Derzeit steht es in der Frage nach der Umbenennung von bayerischen Meiser-Straßen 2:3. Im Jahr 2007 hatten Nürnberg und München ihre nach dem ehemaligen evangelischen Landesbischof von Bayern, Hans Meiser (1881-1956), benannten Straßen per Stadtratsbeschluss umbenannt.

Als Grund wurden unter anderem Meisers antisemitische Äußerungen in einem Artikel von 1926 ins Feld geführt. Drei andere Städte lehnten eine Umbenennung ab: Weiden (2009), Bayreuth (2010) und Ansbach (2006 und 2013). Die jüngste Debatte ist nun in Pullach im Münchner Süden entbrannt: Der Gemeinderat vertagte aber im November 2021 die Entscheidung über die dortige Bischof-Meiser-Straße ins neue Jahr.

Den Antrag zur Umbenennung hatte das Geschichtsforum Pullach bereits Anfang 2021 gestellt. Weil der frühere Landesbischof in zwei Aufsätzen "dezidiert antisemitisch" argumentiert und in der NS-Zeit konsequent zu Judenverfolgung und Euthanasie geschwiegen habe, solle er nicht länger durch einen Straßennamen geehrt werden, heißt es in der Begründung.

In Pullach gibt es mehrere Orte mit NS-Vergangenheit 

Peter Habit, Vorstandsmitglied im Geschichtsforum, verwies auf Anfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd) auf die NS-Vergangenheit des Orts: Die NS-Siedlung "Sonnenschein" werde heute vom Bundesnachrichtendienst genutzt, bei der ortsansässigen Firma Linde mussten viele Zwangsarbeiter schuften. "Wir wollen uns, auch vor dem Hintergrund des zunehmenden Antisemitismus heute, mit diesen Aspekten der Pullacher Geschichte auseinandersetzen - die Meiserstraße ist ein Baustein darin", sagte er.

Zunächst wurde der Antrag auf Umbenennung im April 2021 im Gemeinderat mit großer Mehrheit angenommen. Bald darauf kamen dem SPD-Abgeordneten Holger Ptacek jedoch Zweifel. "Es ist doch seltsam, dass der eingefleischte Antisemit Meiser so vehement Widerstand gegen die Gleichschaltung seiner Kirche leistete - das war für mich der erste Riss in der Darstellung", sagte er gegenüber dem epd.

Werden die Kriterien für eine Umbenennung ausreichend erfüllt? 

Außerdem gibt es da noch die Handreichung des Deutschen Städtetags vom März 2021 mit dem Titel "Straßennamen im Fokus einer veränderten Wertediskussion". Das Papier will Kommunen einheitliche Kriterien zur Be- und Umbenennung von Straßen an die Hand geben. Als Kriterien für eine Umbenennung listet das Papier Verstöße gegen Grundgesetz und Menschenrechte, Mitgliedschaft in diktatorischen oder kolonialistischen Strukturen, aktive Verbreitung menschenfeindlichen Gedankenguts oder Kriegsverbrechen.

Die VELKD stimmte der Umbenennung im April zu 

Holger Ptacek betont, dass manche Äußerungen Meisers unerträglich seien und dass der Bischof "sicher antijüdische Vorurteile" hatte, die unentschuldbar seien, "weil es auch in den 1920er-Jahren Möglichkeiten gab, anders zu denken". Hans Meiser deshalb aber auf eine Stufe mit Kriegsverbrechern und Volksverhetzern zu stellen, das findet der Sozialdemokrat ungerecht.

Landesbischof Hans Meiser 1955 vor der Bayreuther Spitalkirche
Landesbischof Hans Meiser 1955 vor der Bayreuther Spitalkirche

Und was meint die Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche in Deutschland (VELKD), das Kirchenbündnis, das Hans Meiser nach 1945 mitgegründet hatte und dessen Theologisches Studienseminar Anrainer der Bischof-Meiser-Straße in Pullach ist? Noch im April gab Ralf Meister, Leitender Bischof der VELKD, auf Anfrage der Kommune grünes Licht: Angesichts der "widersprüchlichen und im Kern eindeutig antisemitischen Äußerungen" Meisers stimme man der Straßenumbenennung zu.

Es gibt auch mildere Beurteilungen Meisers 

Über den Sommer 2021 gewann die Diskussion in Pullach an Fahrt; zugleich erschien eine neue Dissertation mit dem Titel "Hans Meiser. Lutheraner - Untertan - Opponent" auf dem wissenschaftlichen Buchmarkt. Die Historikerin Nora Andrea Schulze von der Münchner Forschungsstelle für Kirchliche Zeitgeschichte kommt darin zu einer milderen Beurteilung Meisers als die Historiker und Theologen, die die Nürnberger und Münchner Debatten bestimmt hatten.

Meiser als "bekennenden Antisemit" einzustufen, halte sie "in dieser Form für verfehlt", sagte Schulze im epd-Gespräch. Der Theologe habe keine antisemitische Hetze betreiben wollen; das Thema "Judentum" bilde in seinem Schriftgut die Ausnahme. Meiser lasse sich deshalb "mit agitierenden Antisemiten seiner Zeit keineswegs in eine Reihe stellen", so Schulzes Fazit. Für ihre Forschungsarbeit wurde die Historikerin im November 2021 mit dem Pechmann-Preis der bayerischen Landeskirche ausgezeichnet.

Die Diskussion ist mittlerweile offen 

Schulzes Arbeit scheint der Meiser-Diskussion eine neue Richtung zu geben. Auch VELKD-Bischof Ralf Meister beruft sich auf die Biografie. Im Dezember 2021 sagte er auf epd-Anfrage, dass mit der Umbenennung der Pullacher Meiserstraße "das komplexe Thema" verbunden sei, wie man heute mit historisch ambivalenten Personen umgehen solle. Man müsse einen Weg finden,

"der vorschnelle Entscheidungen im Sinne einer ›Cancel Culture‹ ebenso vermeidet wie ein unhinterfragtes Hinnehmen, das die offene Debatte scheut",

teilte Meister mit. Seitens der VELKD verweise man auf die aktuelle Forschung zu Bischof Meiser. Einer Umbenennung würde man sich gegebenenfalls dennoch "nicht verschließen".

Rektor Detlef Dieckmann vom Theologischen Studienseminar begrüßte wiederum die "lebendige Debatte über die Frage der Umbenennung". Sein Haus wolle dabei "als Ort für Bildung, Reflexion und Diskurs auch im kommunalen Kontext" fungieren. Vortragsveranstaltungen mit Nora Schulze seien denkbar.

Die Debatte wird nun sachlicher 

Das dürften sowohl die Befürworter wie die Gegner der Straßenumbenennung gutheißen. "Es geht nicht darum, Recht zu haben, sondern darum, eine offene Diskussion zu führen", sagte Peter Habit vom Geschichtsforum. Inwiefern sich die historische Forschung im Fall Meiser oder nur die Einstellung heutiger Akteure verändert habe, interessiert auch Gemeinderat Holger Ptacek. Eine rein moralische Diskussion hingegen hält er für sinnlos: "Da kann man nur verlieren."

Der zeitliche Abstand zu den letzten Debatten birgt für die Pullacher jedenfalls eine große Chance: Sie könnten mithilfe der neuen Forschungsgrundlage diese Meiserstraßen-Diskussion weniger emotional führen als ihre Vorgänger.