Direkt nach Kriegsende war sie eine der ersten Initiativen zur Aussöhnung: Am 9. Juli 1948 gründeten ein jüdischer Arzt, ein evangelischer Journalist und der katholische Oberbürgermeister in München die "Gesellschaft zur christlich-jüdischen Zusammenarbeit" (GCJZ). Das Ziel von Julius Spanier, Hans Gensert, Karl Scharnagl und ihren Mitstreitern wurde in der Satzung festgehalten: Die "Beseitigung von Vorurteilen zwischen Menschen verschiedener rassischer, nationaler, religiöser und sozialer Herkunft." Und nur drei Jahre später hieß es in einem Aufruf "an unsere Mitbürger in Bayern": "Der Hass gegen anders Denkende, (…) eine ganze Flut von Vorurteilen, die wieder Misstrauen und Angst erzeugen, bedrohen die Menschheit aufs Neue."

Gegen jede Form von Rassismus und Antisemitismus

Nichts von alledem hat 75 Jahre danach an Aktualität oder Brisanz verloren.

"Unsere wesentliche Herausforderung in der Gegenwart ist, wachsam zu sein, die Stimme zu erheben und Seit an Seit mit unseren Partnern öffentlich gegen jede Form von Rassismus und Antisemitismus zu protestieren",

erklärt Reiner Schübel, der aktuelle evangelische Vorsitzende der GCJZ. Dafür geht der Theologe auch mit anderen auf die Straße - wie zuletzt beim Konzert des Pink-Floyd-Gründers Roger Waters in der Olympiahalle, dem Kritikerinnen Antisemitismus vorwerfen, was dieser zurückweist.

Die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit München war 1948 ein Samen, der viele Früchte trug: 84 solcher Gesellschaften gibt es heute in ganz Deutschland, dazu den Dachverband "Deutschen Koordinierungsrat" (DKR) unter Schirmherrschaft des jeweils amtierenden Bundespräsidenten. Das 1951 in München gestartete Format "Woche der Brüderlichkeit", das die Gründungsväter aus den USA übernommen hatten, besteht bis heute.

Eine Auswahl ihrer Festvorträge ist jetzt erstmals in der Festschrift zum 75. Jubiläum veröffentlicht worden und liest sich wie ein Who's who der Zeitgeschichte: von den Philosophen Walter Jens und Martin Buber über Schalom Ben-Chorin und Alexander Schenk Graf von Stauffenberg bis hin zu deutschen Politik-Ikonen wie Hildegard Hamm-Brücher und Joachim Gauck. Und auch, wenn sich der Sprachgebrauch über die Jahrzehnte verändert hat: Viele der Texte sind mit Blick auf die gesellschaftlichen Herausforderungen ein Déjà-vu.

Heute nur ein Player unter vielen

Allerdings ist die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit heute nur noch ein Player unter vielen - und zudem als rein ehrenamtlicher Verein mit begrenzten Möglichkeiten ausgestattet. Der aktuelle Vorstand versucht, neben den klassischen Veranstaltungen wie Vorträge, Bildungsreisen und Gesprächsrunden, mit kreativen Ideen in der öffentlichen Wahrnehmung zu punkten: Die Demo gegen das Roger-Waters-Konzert, eine Aktion mit "Hummus"-Eis vor der Ludwig-Maximilians-Universität, der Besuch der Oberammergauer Passionsspiele mit jungen Christen und Juden.

Mehr junge Menschen zu erreichen, ist das erklärte Ziel der GCJZ. "Wann immer wir miteinander ins Gespräch kommen, entsteht etwas", so erlebt es Reiner Schübel. Dass solche Projekte zeitintensive "Graswurzelarbeit" mit überschaubarer Reichweite sind, schreckt ihn nicht. "Es muss immer klein beginnen, wenn etwas Großes entstehen soll", ist der Theologe überzeugt. Menschen würden in ihrem Leben oft von einzelnen, bestimmten Begegnungen berührt:

"Indem sie davon erzählen, werden sie schon zu Multiplikatoren."

Schübel kann sich gut vorstellen, angesichts der schwindenden klassischen Zeitzeugengespräche künftig die Arbeit an Schulen stärker auszubauen - sei es durch Dialoge in den Klassen selbst oder durch die Fortbildung von Lehrkräften. Damit schließt sich dann auch ein Kreis: Denn zu den ersten Aufgaben der GCJZ gehörte in den 1950er-Jahren die Neufassung der von NS-Ideologie durchtränkten Schulbücher und die Revision der Lehrpläne - damit der Gedanke von Begegnung und Dialog ein neues Fundament für künftige Generationen setzen konnte.

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