Dem Coronavirus möglichst zu entwischen hat für die meisten Bürger gerade oberste Priorität. "Doch wie sollen wir das tun?", fragt Eva Mors (Name geändert).
Die Kita-Leiterin aus Unterfranken ist empört, dass Bayern im aktuellen Lockdown so lax mit dem Kita-Personal umgeht: An Eltern werde lediglich appelliert, dass sie ihre Kinder zu Hause lassen sollen.
Kinderbetreuung in der Kita
"Doch jede Mutter, die denkt, die Kita sei für ihr Kind nötig, darf die Notbetreuung in Anspruch nehmen: Damit sind die Kitas letztlich offen für alle."
Das missfällt Mors im höchsten Grade. Und zwar vor allem deshalb, weil die 49-jährige Pädagogin, die sich aus Furcht vor beruflichen Nachteilen nicht namentlich äußern möchte, sicher ist, dass auch Kinder das Coronavirus übertragen können. Doch nicht nur die Angst vor einer Infektion setzt Mors unter Stress.
Es sei nahezu unmöglich, sagt sie, die Corona-Auflagen mit dem vorhandenen Personal zu erfüllen.
Großer Andrang auf Notbetreuung
Der Begriff "Notbetreuung" sorgt nach ihrer Ansicht für illusionäre Vorstellungen über das, was gerade in Kitas abgeht. Mehr als die Hälfte der Eltern werden ihre Kinder im zweiten Lockdown bringen, schätzt die Pädagogin. Ein Kollege von ihr bestätigt das: "Schon nach wenigen Tagen wurden in unserer Kita 32 von 80 Kindern für die Notbetreuung angemeldet."
Mit weiteren Kindern sei zu rechnen. Betreut wird dabei in kleinen Gruppen. Dafür bräuchte es viel mehr Personal. "Vor 8 Uhr und nach 15 Uhr wurden die Kinder bei uns bisher gruppenübergreifend betreut, das geht nun nicht mehr." Die durchgehende Betreuung in kleinen Gruppen mache Überstunden nötig.
Nach Angaben des bayerischen Familienministeriums kann die Notbetreuung von allen Eltern in Anspruch genommen werden, die "die Betreuung nicht auf andere Weise sicherstellen können". Das, sagt Mors, "ist Larifari". Dieses "Larifari" in Form von unverbindlichen Appellen an die Eltern gibt es laut Björn Köhler von der GEW, der Bildungsgewerkschaft des DGB, in mehreren Bundesländern.
In Berlin reiche es, wenn Eltern angeben, dass sie auf die Betreuung wegen Berufstätigkeit angewiesen sind: "Ein Nachweis ist nicht erforderlich." In Baden-Württemberg genüge eine einfache Arbeitgeberbescheinigung. Die GEW geht deshalb davon aus, dass in einigen Kitas bis zu 90 Prozent der Kinder anwesend sein werden.
Kinder- und Jugendhilfe
Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe sollten offen gehalten werden, wo immer das pandemiebedingt möglich ist, wünscht sich Christine Kuhn von der Würzburger Fachakademie für Sozialpädagogik St. Hildegard. Denn in vielen Familien sei das private Betreuungsnetzwerk zusammengebrochen, selbst Großeltern fallen weitgehend aus.
Karin Böllert, Expertin für Sozialpädagogik aus Münster, sagt, dass Kita-Schließungen Kinder mit ohnehin schlechteren Startchancen besonders hart treffen: "Sie drohen durch die Pandemie dauerhaft abgehängt zu werden." Die Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe fordert, die Anzahl der bezahlten Urlaubstage für berufstätige Eltern deutlich zu erhöhen.
Personalmangel
Dass Bund, Länder und Kommunen in Sachen Kita an einem Strang ziehen, wünscht sich Waltraud Weegmann, Vorsitzende des Deutschen Kitaverbandes: "Wir fordern eine einheitliche Regelung mit abgestuften Maßnahmen je nach Inzidenz und R-Faktor." Was aktuell geschieht, bezeichnet der Verband als "Blindflug".
"Es wurden bisher weder die Herausforderungen bei der personellen Ausstattung der Einrichtungen in Angriff genommen, noch wurden Testkapazitäten zur Verfügung gestellt", kritisiert Weegmann. Ebenso wenig sei in Technik oder Bauliches investiert worden: "Zum Beispiel, was den Einsatz von Luftentkeimungsgeräten anbelangt."
Familien geraten durch den Lockdown in ein großes Dilemma. Sollen sie den Appellen folgen und ihr Kind daheim lassen, um es vor dem Virus zu schützen? Oder wäre es für ihr Kind besser, in die Kita zu gehen? "Eltern werden alleine gelassen mit der Frage, wie sie den Lockdown bewältigen können", sagt Bernhard Bopp von der Caritas im Main-Tauber-Kreis.