zur selben Zeit auch der schwarzen Magie zu. Ebenfalls 1970 singt er in dem Song "After all" eine Zeile, die als Hommage an den britischen Okkultisten Aleister Crowley verstanden werden kann, mit dem ihn Led zeppelin-Gitarrist Jimmy Page vertraut gemacht hatte: "Live till your rebirth, and do what you will" ("Lebe bis zu deiner Wiedergeburt und tue, was du willst") In "Quicksand" aus dem Jahr 1971 wird Bowie noch deutlicher: "I’m closer to the Golden Dawn, immersed in Crowley’s uniform of imagery" ("Ich bin näher an Golden Dawn, in Crowley‘s Uniform der Bilder eingetaucht"). Besagtem Geheimbund gehörte Crowley an.

Nicht eindeutig festlegen und weiter auf der Suche sein will Bowie augenscheinlich auch, was seine sexuelle Ausrichtung angeht. In der Öffentlichkeit gibt er sich gerne als Bisexueller, auch wenn er seit 1970 mit dem amerikanischen Model Angela Barnett verheiratet ist und seit 1971 mit ihr einen Sohn hat. In seinem 1974er-Hit "Rebel Rebel" spielt er wieder einmal mit seiner Sexualität, singt über einen rebellischen Jugendlichen, dessen Mutter sich fragt, ob er ein Junge oder ein Mädchen ist und trägt im Videoclip dazu auch noch eine Augenklappe.

David Bowie hat unterschiedliche Augenfarben

Ohnehin rätseln die Fans, die mittlerweile verrückt nach diesem Zwitterwesen sind, das immer wieder seine Gestalt ändert, schon lange über seine beiden unterschiedlich farbigen Augen. Kommt Bowie vielleicht wirklich von einem anderen Planeten? Ist seine Begleitband, die "Spiders vom Mars" also ein Hinweis auf die extraterrestrische Herkunft des Künstlers? Der Hintergrund seiner rätselhaften Augen ist dagegen banal. Am 12. Februar 1962 prügelte er sich mit seinem Kumpel George Underwood um ein Mädchen geprügelt, bei dem Bowie unglücklich am linken Auge verletzt wird. Seine linke Pupille wird erweitert bleiben.

Die Mitte der 1970er-Jahre wird Bowies kreativste Phase. Nach dem Soul-Pop von "Young Americans" (1975) veröffentlicht der mittlerweile spindeldürr gewordene Sänger 1976 sein wegweisendes Album "Station to Station". Beeindruckt vom "Krautrock" und elektronischen Experimenten, wie ihn deutsche Bands wie Kraftwerk oder Tangerine Dream spielen, experimentiert Bowie zunehmend mit ungewöhnlichen Songstrukturen und auch wieder mit Weltanschauungen. Während der Aufnahmen, an die Bowie sich als schwer Drogensüchtiger später kaum noch erinnern wird, liest er wieder Aleister Crowley, aber auch die jüdische Kabbala. Im Text des Titelstücks, in dem er sich als "Thin white Duke" einführt, erwähnt er die Namen Kether und Malchuth, zwei von zehn Sephiroth, die als Mächte gelten, die am Ursprung der Welt stehen. Die dem Album titelgebenden Stationen verweisen auf die 14 Etappen des Kreuzwegs Christi.

Prägende Berliner Jahre für David Bowie

Bis zum legendären Auftritt mit Queen im Wembley-Stadion 1992, erleben wir in Bowie einen Künstler, der sich in seinen Texten und seinem öffentlichen Auftreten eher den irdischen Dingen des Lebens zugeneigt zeigt – Bowie pflegt einen ausschweifenden Lebensstil, sein Licht scheint selbstzerstörerisch an beiden Enden der Kerze zu brennen. Die Berliner Jahre 1977 bis 1979 mit den wegweisenden Alben "Low" und "Heroes" und der Zusammenarbeit mit Brian Eno sind fester Bestandteil des Rock-Kanons der 70er-Jahre. Mit an seiner Seite auch der treue Produzent Tony Visconti, der einen ruhenden Gegenpol zum hedonistischen Rockstar darstellt. Im Video zu "Look back in anger" ärgert sich Bowie über ein Gemälde, das ihn als Engel darstellt. Erst liebkost er es, dann wird es beschmutzt.

Nach der Scheidung von Angela im Jahr 1980 beginnt für Bowie seine kommerziell erfolgreichste, aber auch künstlerisch oberflächlichste Dekade. Er führt ein rastloses Leben im Jet Set. 1992 scheint er Ruhe zu finden. Am 6. Juni heiratet er in der Kirche St. James in Florenz das damalige somalische Supermodel Iman nach anglikanischem Ritus. Eine konfessionelle oder christliche Ausrichtung ist bei ihm aber immer noch nicht auszumachen. In seinen letzten Jahren findet dann aber eine tiefere Auseinandersetzung mit christlichen Themen statt. 1999 singt er in "Seven" vom Album "Hours" wie eine Anklage "Die Götter haben vergessen, dass sie mich gemacht haben. Also habe ich sie auch vergessen." In einem Interview mit dem "Stern" gibt er 2003 zu Protokoll: "Mein spirituelles Leben zu hinterfragen, war immer relevant für das, was ich schreibe. Ich bin kein Atheist und das bereitet mir Sorgen. Etwas hält mich zurück: Also, ich bin fast ein Atheist. Gebt mir noch ein paar Monate."

Lüsterne Priester und Prostituierte

2013 bringt er die US-Lobbyorganisation Catholic League noch einmal so richtig auf die Palme: Im Video zu seinem Song "The Next Day" tanzen lüsterne Priester mit verzweifelten Prostituierten in einem Nachtclub. Es kommt zu eindeutigen Sex-Szenen, irgendwann spritzt Blut aus den Stigmata einer der Damen. Bowie besingt derweil die Szenerie mit seiner Band von der Seite und tritt als Jesus auf, der am Ende seine segnenden Hände über diesen außer Rand und Band geratenen Sündenpfuhl hält.

Am Ende seines Lebens überrascht der vom Krebs gezeichnete Bowie noch einmal: In seinem ersten (und einzigen) Ende 2015 uraufgeführten Musical "Lazarus", das in Zusammenarbeit mit Enda Walsh entstand, schlüpft der Künstler noch einmal in die Rolle des humanoid-reptiloiden Thomas Newton aus dem Film "Der Mann, der vom Himmel fiel" (1976), der sichtlich gealtert und lebensüberdrüssig beklagt, dass er nicht mehr zurück zu seinem Heimatplaneten, auf der Erde allerdings auch nicht sterben kann. Alleine die Titelwahl "Lazarus" lässt aufhorchen, ist dies doch der Name gleich zweier biblischer Gestalten: Einmal gibt es im Johannesevangelium den Lazarus von Bethanien, den Jesus von den Toten auferweckt. Im Lukasevangelium begegnet uns ein kranker Mann namens Lazarus, der unter dem Bann eines reichen Mannes steht, der ihn ausnutzt und quält, aber nach seinem Tod in die Unterwelt gelangt, während Lazarus in Abrahams Schoß gebettet wird.

2019 inszenierte der Sänger und Regisseur Tilo Nest das Stück am Nürnberger Staatstheater. "Die Hauptfigur, das Alter Ego Bowies, bewegt sich darin in einer Zwischenwelt von Diesseits und Jenseits. So muss sich der Künstler ein stückweit selbst gefühlt haben", erinnert sich Nest an die Auseinandersetzung mit dem Stoff, für dessen Bühnenadaption sich Bowie bereits Ende der 1970er-Jahre die Rechte gesichert hatte. Nest glaubt, dass die Figur des Lazarus den Musiker schon lange als Identifikationsfigur beschäftigt hatte, die für die letzte Wandlung des Pop-Chamäleons ideal war. Im gleichnamigen Song des letzten Bowie-Albums "Blackstar" singt er kryptisch "Look up here, I'm in heaven / I've got scars that can't be seen". David Bowie spielt also bewusst wieder mit religiösen Bezügen, wird aber wegen der Doppeldeutigkeit seines letzten alter Ego wieder einmal nicht greifbar. Ein letzter, großer Schachzug eines Ausnahmekünstlers, der ein Faszinosum und Rätsel bleiben wird.

Ob Bowie nach seiner langen spirituellen Reise irgendwo angekommen ist – und vor allem welcher von den vielen? – das weiß wahrscheinlich nur der liebe Gott. Warum gerade der? Bowies Witwe Iman postete am Tag seines Todes auf Instagram "The struggle is real, but so is god" ("Der Kampf ist real, aber Gott ist es auch.") Am Ende seines Lebens scheint David Bowie beim Gott der Christen angekommen zu sein.