Auch die bayerische Kirchenleitung begrüßte im April 1933 den neuen Staat als einen "Staat, der wieder anfängt, nach Gottes Gebot zu regieren". Der neu gewählte bayerische Landesbischof Hans Meiser stand dem Nationalsozialismus aufgeschlossen gegenüber. Er sah in ihm eine religiöse Kraft, von der er sich eine Unterstützung bei der Wiedergewinnung des entkirchlichten Volkes erhoffte. Seine Amtseinführung am 11. Juni 1933 in der Lorenzkirche in Nürnberg war eine Demonstration des guten Einvernehmens zwischen Staat und Kirche.
Doch dieses gute Verhältnis hielt nicht lange vor. Adolf Hitler verfolgte von Beginn an eine radikale Kirchenpolitik. Sein erstes Ziel war die Gleichschaltung der Kirche unter der Ideologie eines völkischen Christentums. Der Führer verlangte den Zusammenschluss des in 28 Landeskirchen und in drei Konfessionen zersplitterten Protestantismus zu einer geeinten evangelischen "Reichskirche". Nach einigen Widerständen wurde im September 1933 der Hitler-Vertraute Ludwig Müller durch die Nationalsynode der Deutschen Evangelischen Kirche in Wittenberg zum Reichsbischof gewählt.
Hitler baute auf die wachsende kirchliche Bewegung der Deutschen Christen, die stark von der Ideologie des Nationalsozialismus geprägt waren. Sie wollten die Einführung des "Arierparagrafen" in der Kirche, die Eingliederung der Evangelischen Jugend in die HJ und die Entfernung des Alten Testaments aus der Bibel.
Die "Deutschen Christen" waren vielen Kirchenmitgliedern zu radikal
Das und das offensichtlich antichristliche Programm der Deutschen Christen war dann vielen Mitgliedern zu radikal. Und so erlebte eine Gegenbewegung starken Zulauf: die "Bekennende Kirche". Zu deren prägenden Gestalten gehörte Hans Meiser. Ihm gelang es in Bayern, dass sich die Deutschen Christen seiner Führung unterstellten.
Die Bekennende Kirche arbeitete auf den Sturz des Reichsbischofs und die Ablösung der deutschchristlichen Kirchenregierungen hin. Meiser brachte den Spagat zwischen christlich motivierter Obrigkeitstreue und kirchenpolitischer Kritik gegenüber Hitler 1934 zum Ausdruck: "Dann bleibt uns nichts anderes übrig, als unseres Führers allergetreueste Opposition zu werden."
In einer großen Kundgebung im April 1934 im Ulmer Münster stellte sich die Bekennende Kirche als "rechtmäßige evangelische Kirche Deutschlands" vor. Die Trennung war vollzogen, der Kirchenkampf in vollem Gang.
Eine Synode sollte Klarheit bringen. In Wuppertal-Barmen versammelten sich Vertreter der Bekennenden Kirche vom 29. bis 31. Mai 1934 zu ihrer ersten Synode und verabschiedeten die Barmer Theologische Erklärung als Fundament ihrer Kirche. Die 139 Vertreter kamen aus lutherischen, reformierten und unierten Kirchen.
Lutheraner und Reformierte rückten zusammen
Das Besondere: Die unterschiedlichen evangelischen Konfessionen standen sich damals noch fern, sie hatten keine Abendmahlsgemeinschaft. Doch die Krise "prügelte sie zusammen", wie es ein Zeitzeuge formulierte. Bereits die erste These formuliert den Widerspruch der Bekennenden Kirche gegen jede "natürliche Theologie", die Offenbarungen Gottes in der Vielfalt weltlicher Kultur und Ideen sieht. Demgegenüber steht nun Jesus Christus als "das eine Wort Gottes, das wir zu hören und dem wir im Leben und Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben". Damit wird verworfen, dass es in der Kirche noch "andere Ereignisse und Mächte, Gestalten und Wahrheiten" gibt.
Die Erklärung richtete sich also gegen die natürliche Theologie – und damit gegen die Ideologie der Deutschen Christen. Die Reaktionen blieben nicht aus. Wolf Meyer-Erlach, zweiter Mann der Deutschen Christen in Bayern, diffamierte Meiser als "Irrlehrer und Hetzer", der durch Barmen Luthertum, Volk und Kirche verraten habe. Der Arbeitskreis der bayerischen NS-Synodalen bezichtigte Meiser der "kirchlichen Meuterei großen Stils".
Meiser ahnte bereits im Vorfeld der Barmer Synode, was auf ihn zukommen würde. Er drängte darauf, dass kein Bekenntnis beschlossen wird, sondern nur eine gemeinsame Erklärung. Ein neues Bekenntnis – dazu noch beschlossen von einer Synode – hätte nach dem damaligen lutherischen Verständnis eine neue Kirche zur Folge gehabt. Keine lutherische, sondern eine unierte.
Zurück in München, hängte Meiser die Barmer Erklärung deshalb erst einmal tief, im Amtsblatt wurde nichts vermeldet. Aber in den Dekanatsblättern der bayerischen Landeskirche wurde auf Anordnung Meisers die Barmer Theologische Erklärung abgedruckt und gefeiert (siehe Bilderstrecke unten):
Das Bamberger Gemeindeblatt berichtete in seiner Ausgabe vom 1. Juli 1934 auf der Titelseite gleich unter der NS-freundlichen Dauerrubrik "Glaubensworte des Führers". Dabei wird die Barmer Erklärung begrüßt als Wort des Widerstands gegen den Versuch, in Deutschland eine einheitliche Reichskirche zu schaffen. "Sie wollen weder eine neue Kirche gründen noch eine Union schaffen. Denn nichts lag ihnen ferner als die Aufhebung des Bekenntnisstandes unserer Kirchen." Man hatte die Sorge, das lutherische Bekenntnis könne in einer Einheitskirche aufgehen und verschwinden. Man wollte sich das weder von Hitlers evangelischer Reichskirche wegnehmen lassen noch von der Bekennenden Kirche. Barmen wird als "Widerstand gegen die Zerstörung des Bekenntnisses" gefeiert. Dann wird die Kundgebung der Barmer Synode abgedruckt, die theologische Erklärung selber nicht.
Das Gemeindeblatt Memmingen vermeldete die Barmer Synode in seiner Juliausgabe unter den Kurznachrichten "Aus Kirche und Welt". Die Barmer Erklärung wird inhaltlich in einem einzigen Satz zitiert, wonach die Kirche aufhöre, Kirche zu sein, wenn die Sprecher der Deutschen Christen oder auch das Kirchenregiment die "theologischen Voraussetzungen" der Kirche dauernd durchkreuzen würden. Breiten Raum bekommt eine Erklärung der Erlanger theologischen Fakultät, in der die "Bildung einer großen lutherischen Kirche deutscher Nation" gefordert wird.
Die Coburger Heimatglocken beziehen sich in der Ausgabe vom 10. Juni auf einen Bericht des Deutschen Nachrichtenbüros. Im ersten Teil der Meldung wird der Chronistenpflicht Genüge getan: wer teilgenommen hat, wer welches Referat gehalten hat, wie viele "Gäste" aus den Gegenden Deutschlands "zugelassen" waren. Doch dann kommt eine interessante Information: "Zum ersten Male seit der Reformation ist es Tatsache geworden, dass eine allgemeine vom Bekenntnis her bestimmte evangelische Synode die evangelischen Christen Deutschlands zusammenführte. Im Gegensatz zu den Kirchentagen früherer Zeiten wurde auf der Bekenntnis-Synode verantwortlich zur Not der Kirche in unseren Tagen Stellung genommen." Es folgt die Kundgebung.
Das Bayreuther Gemeindeblatt vom Juni 1934 würdigte die Barmer Synode als Zusammenschluss verantwortungsbewusster Christen, die sich der "Bekenntnisfront" zurechnen. Und es wird bekräftigt: "Die Bekenntnisfront, zu der also auch wir Bayern gehören, will nicht etwa, dass alles beim Alten bleiben soll in der evangelischen Kirche; sie ist auch nicht reaktionär; sie gibt dem Staate freudig, was des Staates ist. Ihr heißestes Anliegen ist: die evangelische Kirche aus dem Glauben heraus zu erneuern." Über die "Deutschen Christen" wird gesagt: "Sie schlossen sich eng an die nationalsozialistische Partei an. Die Nachahmung staatlicher Methoden hat der Kirche keinen Segen gebracht, sondern nur Kampf und Unfrieden." Das war sicher ein mutiges Wort in damaliger Zeit! Unter der Rubrik "Unsere kirchliche Lage von außen gesehen" wird die Einschätzung der anglikanischen Kirche und des Erzbischofs von Canterbury zur Barmer Synode wiedergegeben. Nach dessen Lob für Hitlers "bemerkenswerte Revolution" (segensreiches Erwachen) wird er zitiert: "Wir können nicht umhin anzuerkennen, dass weltanschauliche Strömungen auf das deutsche Leben losgelassen sind, die in ihrem Wesen zu allem im Gegensatz stehen, was wir unter Christentum verstehen."
Das Augsburger Gemeindeblatt vom 27. Mai brachte den kommentierenden Bericht eines Teilnehmers der Barmer Synode, Pfarrer Wilhelm Bogner aus Augsburg. Das waren Informationen aus erster Hand. Bogner sorgte dafür, dass die Position Meisers, die auch seine eigene war, über die Dekanatsblätter in den Gemeinden bekannt gemacht wurde. Bogner fand scharfe Worte über den Kirchenkampf in Deutschland: "Die Gewissensnot und die Rechtsnot nehmen innerhalb der Reichskirche immer unerträglichere Formen an." Während man mit fieberhafter Eile an der äußeren Einheit der Reichskirche baue, zerstöre man die innere Einheit, die doch der äußeren erst Sinn und Verstand geben könne, es gingen Wahrhaftigkeit und die ewige Wahrheit selbst verloren. Das Ende dieses Treibens könne nur die Zerstörung der Kirche Jesu Christi in deutschen Landen sein. Die Bekenntnissynode in Barmen sei in dieser Bedrängnis aus tiefer Not, aber im gläubigen Aufblick zum Herrn der Kirche zusammengetreten.
Bogner würdigt seine Barmer Konsynodalen als "Männer, die die Kirche der Reformation und unser deutsches Volk und Vaterland mit gleich heißer und verantwortungsvoller Liebe umfassen und es nicht mitansehen können, wie unsere Kirche stirbt und damit letzten Endes auch unserem Volk schwerster Schaden zugefügt wird". Der Kommentar endet mit einem scharfen Angriff auf die "Deutschen Christen", sie seien die "eigentlichen Schädlinge des Dritten Reiches".
Es folgt ein ausführlicher kommentierender Bericht über den Ablauf der Barmer Synode. Die Reichskirchenregiment wird der Irrlehre und der Gesetzlosigkeit bezichtigt. "Wir sind auf dem Weg zu einer Hierarchie, die schlimmer ist als die des Papstes." Als Fazit wird vermerkt: "Die Tagung der Bekenntnissynode zeigte, dass es noch Kirche Jesu Christi innerhalb der Reichskirche gibt, und wo, aller Vernebelung zum Trotz, die Gemeinden in Wirklichkeit stehen."
Das Rothenburger Sonntagsblatt vom 17. Juni brachte ebenfalls – wenn auch stark gekürzt – den Korrespondentenbericht Wilhelm Bogners, der auch in Augsburg erschien. Auch im Rothenburger Sonntagsblatt wird bekräftigt, dass die Barmer "Bekenntnissynode keinesfalls der Anfang zur Gründung einer neuen Kirche sein könne. Vielmehr stehe Barmen auf der Grundlage der Reichskirche mit ihrer Verfassung vom 11. Juli 1933, die einen Bund von Bekenntniskirchen vorsah.
Das Gemeindeblatt für den Donaugau bringt ebenfalls den Kommentar Wilhelm Bogners, in gleicher Ausführlichkeit wie in Augsburg, aber noch "ergänzt durch andere Quellen". Ebenso das Münchner Gemeindeblatt, das Nürnberger Gemeindeblatt, das Gemeindeblatt für die Dekanate München II und Rosenheim sowie für Neuburg a.d. Donau, hier mit der Barmer Erklärung mit Präambel, Thesen und der "Erklärung zur Rechtslage der Deutschen Evangelischen Kirche".
Das Dinkelsbühler Gemeindeblatt vom Juli 1934 machte groß auf der Titelseite mit der Barmer Bekenntnissynode auf. Vorneweg heißt es: "Auf Anordnung des Landesbischofs D. Meiser vom 8. Juni d. J. soll dieses Wort der Bekenntnissynode in geeignetere Weise an die Kirchengemeinden und ihre Berufenen Vertreter weitergegeben werden." Dieser Vorspann belegt, dass Meiser nach der Barmer Synode dem Druck der Erlanger Theologen, der Deutschen Christen und der NS-Synodalen standhielt und die Barmer Erklärung in den Gemeinden bekannt machen wollte. Das Dinkelsbühler Gemeindeblatt hat die komplette Barmer Erklärung mit Vorwort und Nachwort auf den Seiten 1 bis 3 abgedruckt.
Als Zugabe wird ein Protestbrief Meisers an den Reichsinnenminister zur Entwicklung der Deutschen Evangelischen Kirche abgedruckt. Das ist bemerkenswert, denn Dinkelsbühl war eine Hochburg des Nationalsozialismus. Ein interner NSDAP-Bericht stellte fest: "Die evangelische Geistlichkeit des Dinkelsbühler Dekanatsbezirks ist nationalsozialistisch eingestellt." Schon bei den Reichstagswahlen 1932 erreichte die NSDAP im Landkreis 71,2 Prozent. Doch die mutige Berichterstattung des Dinkelsbühler Gemeindeblattes über den Kirchenkampf zeigte Wirkung: Im Oktober 1934 solidarisierte sich der Großteil der Bevölkerung des Landkreises Dinkelsbühl mit Landesbischof Meiser, als dieser vom NS-Staat für abgesetzt erklärt worden war. Etliche Gemeinden widersetzten sich der Anordnung, die Kirchengebäude mit Hakenkreuzfahnen zu beflaggen.
Danach war Schluss mit freier Berichterstattung. Nicht zuletzt durch die meinungsstarke Berichterstattung der bayerischen Dekanatsblätter über die Barmer Synode wurde durch einen Erlass des Berliner Reichsinnenministers vom 10. Juli jede kirchenpolitische Auseinandersetzung in der Öffentlichkeit verboten. Die Begründung: Der "erbitterte Kampf" würde die Aufbauarbeit der Regierung gefährden und hemmen. Ab diesem Tag konnten die Gemeindeblätter nicht mehr berichten und kommentieren. "Amtliche Kundgebungen des Reichsbischofs bleiben hiervon unberührt."
Die Dekanatsblätter vermeldeten dies mit dem Vermerk: "Der an dieser Stelle vorgesehene Aufsatz muss wegen des vom Herrn Reichsinnenminister ergangenen Verbotes der Erörterung der kirchlichen Lage in der Presse wegfallen."
Statt kritischer Debatte mussten die kirchlichen Publikationen nun auf "Bäckerblume" umschalten. Es erschienen Berichte wie "Aus großer Zeit – August-Erinnerungen an die Kriegsjahre 1870 und 1914" oder "Ein Lebensbild von Wilhelm von Oranien". Die Dekanatsblätter waren ihrer Schärfe beraubt, nun kam es auf einzelne mutige Christen in den Gemeinden an: Pfarrer, Kirchenvorsteher, engagierte Frauen. Der Druck wurde größer, der Kirchenkampf ging erst jetzt in die heiße Phase.
EINE ÜBERSICHT über die Artikel in unserem "Barmen-Special" finden Sie unter www.sonntagsblatt.de/barmer-erklaerung