Der Run auf Museen ist ungebrochen. Mehr als 110 Millionen Besuche pro Jahr verzeichnen deutsche Museen aktuell, vor zehn Jahren waren es noch fünf Millionen weniger. Dabei hat sich seither viel verändert: Große Ausstellungen wie etwa "Utrecht, Caravaggio und Europa" 2019 in der Alten Pinakothek in München locken massenweise Besucher an, ganz zu schweigen von internationalen Kunstpilgerstätten wie dem Louvre in Paris.

Wie der Museumsbesuch zum nachhaltigen Erlebnis wird, wie Kunst anzuschauen ist und welche Rolle das Smartphone spielt - darüber hat der Münchner Kunsthändler Konrad O. Bernheimer ein Buch geschrieben: "Gebrauchsanweisung fürs Museum". Am Mittwoch, 15. Januar, liest Bernheimer daraus im Museum Fünf Kontinente.

Herr Bernheimer, die Menschen strömen zuhauf in die Museen - benötigen sie dazu eine "Gebrauchsanweisung"?

Konrad O. Bernheimer: Als der Verlag mich angesprochen hat, ob ich in dieser Reihe ein solches Buch verfassen könne, war mein erster Gedanke: Das kann man nicht schreiben. Ich hatte eher im Kopf, was ich auch noch plane: Mein persönliches "musée imaginaire" mit den 250 für mich wichtigsten Bildern. Doch dann fielen mir lauter Punkte ein, die Museumsbesucher interessieren könnten: wie man am besten ein Museum besucht, ein Gemälde anschaut oder warum Kirchen manchmal die besseren Museen sind.

Wie besucht man am besten ein Kunstmuseum?

Bernheimer: Mein Großvater, der mich schon als Kind ans Museum herangeführt hat, hat immer gesagt: Wenn du ins Museum gehst, schau dir nicht das Museum an, sondern überlege dir vorher, was du dir ansehen willst. Das heißt: Man sollte sich vornehmen, einen bestimmten Teil einer Ausstellung intensiv zu betrachten, statt oberflächlich das ganze Museum abzuscannen. Davon hat man viel mehr.

Wie viele Bilder pro Besuch empfehlen Sie?

Bernheimer: Ich war mal bei einer Privatführung in den Uffizien in Florenz. In dreieinhalb Stunden haben wir vier Bilder gesehen. Das empfehle ich! Natürlich ist das Luxus - manchmal hat man keine Gelegenheit, ein Museum bald noch mal zu besuchen, etwa auf Reisen. Und natürlich ist es am besten, häufiger und dafür kürzer in die Museen zu gehen. Ich wohne eine Viertelstunde zu Fuß von den Pinakotheken entfernt. Aber auch wenn man ein einziges Mal in einem Museum ist, lohnt es sich, nicht auf Quantität zu gehen, sondern auf Qualität.

Wo es noch erlaubt ist, laufen heute viele Menschen mit dem Smartphone durchs Museum und filmen alles einmal ab?

Bernheimer: Das ist etwas, das ich überhaupt nicht verstehe. Was haben sie davon? Wann schauen sie sich das später noch mal an, und warum? Man sieht kein Bild richtig, es ist kein Erlebnis.

Und was halten Sie vom Filmen, wenn in berühmten Gebäuden die Architektur selbst ein Erlebnis ist, etwa wenn man in der Hamburger Elbphilharmonie mit den Rolltreppen fährt?

Bernheimer: Auch dann bringt es doch nichts, das zu filmen! Das Sehen und Erleben muss physisch stattfinden, es muss gespürt werden. Manchmal ist das mit den Handys schwer zu ertragen. Das ist ja fast, wie im Restaurant sein Essen nur zu fotografieren und nicht zu essen. So ist es auch mit Bildern - Bilder sind zum Ansehen da.

Wie sollte man ein Bild anschauen?

Bernheimer: Es war immer eine große Freude, mit dem Münchner Kunsthistoriker Willibald Sauerländer ein Museum zu besuchen. Er stellte sich mitten in den Raum und begann, sich laut denkend ein Bild zu erschließen: In welcher Zeit befinden wir uns? Was sehen wir für Kostüme, was passiert zwischenmenschlich? Welche Geschichte erzählt das Bild? Auch bei Porträts geht das: Wer ist abgebildet? Von wem könnte das Bild sein, wann hat er es gemalt? So sollte man sich ein Bild allmählich erlesen, statt nur das Label zu studieren.

Viele Leute haben zumindest soviel Halbwissen, um vor den Bildern über die Pinseltechnik eines van Gogh zu sinnieren?

Bernheimer: Da halte ich es mit dem Kunsthistoriker Ernst Gombrich, dessen "Geschichte der Kunst" ich jedem Interessierten empfehle. Er schreibt: Viele Leute wüssten etwa, dass Rembrandt für seinen Chiaroscuro-Stil berühmt sei, sagten etwas Tiefsinniges darüber und gingen dann zum nächsten Bild. Doch Bilder nur kunsthistorisch einzuordnen und in wissenschaftliche Schubladen zu stecken, ist nicht nachhaltig. Es geht auf Kosten der Intensität des eigenen Schauens.

In Ihrem Buch beziehen Sie sich vor allem auf Alte Meister. Muss man nicht viel wissen, um die Bilder eines Tizian, Velázquez oder Vermeer zu verstehen?

Bernheimer: Wissen hilft, aber es ist keine Grundbedingung dafür, ein Bild zu verstehen. Es ist gut, wenn man sich beispielsweise bei den Heiligenlegenden auskennt - dann muss man sich nicht erst alles anlesen und zu viel Zeit mit dem Label verbringen. Aber man braucht beileibe nicht viel Detailwissen, um die Farben und Formen zu genießen, sich darauf zu konzentrieren, was vor sich geht, und das Bild aus einer rein menschlichen Perspektive zu betrachten. Etwa in der aktuellen Van-Dyck-Ausstellung in München: Wenn ich sehe, wie der heilige Laurentius auf einem Grill gebraten wird, ist es sekundär, ob ich die Geschichte kenne.

Warum sind Kirchen die besseren Museen, wie Sie es nennen?

Bernheimer: Der wichtigste Auftraggeber für Kunst war über Jahrhunderte die Kirche. Viele Bilder wurden für Kirchen gemalt. So wunderbar es ist, Museen zu besuchen und Ausstellungen hinterherzureisen: Die schönste Betrachtung bleibt die, bei der man ein Bild in situ aufsucht, also an der Stelle, für die es geschaffen wurde. Ein Beispiel ist der Ort Carmignano bei Florenz, wo in einem Kirchlein ein Meisterwerk zu sehen ist: die "Heimsuchung Mariens" von Jacomo Pontormo. Oder nehmen Sie das Altarbild Tizians in der Frari-Kirche in Venedig. Da stimmen dann die Proportionen! Die wenigsten Bilder wurden für Museen geschaffen, wo sie meist aus dem Zusammenhang gerissen sind. Manche Kuratoren hängen die Bilder auch viel zu niedrig - sie wollen sie dem Besucher nahebringen, aber dann erscheint das Gemalte oft verzerrt.

Welche Rolle beim Kunstgenuss spielt die Architektur eines Museums?

Bernheimer: Der Museumsbau darf dem Kunstgenuss zumindest nicht hinderlich sein. Ein Beispiel für gelungene Architektur ist etwa die Neue Pinakothek in München, die von außen wie eine Festung erscheint, in der der Besucher aber in einem perfekten Rundgang in Form einer Acht geführt wird. Und natürlich gibt es international seltene Glücksfälle.

Manche Museen spielen digital vorne mit und präsentieren ganze Ausstellungen als Online-Erlebnis. Finden Sie das gut?

Bernheimer: Das sind Erlebnisse für sich, man kann dort viel entdecken und Lust auf die echte Ausstellung bekommen. Ebenso empfehle ich immer noch die Kunst-Monografien des Taschen-Verlags: Da kann man Bilder gut studieren. Ich habe erst in der Abbildung eines Vermeer-Gemäldes die herrlichen Delfter Kacheln am Rand entdeckt, also ein Detail, das mir beim Anschauen vor Ort entgangen war. Manche Meisterwerke kann man wegen des Besucheransturms auch kaum noch live anschauen, etwa die "Mona Lisa" im Louvre. Trotzdem sollte man manche Bilder in echt gesehen haben, etwa Leonardos "Abendmahl" in Mailand oder die Giotto-Fresken in Padua.

Oft belagern mit Zeichenblöcken bewaffnete Schulklassen berühmte Bilder, um sie abzumalen. Was halten Sie davon?

Bernheimer: Ich glaube nicht, dass man dabei viel lernt. Das Abmalen hält davon ab, nur zu schauen. Für die Lehrer wäre es mühsamer, bei den Schülern wirklich das Interesse zu wecken.

Viele Kinder streiken bei einem Besuch im Kunstmuseum. Wie bringen Sie Ihren Enkeln das Bilderanschauen nahe?

Bernheimer: Ich habe mit den Ritterrüstungen im Bayerischen Nationalmuseum angefangen, danach sahen wir uns die "Alexanderschlacht" in der Alten Pinakothek und das Dürer-Selbstporträt an. In der Pinakothek der Moderne gingen anfangs nur die Automodelle in der Designabteilung. Es sollte einfach natürlich sein, ins Museum zu gehen. Auch beim Deutschen Museum sollte man sich vorher genau überlegen, was man sich anschauen will. Wenn Kinder beim Besuch ermüden, wächst die Aversion. Eine Stunde genügt vollkommen. Den anderen Bildern winkt man dann zu: Euch sehen wir das nächste Mal.