In Bayern steht die Landtagswahl vor der Tür. Am 8. Oktober sind die bayrischen Bürgerinnen und Bürger aufgerufen, einen neuen Landtag zu wählen. Doch immer mehr Menschen wenden sich von der Politik ab, die Zahl der Nichtwähler steigt, extreme Parteien befinden sich im Aufwind. Thorsten Winkelmann von der Uni Erlangen-Nürnberg forscht seit Jahren zu den Themen Politische Systeme, Wahlen und Parteien. Er erläutert, wie es zu Politikverdrossenheit kommt und was dagegen getan werden kann.

"SPD und Union haben in den letzten Jahren nicht nur Mitglieder, sondern auch Wähler verloren."

Herr Winkelmann, wie erklären Sie sich die abnehmende Wahlbeteiligung der vergangenen Jahre und die zunehmende Politikverdrossenheit?

Thorsten Winkelmann: Es gibt verschiedene Gründe für die zunehmende Politikverdrossenheit. Es läuft auf drei Ebenen ab: Die erste ist die gesellschaftliche Ebene. Wir konnten in den letzten Jahren vermehrt beobachten, wie sich soziale Milieus auflösen - weg von gesellschaftlichen Organisationen wie Verbänden und Vereinen, hin zum Individuum. Für die Politik ist es schwierig geworden, Entscheidungen zu treffen, die allen gerecht werden und von der Mehrheit der Bevölkerung getragen werden. Dieser Trend ist auch an der Erosion der Volksparteien zu sehen. SPD und Union haben in den letzten Jahren nicht nur Mitglieder, sondern auch Wähler verloren. Kleinere Parteien konnten gewinnen.

Und die anderen beiden Ebenen?

Die zweite ist die individuelle Ebene. Das Interesse an Politik hat sich verändert. Früher war Wählen-gehen Bürgerpflicht. Man ist gemeinsam mit der Familie am Sonntag zur Wahlurne gegangen. Heute sieht der einzelne Wahlberechtigte die Stimmabgabe eher als Angebot an. Wir sehen: Bei schlechtem Wetter nimmt die Wähleranzahl ab. Und dann ist da noch die politische Ebene. Politiker sind heutzutage eher politische Unternehmer. Es geht um Machterwerb und -erhalt. Die Kommunikation von Inhalten ist wichtiger geworden als die Inhalte selbst. Debatten werden heute in den Medien ausgetragen, nicht mehr im Plenum. Wir leben in einer Mediendemokratie.

"Die Personalisierung und Amerikanisierung der Politik hat zugenommen."

Was bedeutet das konkret?

Es pilgern immer die gleichen Politiker in die politischen Talkshows von Anne Will, Markus Lanz, Sandra Maischberger und Maybrit Illner. Die Personalisierung und Amerikanisierung der Politik hat zugenommen. Der Trend geht weg von Themen und Programmen hin zu Personen. Der einzelne Politiker rückt in den Vordergrund. Das sah man auch an Kanzlerduellen, wie der Wahlarena. Damals wurde in den Medien mehr über Angela Merkels Perlenkette als über ihre Aussagen diskutiert.

Würden Sie also sagen, dass Politik immer oberflächlicher wird?

Ja, auf jeden Fall. Das führt unter anderem dazu, dass Politiker zunehmend mit Floskeln arbeiten. Wir leben in einem Medienzeitalter. Politiker reagieren auf Situationen und bauen ihre Entscheidungen auf kurzfristige Meinungsumfragen auf. Die langfristigen, nachhaltigen Visionen fehlen.

"Das Interesse an Politik ist grundsätzlich da."

Welche Möglichkeiten sehen Sie, um der Politikverdrossenheit entgegenzuwirken?

Es ist zunehmend wichtig, den Sozialkundeunterricht und die politische Bildung aufzuwerten. Das Interesse an Politik ist grundsätzlich da. Aber vieles wird heute über die sozialen Medien wie Twitter ausgetragen. Die Menschen sind sich teilweise nicht bewusst, dass sie auch wählen gehen müssen.

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