Kirchensteuer: zeitgemäß oder Auslaufmodell?

Die Kirchensteuer unterstreicht den öffentlichen Auftrag von Religion. Sie steht für Verbindlichkeit und Stetigkeit. Sie lebt von dem Gedanken, dass Kirche eine Institution darstellt. Institutionen sichern wichtige Grundbedürfnisse des Menschen. Schulen, Hochschulen, Krankenhäuser oder Gerichte sind in diesem Sinne Institutionen. Mit der Kirchensteuer verpflichtet sich die Kirche zu einem Engagement, von dem die gesamte Gesellschaft profitiert.

Wenn dieses Bedürfnis aber nicht mehr besteht - und die Menschen etwa die Angebote der Kirche nicht mehr nutzen wollen - ist Kirche dann noch eine Institution? Wer entscheidet hier? Die Kirche selbst? Oder doch die Menschen? Also jene, die immer lauter fragen, ob Kirchensteuern noch zeitgemäß sind?

Steigende Kirchenaustrittszahlen - ohne Trendwende

Laut Umfragewerte des Meinungsfor­schungsinstituts YouGov halten drei Viertel (74%) der Men­schen in Deutschland die Kirchensteuer für nicht mehr zeitgemäß. Nach aktuellen Umfragewerten des Norddeutschen Rundfunks (NDR) denkt mehr als jedes vierte Kirchenmitglied über einen Austritt nach – mehr als die Hälfte davon auch wegen der Kirchensteuer.

Als gefühlte Wahrheit zirkuliert diese Mehrheitsmeinung zur Kirchensteuer schon lange. Ella Albers, Pfarrerin der Evangelischen Hochschulgemeinde an der TUM, bestätigt diese Wahrnehmung aus Gemeinde bezogener Perspektive:

"Ich nehme in meinem persönlichen, wie beruflichen Umfeld wahr, dass viele Menschen meiner Generation in erster Linie aufgrund der Kirchensteuerpflicht aus der Kirche austreten. Das trifft auch auf kirchlich Engagierte oder Verbundene zu."

Diese Beobachtung verbürgt eine grundsätzliche Skepsis gegenüber der Verflechtung von Staat und Religionsgemeinschaften, die sich auch auf den konfessionellen Religionsunterricht und damit auf die Abgrenzungsfrage von Staat und Kirche bezieht.

Da es womöglich keinen Rechtsbereich gibt, in dem sich Staat und Religionsgemeinschaften so intensiv überschneiden wie im Kirchensteuerrecht, ist gerade die Kirchensteuer Gegenstand heftiger Kritik geworden, da der Staat als bezahlter Dienstleister für das Einziehen der Mitgliedsbeiträge der Kirchen auftritt.

Der versäumte Diskurs um die Kirchensteuer 

Ist das deutsche Kirchensteuer-Modell also schlichtweg überholt?

"Überholt würde ich nicht sagen, aber man muss dieses Modell natürlich mit Leben füllen. Und ob da der streng konfessionell gestaltete Religionsunterricht alter Art noch eine blühende Zukunft vor sich hat, wage ich zu bezweifeln" - sagt Staatsrechtler und Rechtsphilosoph Horst Dreier im Würzburger katholischen Sonntagsblatt.

Den Vorwurf der Rückständigkeit müssen sich die Kirchen schon lange gefallen lassen. Im Alltag hat sich das Gottvertrauen vielerorts mehr oder weniger verflüchtigt. Für viele steht das Christentum weniger für Werte wie Nächstenliebe und Barmherzigkeit, sondern für Rückständigkeit, Unglaubwürdigkeit, Ungerechtigkeit und Missbrauch.

Wieso aber wandert die Diskussion um die Kirchensteuer allzu häufig in die Grundsatzfrage ab, wie "rückständig" und "überholt" die Kirche an sich sei? Wie soll angesichts dieser emotional aufgeladenen Grundsatzdebatte zur schlichten Ausgangsfrage ("Zahlst du noch, oder empfängst du schon?") zurückgefunden werden?

Die Herausforderung im Umgang mit der übergeordneten Kritikwelle besteht wohl darin, dass konkrete Thema der "Kirchensteuer" sachlich zu thematisieren, konsequent zu enträtseln und konstruktiv weiterzudenken.

Alternative Reformvorschläge

Das Kirchensteuersystem, so das häufige Argument der kirchlichen Vertreter*innen, sorgt für verlässliche Einnahmen und damit für Planungssicherheit und sichere Arbeitsplätze und orientiert sich an der tatsächlichen Leistungsfähigkeit der Kirchenmitglieder.

Auf der anderen Seite gehen in den nächsten Jahren die sogenannten Babyboomer und damit die kirchentreuen und geburtenstarken Jahrgänge der 1960er Jahre in den Ruhestand, sagt der Wissenschaftler Fabian Peters im Interview zur Freiburger Studie. Sie werden sichtbare Lücken im Steuersystem reißen.

Wie verlässlich und planungssicher die Arbeitsfelder von Kirche im Zuge dieser Entwicklung trotz aufrechterhaltender Kirchensteuer sein werden, lässt sich schwer prognostizieren. Schwerer noch lässt sich die Frage abschätzen, welche Alternativen zur Finanzierung von Religionsgemeinschaften wie der evangelischen Kirche zukünftig konkret diskutiert werden können.

Das Drei-Säulen-Modell zur Finanzierung der Religionsgemeinschaften

Einen Vorschlag zur Neuordnung der Finanzierung der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften hat Franz Segber erarbeitet, Professor für Sozialethik am Fachbereich Evangelische Theologie. In der von der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Auftrag gegebenen Studie kommt er zu folgendem Ergebnis:

"Die Forderung, die Kirchensteuer abzuschaffen, ist nicht zureichend." Vielmehr müsste es darum gehen, Reformalternativen für eine Neuordnung der Finanzierung der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften für eine plurale Gesellschaft zu entwickeln.

Umsetzbar ist diese Idee, indem die Kirchensteuer in eine Mandatssteuer (auch Kultursteuer genannt) integriert wird und diese zu einer Gemeinwohlsteuer erweitert wird, die nicht nur Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, sondern auch zivilgesellschaftliche Organisationen einbezieht. Der Vorschlag basiert auf drei Säulen:   

  1. Freiwillige Gaben: Kollekten, Spenden und unentgeltliche bzw. ehrenamtliche Leistungen
  2. Errichtung eigener Kirchensteuerämter: Beendigung des staatlichen Zwangseinzugs der Kirchensteuer durch die Finanzbehörden. Dieser Reformschritt setzt die verfassungsrechtliche Maxime um, dass die Kirchensteuer eine kirchliche, d.h. eine der Kirche zustehende und grundsätzlich auch von kirchlichen Stellen zu erhebende Abgabe ist. Vorbild: Bayern
  3. Bürgergutscheine (aus dem Bürgerhaushalt) für die Gemeinwohlfinanzierung. Die Bundesregierung reserviert einen Anteil des Bundeshaushalts als Bürgerhaushalt zur Verbesserung der Gemeinwohlfinanzierung, über dessen Verteilung alle wahlberechtigten Bürger*innen bestimmen können. 

Die Gemeinwohlfinanzierung verdient am ehesten die Bezeichnung "Reform". Sie ist der italienischen Mandatssteuer ("otto per mille", d.h. 0,8 Prozent der Lohn- bzw. Einkommenssteuer) entlehnt. Diese stellt die derzeit jüngste Form der Kirchenfinanzierung in Europa dar, die mit kleinen Varianten neben Italien auch in Spanien, Ungarn und Island praktiziert wird.

Aus reformerischer Perspektive ist die Mandatssteuer ein interessantes Modell. Sie hat den Vorzug, dass die Kirchen (wieder stärker) gefordert werden, für sich und ihre Arbeit zu werben. Als Wahlmodell folgt sie dem gesellschaftlichen Geist, der durch Toleranz, Religionspluralität- und Freiheit sowie Säkularismus geprägt ist.

Nach übereinstimmender Rechtsmeinung ist eine italienische Mandatssteuer aus verfassungsrechtlichen Gründen in Deutschland nicht umsetzbar. Dieses Defizit soll laut Segbers durch die Einführung von Bürgergutscheinen im Rahmen eines Bürgerhaushalts behoben werden.

Dieses Modell bewegt sich unterhalb der Schwelle einer Verfassungsänderung  und ermöglicht die Finanzierung sowohl von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, als auch von zivilgesellschaftlichen Organisationen.

Reformvorschlag: Kirche über Fundraising finanzieren

Auch Rechtswissenschaftlerin Sophie Thieme stellt in ihrer jüngst erschienen Dissertation neben weiteren probaten Reformvorschläge der Kirchensteuer den italienischen Hoffnungsträger auf den Prüfstand. Das deutsche Trennungsmodell von Staat und Kirche macht eine direkte Staatsfinanzierung von Religionsgemeinschaften hierzulande nicht möglich.

Darüber hinaus reicht die Mandatssteuer als Haupteinnahmequelle der Kirchen in Deutschland nicht aus:

"Die Reformvorhaben sind an den deutschen staatskirchenrechtlichen Prinzipien und ihrer Entstehungsgeschichte zu messen und mit der Verfassungstradition in Einklang zu bringen." (Thieme, Reformvorschläge, S. 204).

Daraus folgt: Die Kirchensteuer bliebe bestehen, aber nur noch als eine von drei Säulen, die durch kircheneigene Steuerämter verwaltet werden. Darüber hinaus wären die Kirchen aufgefordert, gezielte Fundraising-Maßnahmen voranzutreiben als wesentlicher Baustein des aktiven Engagements.

Kirche und Mitgliederbindung

Glaube erscheint immer mehr als Privatsache. Darum braucht es statt einem "lautlosen Staatsinkassos" zielgenaue Formen der Mitgliedschaftsbindung. Mehr Flexibilität im Besteuerungssystem wäre möglich, so Thieme. Möglich wäre sowohl die Berücksichtigung privater Spenden bei der Kirchensteuer sowie Ausnahmeregelungen für Berufseinsteiger*innen für eine bestimmte Zeit.

Solange einige Menschen aus der Kirche austreten und sie zugleich beanspruchen (vgl. Hochzeit Christian Linder) besteht Bedarf an dem Angebot von Kirche.

"Ich habe den Eindruck, dass viele dieser Menschen durchaus bereit wären, für in Anspruch genommene kirchliche Dienstleistungen zu zahlen oder die Arbeitsbereiche der Kirche mitzufinanzieren, die ihnen am Herzen liegen", so Albers.

Nun hängt es von der Zielsetzung der Kirche ab, ob sie die Qualität und Relevanz ihrer Dienstleistungen stärker in den Vordergrund rückt und neugierig Anknüpfungspunkte sucht, um die Nutzerseite von einer Neubewertung der Kosten-Nutzen-Rechnung der Kirchenmitgliedschaft zu überzeugen.

In diese Richtung denkt auch Pfarrerin Albers, wenn sie an die Zukunft von Kirche denkt:

"Das Kirchensteuersystem wird zwangsläufig sein Ende finden. Wir Vertreter*innen der Kirche müssen mehr um eine Mitgliedschaft und die finanzielle Unterstützung unserer Arbeit werben."

Es führt kein Weg daran vorbei: Über Geld spricht man doch! Die EKD hat jüngst überzeugend und unaufdringlich skizziert, wo das Geld herkommt und wo das Geld hingeht. Das ist ein wichtiger erster Schritt.

Als Nächstes gilt es, über neue finanzielle Gestaltungsmöglichkeiten der evangelischen Kirche ins Gespräch zu kommen. In Zeiten der Individualisierung und der Instagramisierung der Alltagswelt kann die Kirche durch eine dreigeteilte, elastische und zielgruppenspezifische Form der Mitgliedschaft und daran angeschlossene Mitgliederbindung eine neue Aufwertung erfahren – und wer weiß: vielleicht wird die Kirche ihr überraschendes Comeback feiern.

 

 

 

Modelle der Kirchenfinanzierung in Europa

In Europa hat sich eine Fülle von Modellen der Kirchenfinanzierung ausgeformt, die sich in drei Typen fassen lassen:

  1. Staaten mit einer engen Verbindung zwischen Staat und Kirche in Gestalt einer Staatskirche (z.B. Dänemark, England, Griechenland) 
  2. Laizistischer Typus einer strikten Trennung zwischen Staat und Kirche (z.B. Frankreich, Irland, Slowenien, USA)
  3. Der am weitesten verbreitete Typus eines Kooperationsverhältnisses von Staat und Kirche (z.B. Finnland, Italien, Österreich, Deutschland, Belgien).

Diese idealtypische Unterscheidung erfasst zwar nicht die ganze rechtliche und soziale Wirklichkeit, ist aber hilfreich für ein Verständnis der verschiedenen Finanzierungsmodelle.

 

Was halten Sie von diesen Reformvorschlägen?

Wie können wir die Kirchen reformieren? Was halten Sie von den Reformvorschlägen? Schreiben Sie Ihre Meinung in die Kommentare.

Kommentare

Diskutiere jetzt mit und verfasse einen Kommentar.

Teile Deine Meinung mit anderen Mitgliedern aus der Sonntagsblatt-Community.

Anmelden