Der Freiburger Islamwissenschaftler Abdel-Hakim Ourghi hat für einen Eklat gesorgt: Der gebürtige Algerier heftete 40 Thesen zu einem humanistischen, friedfertigen Islam an die Tür der Dar-as-Salam-Moschee in Berlin, die auch als "Neuköllner Begegnungsstätte" (NBS) bekannt ist. Die Aktion ist auf heftige Reaktionen gestoßen. Die Moscheegemeinde sieht sich zu Unrecht mit dem Etikett "salafistisch" stigmatisiert. Auch aus der evangelischen Kirche Berlins wurden sehr kritische Stimmen laut. Im Gespräch erklärt Ourghi, warum er die Berliner Moscheegemeinde kritisch sieht und warum Außenstehende seiner Meinung nach den nötigen Dialog unter den Muslimen selbst nicht zu verhindern suchen sollten.

Der Imam der "Neuköllner Begegnungsstätte", Mohamed Taha Sabri, wurde für seine Integrationsarbeit unter anderem 2015 mit dem Verdienstorden des Landes Berlin ausgezeichnet. Dem Berliner Verfassungsschutzbericht 2016 ist aber auch zu entnehmen, dass sich in der Moschee gelegentlich Anhänger der islamistischen, aber nicht verbotenen Muslimbruderschaft treffen. Abdel-Hakim Ourghi, Vertreter eines aufgeklärten Islam, hält das Gedankengut der Moscheegemeinde für salafistisch beeinflusst und hatte sie daher gezielt für seinen "Thesenanschlag" ausgewählt.

Der evangelische Pfarrer Martin Germer von der Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche stellte sich daraufhin hinter Imam Sabri. In einem Offenen Brief schrieb er, dass er aus eigener Anschauung und aus Gesprächen wisse, dass die Moscheegemeinde für ein "friedensförderliches und für die Lebensbedingungen in Europa offenes Verständnis des Islam" werbe. Die Moscheegemeinde selbst wollte sich zunächst nicht äußern. Im Interview erklärt Abdel-Hakim Ourghi, warum er die Berliner Moscheegemeinde kritisch sieht.

 

Herr Ourghi, vor wenigen Tagen haben Sie 40 Thesen zur Reform des Islam an die Tür der Berliner Dar-as-Salam-Moschee in Berlin-Neukölln angebracht. Warum gerade diese Moschee?

Abdel-Hakim Ourghi: Ich wollte die Thesen unbedingt an eine arabischsprachige Moschee hängen, weil der arabischsprachige Islam mit seinen wichtigen Lehrinstanzen in Ägypten und Saudi-Arabien eine zentrale Rolle spielt und der Wächter des konservativen Islam ist. Außerdem ist der Salafismus vor allem in arabischen Gemeinden verbreitet.

Das bedeutet, dass Sie auch die Dar-as-Salam-Mo­schee, die von Imam Mohamed Taha Sabri geleitet wird, als salafistisch einstufen?

Ourghi: Ja sicher. Ich habe die Moschee genau unter die Lupe genommen. Ich würde nicht alle Mitglieder der Moschee als Salafisten betrachten, aber das Gedankengut dieser Moschee läuft eindeutig in diese Richtung, nämlich dass der Koran über allem – auch über dem Grundgesetz – steht.

Woran zeigt sich das?

Ourghi: Mir liegen Zitate beispielsweise aus einer Freitagspredigt des Imams vom Oktober 2016 vor, die sehr bedenklich sind und auch nicht vereinbar mit dem Grundgesetz. Darin sagt er, dass der Koran als Gottes Wort für den Alltag der Muslime bindend sei und die Muslime sich nur an ihm orientieren sollen. Alles andere sei unwichtig. Zudem waren in der Moschee verschiedene islamistische Prediger wie der tunesische Gelehrte Abdelfattah Mourou, einer der Gründer der islamistischen Partei "Ennahda", zu Gast – zuletzt im Februar 2017. Einen Tag zuvor hatte genau dieser Gelehrte in einer Versammlung von Palästinensern zum Heiligen Krieg gegen Israel aufgerufen.

Im November 2014 hielt der aus Israel stammende Araber Raed Fathi dort Vorträge, der laut Sicherheitsexperten der palästinensischen Terrorvereinigung Hamas nahesteht. 2013 hat dort auch der berühmte saudische Islamist Muhammad al-Arifi gepredigt, der gegen Homosexuelle hetzt oder Ehemännern empfiehlt, ihre Frauen mit Schlägen zu züchtigen. Hinzu kommt, dass die Dar-as-Salam-Moschee im Bericht des Berliner Landesamts für Verfassungsschutz wegen der besonderen Nähe zu den ägyptischen Muslimbrüdern, der Keimzelle der Islamisten, erwähnt wird.

Und doch fällt die Moschee durch ihre sozialen Aktivitäten und Teilnahme an interreligiösen Veranstaltungen wie der "Friedenskundgebung am Breitscheidplatz" positiv auf.

Ourghi: Ja, da gibt es eine Diskrepanz. Dies liegt wahrscheinlich daran, dass sie ihre interreligiösen Gesprächspartner zufriedenstellen wollen und ihnen das sagen, was sie gerne hören.

Aber die Predigten in den Gemeinden sehen anders aus. Sie konkurrieren zum Teil mit den westlichen Werten. Die Wortführer des Islam beherrschen kunstvoll das rhetorische Spiel. Einerseits verkaufen sie ihn politisch ambitioniert nach außen als "Religion des Friedens", und andererseits predigen sie ihn heimlich in den Gemeinden nach innen als "gottesrechtliche Gesellschaftsordnung".

Was wollten Sie mit Ihrem Thesenanschlag an der Moschee erreichen?

Ourghi: Es ist für mich ein Versuch, dass unter den Muslimen ein Dialog stattfindet. Ehrlich gesagt habe ich nicht mit der Offenheit von Herrn Sabri gerechnet. Er hat mir das Tor aufgemacht und mir erlaubt, die Thesen aufzuhängen und in der Moschee zu beten. Anschließend hat er mich sogar zu einem Gespräch in seiner Moschee eingeladen, dafür bin ich ihm sehr dankbar. Das kann der Beginn eines innermuslimischen Dialogs sein. Ich möchte nicht Herrn Sabri oder anderen meine Ideen aufzwingen, sondern die Thesen sollen einladen, dass Muslime über einen aufgeklärten Islam diskutieren.

Ihr Thesenanschlag wurde vor allem in Kirchenkreisen kritisiert. Martin Germer, evangelischer Pfarrer der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche, warf Ihnen unter anderem Provokation und Werbung für Ihr neu erschienenes Buch "Reform des Islam. 40 Thesen" vor.

Ourghi: Ein evangelischer Pfarrer kann gerne im interreligiösen Dialog mit Muslimen stehen. Aber warum mischt sich Herr Germer in eine innerislamische Angelegenheit ein? Ich würde es niemals wagen, mich über ein gemeinsames Abendmahl zwischen Protestanten und Katholiken zu äußern. Das geht mich überhaupt nichts an.

Ich habe mich an die Medien gewandt, um meine Ideen zu verbreiten und um möglichst viele Muslime damit zu erreichen. Hätte Martin Luther in unserer Zeit gelebt, hätte er wohl auch die Presse und Fernsehsender zu seinem Thesenanschlag eingeladen. In Rom hätte er bestimmt nicht um Erlaubnis gefragt. Ich hätte nie gedacht, dass gerade Kirchenvertreter etwas gegen die Veröffentlichung meiner Thesen haben. Und finde es traurig, dass manche Nachkommen der deutschen Aufklärung anscheinend Gegner einer Aufklärung der Muslime und des Islam sind.