Sylt ist nicht nur eine Lieblingsinsel der Reichen und Schönen, sondern seit ein paar Wochen auch die der Alternativen und Punks, die mit dem 9-Euro-Ticket das Eiland in der Nordsee kapern und dabei die teils mondäne Gesellschaft etwas durch Farbe bereichern. Finanzminister Christian Lindner reiht sich jetzt auch in die Gruppe der ungewöhnlichen Gäste ein.

Der FDP-Politiker hat mit Sicherheit nicht die Bummelbahn, sondern eine Staatskarosse genommen, um Journalistin Franca Lehfeldt das Ja-Wort zu geben. Seine dreitägige Hochzeitssause im Luxushotel Severin's mit viel Polit-Prominenz hatte noch mehr Glamour als der G7-Gipfel auf Schloss Elmau.

Käßmann kritisiert Ort der Trauung

Fraglich ist auch, ob Lindner für das Begleichen der Zeche ein "Sondervermögen" aufgenommen hat, wie "Schulden machen" seit kurzem höchst amtlich heißt. Doch neben der vorhersehbaren Neid-Debatte, ob sich das Fest spätrepublikanischer Dekadenz denn in Zeiten von angstvoll angekündigten Sparappellen und Verzichts-Szenarien überhaupt ziemt, hat sich mit der ehemaligen EKD-Ratsvorsitzenden Margot Käßmann eine Stimme erhoben, die vor allem den Ort der Trauung kritisiert: Lindner und Lehfeldt haben sich in einer Kirche vermählt.

"Weshalb wünschen zwei Menschen eine kirchliche Trauung, die bewusst aus der Kirche ausgetreten sind, ja öffentlich erklärt haben, dass sie sich nicht als Christen verstehen?", fragte Käßmann in ihrer Kolumne für "Bild am Sonntag".

Eine berechtigte Frage. Jedoch: Christian Lindner hat schon als Schüler und Jungunternehmer anderen Menschen Werbekonzepte verkauft. Lange bevor er der Posterboy der Liberalen mit Dreitagebart wurde und seine Wahplakate eher an Rasierwasserwerbung erinnerten.

Kirchliche Folklore

Show und Schein sind also seine konsequenten Begleiter. Warum also nicht die Sause in Sylt noch mit ein bisschen kirchlicher Folklore würzen? Machen andere ehrlicherweise ja auch, die auf dem Papier zumindest Kirchenmitglieder sind.

Im Übrigen hatte Lindner das Scheitern der Jamaika-Koalition 2017, an dem seine Partei die Hauptverantwortung trug, noch kommentiert mit:

"Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren".

2021 hatte er seine Meinung offenbar geändert.

Spannend wäre nun, ob Lindner auch seine Haltung gegenüber der Kirche geändert hat: Seine Partei ist bekanntlich der Auffassung, dass der Verfassungsauftrag zur Ablösung der Staatsleistungen für die Kirchen vollzogen werden muss. Aber die rhetorische Kurve kriegt Lindner sicher auch noch hin.