Die deutsche Mannschaft hat ihr Auftaktspiel bei der WM 2022 gegen Japan verloren. Doch bereits bevor das Spiel überhaupt angepfiffen wurde, waren die Spieler Verlierer – in einem absurden Lehrstück über Doppelmoral und Heuchelei.
Hand vor den Mund als "stummer Protest"
Beim Mannschaftsfoto vor Spielbeginn hielten sich die deutschen Spieler eine Hand vor den Mund. Es sollte eine Geste des stummen Protests sein, gegen die FIFA, die ihnen nicht erlauben wollte, mit einer Armbinde zu spielen, auf der "One Love" steht. Es war aber nicht mehr als eine Farce.
Die Spieler trifft daran keine Schuld, sie sind hier nur, genau, Spielball von Machtinteressen. Verantwortlich für die Peinlichkeit ist der mächtige Deutsche Fußballbund (DFB), der sich gerne werteorientiert gibt und sich gegen Rassismus, Antisemitismus, Schwulenhass und andere verachtenswerte Haltungen positioniert. Aber eben nur, solange es nicht wehtut oder gar etwas kostet.
Was vorher geschah
Denn was war die Vorgeschichte? Ursprünglich wollte die DFB-Elf mit einer Regenbogen-Binde am Arm ihres Kapitäns Manuel Neuer auflaufen – und damit gegen die Politik des Gastgeberlandes Katar protestieren. Homosexualität wird dort als Straftat behandelt, die mit Gefängnis oder sogar dem Tod bestraft werden kann. Natürlich ist die Wirksamkeit solcher symbolischer Gesten eher zweifelhaft, aber immerhin, das wäre ein Zeichen gewesen.
Doch dann schwächte der DFB im Einvernehmen mit anderen europäischen Fußballverbänden sein Vorhaben ab. Statt Regenbogen sollte es jetzt nur noch eine Binde sein, auf der "One Love" steht. Schon dieses Einknicken wurde zu Recht als beschämend kritisiert. Schließlich haben die europäischen Fußballverbände immer noch genug Geld und Macht, um sich gegen die FIFA durchzusetzen. Wenn sie es denn wollten.
Mund zu statt Maul auf
Doch es kam noch schlimmer: Als die FIFA andeutete, dass sie das Tragen auch der reichlich nichtssagenden "One Love"-Binden als politische Meinungsäußerung werten und mit Strafen belegen würde, war der Gratismut des DFB und der anderen europäischen Verbände endgültig aufgebraucht. Man rückte auch von dieser Idee ab – der DFB entschied sich dann zu der oben beschriebenen Mund-zu-Geste.
Lächerlich wirkte diese Inszenierung von den angeblich mundtot gemachten Spielern gleich aus mehreren Gründen. Zum einen hatte der Verband überhaupt nicht ernsthaft versucht, seine angeblichen Werte auch gegen Widerstand zu vertreten. Und zum anderen wirken Fußballspieler in sehr vielen Fällen einfach damit überfordert, wenn sie als Träger politischer Botschaften herhalten sollen.
Deutscher Fußball ist nach wie vor schwulenfeindlich
Denn wir erinnern uns: Es gibt im deutschen Profifußball der Männer nach wie vor keinen einzigen offen homosexuellen Spieler. Nicht einen. Schwulenfeindliche Sprechchöre sind bei Fußballspielen in Deutschland nach wie vor zu hören. Mit anderen Worten: Der deutsche Fußball hat selbst ein massives Problem mit Homosexualität.
Noch mehr: Die deutsche Gesellschaft hat nach wie vor Probleme damit. Denn natürlich ist der Fußball nur ein Spiegelbild der Gesellschaft, die Homosexualität erst seit den 90ern nicht mehr unter Strafe stellt.
Deutschland null Punkte
So verwundert es auch wenig, dass die symbolischen Gesten von Diversität und Vielfalt, die lustigen, bunten Regenbogen-Fähnchen, nur dann gehisst werden, wenn niemand widerspricht. Und betreten eingerollt werden, wenn die FIFA damit droht, Gelbe Karten zu verteilen oder gar Punkte abzuziehen.
Zumindest die Sorge um letzteres erwies sich nach dem Japan-Spiel als unbegründet: Wer keine Punkte hat, dem kann die FIFA auch keine abziehen. Deutschland 0 Punkte – in jeder Hinsicht.