Behördenkram hielt Karl-Heinz Ott in den vergangeen Wochen auf Trab. "Ich werde von der Lebenshilfe seit Oktober ambulant unterstützt", erzählt der 52-Jährige aus Würzburg, der aufgrund der Spätfolgen einer Hirnhautentzündung eine Lernbehinderung hat. Diese Hilfestellung musste er sich behördlich genehmigen lassen - und schon da beginnt das Problem. Denn alleine das Antragsformular unter mehr als 100 Links auf der Download-Seite des Kostenträgers zu finden, war äußerst kniffelig. "Mir hat die Lebenshilfe geholfen", sagt Ott und räumt ein: "Ich hätte es sonst nicht geschafft, den Antrag herunterzuladen."

Komplizierte Anträge alleine auszufüllen, sei für ihn unmöglich, schildert Ott, der nicht rechtlich betreut werden will: "Ich gehe dann bei den Behörden vorbei oder rufe an und lass mir erklären, was ich nicht verstehe." Ob Bezirk, Zentrum Bayern Familie und Soziales (ZBFS), Krankenkasse, Rentenversicherung oder Stadt: "Die Menschen sind freundlich und helfen mir." Was daran liegt, dass auch Ott höflich auftritt. Obwohl er mitunter genervt ist. Denn durch das Nachfragen dauert alles noch mal so lange: "Ich würde mir wünschen, dass sich Behörden leichter ausdrücken." Womit Ott nicht alleine dasteht.

Barrierefreiheit auch von nicht behinderten Menschen erwünscht

Viele Bürger steigen bei behördlichen Schreiben nicht durch. Das hat auch die Bayerische Staatsregierung erkannt. Das neue Bayerische Behindertengleichstellungsgesetz (BayBGG), dessen Entwurf Anfang September vom Kabinett vorgestellt wurde, fordert nicht nur für behinderte Menschen barrierefreie Kommunikationswege. Thomas Martin, bei der Würzburger Lebenshilfe für Assistenz beim Wohnen zuständig, begrüßt die Novellierung sehr. Nicht alle seiner Klienten seien so hartnäckig wie Karl-Heinz Ott: "Was er in den letzten Monaten geleistet hat, davor kann man nur den Hut ziehen."

Erwerbsunfähigkeits-Rentner Ott ist in "Kämpfen" mit Behörden inzwischen geübt. Das verbindet ihn mit seinen Schicksalsgenossen, die auf Hartz-IV-Niveau leben: Menschen in prekären Lebensverhältnissen haben zwangsläufig permanent Kontakt mit Ämtern. Ständig gilt es, etwas zu beantragen, um den Lebensunterhalt zu sichern. Eine Sache zieht die andere nach sich. Weil Ott nun von der Lebenshilfe ambulant betreut wird, ist ein anderer Sozialhilfeträger für ihn zuständig. Bisher hatte die Stadt Otts Miet- und Heizkosten übernommen. Künftig wird das der Bezirk tun. Neue Behördenkontakte sind nötig.

Weil sich seine körperlichen Erkrankungen verschlimmern, musste Ott das ZBFS kontaktieren. Dort wird dann entschieden, welchen Grad der Behinderung ein beeinträchtigter Mensch erhält. Je höher der Grad ist, desto mehr Vergünstigungen: "Deshalb will ich kämpfen." Ott hat nicht nur Asthma und ein schwaches Herz, er hat außerdem Depressionen. Deshalb musste er umziehen. Seine alte Wohnung war hellhörig: "Oft war es schrecklich laut, ich ertrug das nicht mehr." Nachdem er kein Geld hat, zog der Umzugswunsch weitere Behördenkontakte, weitere Formulare und weitere Anfragen bei Ämtern nach sich.

Leichte Sprache für alle

Die bayerische Staatsregierung will bis 2023 den gesamten öffentlichen Raum und den öffentlichen Personennahverkehr barrierefrei gestaltet haben. Um dieses hehre Ziel zu erreichen, seien gerade im Bereich Kommunikation noch erhebliche Anstrengungen nötig, sagt Holger Kiesel, Behindertenbeauftragter der bayerischen Staatsregierung. "Es fehlt bei den Behörden nach wie vor an Infomaterial in Leichter Sprache, an der entsprechenden Gestaltung der Webseiten und Behördenbriefe sowie an geschulten Mitarbeitern, die Inhalte besonders verständlich vermitteln können", listet er auf.

Für Kiesel ist der Wendepunkt hin zu einer inklusiven Gesellschaft noch lange nicht erreicht. Gerade Leichte Sprache müsse noch viel stärker genutzt werden: "Ich hoffe, dass das neue BayBGG hier deutliche Verbesserungen bringt." Verbesserungen für behinderte Menschen seien auch im Bezug auf das Thema Wohnen dringend notwendig: "Es muss unbedingt zusätzlicher barrierefreier Wohnraum geschaffen werden." Auch beim ÖPNV gebe es Verbesserungspotenzial. In einigen ländlichen Regionen gebe es kaum ÖPNV: "Was die Mobilität gerade von Menschen mit Behinderungen massiv einschränkt."

Wie sehr sich Menschen mit Lernbeeinträchtigung plagen, wenn sie Schreiben an Behörden abfassen oder Anträge ausfüllen müssen, weiß auch Oswald Utz, ehrenamtlicher Behindertenbeauftragter der Stadt München: "Wir erwarten uns von der Novelle des BayBGG im Bereich Kommunikation deutliche Verbesserungen." Dabei gehe es nicht nur um Anträge, Bescheide oder Gesetzestexte in Leichter Sprache. "Auch im persönlichen Gespräch mit der Verwaltung brauchen Menschen mit kognitiven Einschränkungen einfache Erklärungen, Unterstützung beim Ausfüllen von Formularen und mehr Zeit bei der Beratung."

Digitalisierung ist nicht immer hilfreich

Auch geht Inklusion und Digitalisierung nicht unbedingt zusammen - fallen kognitiv beeinträchtigten Menschen doch oft schon Beratungen und Auskünfte am Telefon schwer. Utz: "Sie brauchen das persönliche Gespräch, um alle für sie wichtigen Informationen zu erfassen." Beim Trend hin zu mehr Digitalisierung würde die Personengruppe oftmals ausgegrenzt: "Es fehlt ihnen ja meist der Zugang zu digitalen Medien und die notwendige Erfahrung bei der Nutzung von online erhältlichen Formularen." In München werde aktuell an einer Strategie gearbeitet, die diese Problematik strukturell angehen möchte.

Dass es Bürgern auch künftig möglich sein muss, zwischen den Optionen "analog" und "digital" zu wählen, hat man im Landratsamt München ebenfalls erkannt. "Wir haben bereits mehrere Maßnahmen zur Unterstützung der barrierefreien Kommunikation ungesetzt", sagt Sprecherin Christina Walzner. So wurden Mitarbeiter geschult, wie sie Leichte Sprache einsetzen können. Teile der Internetseite wurden in Leichte Sprache übersetzt. Weitere Vorhaben zu mehr Barrierefreiheit seien seit 2015 in einem Aktionsplan definiert. Bei der Umsetzung hilft der im Landkreis laut Walzner "sehr rege Behindertenbeirat".