Die Schlösser waren ausgewechselt: Martin Neukamm kam nicht mehr in sein eigenes Büro. In einem christlichen Unternehmen habe er so viel „negative Energie“ nicht für möglich gehalten, erzählt er von einem Machtkampf um die Rummelsberger Kliniken im Jahr 2003.

Damals war Neukamm Abteilungsleiter für die Krankenhäuser der Rummelsberger. Nun, im September 2021, blickt er als Brüdersenior und Vorstand der Rummelsberger Diakonie auf sein ereignisreiches Berufsleben zurück. In Jeans, sportlichem Hemd und Jackett sitzt er noch einmal in seinem Arbeitszimmer, bevor er diesen Sonntag (26. September) in den Ruhestand tritt.

Martin Neukamm: Engagiertester Fürsprecher der Diakone

Neun Jahre lang ist Neukamm im Vorstand des Sozialunternehmens mit 5.400 Mitarbeitenden, als Brüdersenior für die rund 1.000 Rummelsberger Diakone im aktiven Dienst und im Ruhestand gewesen. Er habe sie „zusammengehalten, motiviert, vorangebracht und zurechtgewiesen“ schreiben die ihm zum Abschied ins „Brüderschaftsblatt“.

Noch immer ist er ihr engagiertester Fürsprecher. Wenn, wie gerade geschehen, ein Oberkirchenrat öffentlich überlegt, wie Diakone in der Kirche der Zukunft vielleicht Pfarrer ersetzen könnten, gehen bei ihm die Warnlampen an: „Die Rechnung geht nicht auf“, stellt er fest. Der Diakonenberuf sei hierfür zu vielfältig.

In der Krankenpflege findet er zunächst seine Berufung

Als Jugendlicher konnte sich Neukamm keineswegs vorstellen, dass er einmal in Rummelsberg als einer der Vorstände sein Berufsleben beendet. Als ältester Sohn des damaligen Rektors der „Rummelsberger Anstalten“, Karlheinz Neukamm, soll er nach den Vorstellungen des Vaters Theologie studieren. Aber Neukamm bricht das Gymnasium ab, macht die Mittlere Reife und dann Zivildienst in der Altenpflege im schwäbischen Burtenbach - endlich weg vom damals ungeliebten Heimatort.

In der Krankenpflege findet der junge Mann seine Berufung. Er bringt es bis zur Pflegedienstleitung im neuen Nürnberger Klinikum Süd, das damals nach modernen medizinischen Standards auf die grüne Wiese gestellt wurde.

Zurück nach Rummelsberg: "Beinahe vom Glauben abgefallen"

Hier bekommt Neukamm „Lust auf Leitung“, macht eine Weiterbildung im Pflegemanagement. Schließlich landet der Familienvater mit Frau Irmgard und drei Kindern doch wieder in Rummelsberg: als Leiter der Krankenhäuser, die ein hohes Renommee genießen. „Dem Herrn Jesus Christus nachzufolgen und ein Manager sein, das kann im Zusammenspiel klappen“, sagt der Diakon.

Doch was er dann erlebt, ist eine Zeit, „in der ich beinahe vom Glauben abgefallen wäre“. Neukamm erzählt von Managern und Beratern, die Bilanzen fälschten, um Fusionspläne zu verwirklichen, die ihre Aufsichtsgremien anlogen und schließlich den Krankenhausleiter aus dessen Büro aussperrten. Neukamm muss 2003 gehen.

Dunkle Schatten über Rummelsberg

Eine neue erfüllende Aufgabe findet er als Leiter der Einrichtung „Insula“ bei Berchtesgaden und ist überzeugt, dass der liebe Gott seine Finger im Spiel hatte, als er die Stellenanzeige in der Süddeutschen Zeitung fand. 2006 rückt der Diakon in den Vorstand der Diakonie Hohenbrunn auf, zu der die „Insula“ gehört.

Dort ist Neukamm noch, als sich über das Unternehmen Rummelsberg 2006 dunkle Schatten legen. Interne Machtkämpfe in der Führungsetage werden bekannt. Ein Jahr später tritt der Vorstandsvorsitzende der Rummelsberger Anstalten, Pfarrer Karl Heinz Bierlein, zurück. Er soll Diakone und Diakonenschüler sexuell bedrängt haben. Inzwischen ist Bierlein wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Wenig später der nächste Schlag. Bierleins Nachfolger Wolfgang Bub schmeißt nach kurzer Zeit das Handtuch.

Probleme legt er auf die Bahngleise – damit die Züge drüber rattern

Die Aufarbeitung der Bierlein-Zeit beschäftigt die Rummelsberger noch, als 2009 Neukamm zum neuen Brüdersenior der Rummelsberger Diakonen-Gemeinschaft gewählt wird. Nicht nur im fränkischen Diakonieort, in der ganzen evangelischen Landeskirche wird der Umgang mit Macht diskutiert. Bis heute fragt sich Neukamm, wie es sein konnte, dass sich die Opfer nicht trauten, sich anderen anzuvertrauen, wie das System des Machtmissbrauchs des Rektors funktionierte.

Neukamm selbst würde wohl den Mund aufgemacht haben. Gerade, wenn es Probleme gibt, ist er derjenige, der die Angelegenheit klären will, auch mal wütend wird, wie es Weggefährten beschreiben. Ärger ist aber auch schnell verraucht, denn Probleme legt er gedanklich auf die Gleise der Bahn zwischen Rummelsberg und Ochenbruck, wenn er die auf der Heimfahrt mit dem Fahrrad passiert. „Da können dann die Güterzüge darüber rattern“, sagt er.

Zuhause in Ochenbruck

In Ochenbruck ist er mit seiner Irmgard daheim, die Kinder sind aus dem Haus. Zwei Enkel haben die beiden. Nun ist die Frau an Krebs erkrankt und Neukamm möchte für sie da sein.

Deshalb tritt er zwei Jahre früher als zunächst geplant in den Ruhestand. Aber er will auch Zeit haben, sich auf seine alte 750er Honda zu setzen oder in einem Chor zu singen. Er muss unter die Leute, sagt er. Seinem Nachfolger und den Vorstandskollegen hinterlässt er es, wieder einmal einen neuen Vorstandsvorsitzenden für die Rummelsberger zu finden. Denn Rektor Reiner Schübel ist nach nur eineinhalb Jahren gegangen.