Zuerst werden die Mädchen angesprochen: "Wir sind zauberhaft!" wirbt die Kundenzeitschrift einer Lebensmittelkette für Prinzessinnen-Faschingskostüme. Um schließlich auf der nächsten Seite einen kleinen Piraten und einen Spiderman abzubilden - unter der Überschrift "Wir sind heldenhaft!" Tatsächlich sind die Kostüme auf Kinderfaschingspartys oft klischeehaft: Viele Mädchen verkleiden sich am liebsten als Prinzessin und viele Jungs als Helden, sei es als Pirat, Spiderman oder als Jedi-Ritter aus Star Wars. "Auf unseren Faschingsfeiern sehen wir Mädchen fast nur als Prinzessinnen und Feen", sagt Erzieherin Gina Burchardt, die seit vielen Jahren in einer Kindertagesstätte in Hamburg arbeitet.

Prinzessinnen in der Manager-Rolle

"Als Prinzessin fühlen sich die Mädchen besonders wertvoll", erklärt Maya Götz, die als Leiterin des Münchner Internationalen Zentralinstitutes für das Jugend- und Bildungsfernsehen zu Rollenvorbildern von Kindern geforscht hat. "Sie sehen sich in einer Art Manager-Rolle, in der sie alles organisieren und für alle sorgen können."

"Im Prinzip spielt das Mädchen als Prinzessin die Mutter nach", sagt Götz. Durch das Prinzessinnen-Sein würden die Mädchen das sichtbar zum Ausdruck bringen, was sie in ihrem Alltag vielfältig erlebten: Dass sie es mit vielen Frauen zu tun haben, die ihnen mächtig und bewundernswert erscheinen, angefangen bei der eigenen Mutter über die Erzieherinnen bis zu den Grundschullehrerinnen.

Wenn Jungs mal auf die Idee kommen, auch als Prinzessin zu "gehen", ist die Irritation auf allen Seiten groß. "Dabei wollen die Jungs nur auch so stark sein wie die Mädchen, wenn sie ihnen das Prinzessinnen-Sein nachahmen", glaubt Götz.

Jungs wollen sich schützen

In einem auf Anpassung angelegten Erziehungssystem hätten Mädchen es ohnehin lange Zeit sehr viel einfacher gehabt als die Jungen, die durch ihren größeren Bewegungsdrang oft an allen Seiten aneckten. Wenn Jungen sich an Karneval als ihre Lieblings-Helden verkleideten, dann habe das weniger damit zu tun, dass sie andere dominieren wollten, urteilt Götz. Sie wollten sich vielmehr schützen und nicht mehr verletzbar sein.

Fasching Pirat
Zwei Nachwuchs-Piraten: Das wichtigste am Kostüm ist das Schwert, sagt Erzieherin Gina Burchardt.

Auch Gina Burchardt beobachtet beim Kita-Fasching jede Menge kleiner Jungen, die gerne starke Action-Held sein möchten, denen niemand was anhaben könne. Werde ihnen dann ein so entscheidendes Accessoire wie ein Schwert weggenommen, könne das alles kaputt machen: "Aber ohne mein Schwert bin ich doch nur ein kleiner Junge im schwarzen Schlafanzug", erwiderte ein Sechsjähriger aus ihrer Kindertagesstätte, der eigentlich "Darth Vader" aus Star Wars sein wollte.

Im Fasching geht es darum, einmal in eine andere Rolle schlüpfen und damit auch über Fähigkeiten verfügen können, die man an seinen Idolen aus Kinderbuch und Fernsehen so bewundert. "Alles, was ein Kind sonst nicht ist, weil es eigentlich zu klein oder zu ohnmächtig ist, kann es jetzt mal ausprobieren", so beschrieb es einmal der Entwicklungspsychologe und Familienforscher Hartmut Kasten aus Unterschleißheim bei München.

Durch Grusel vom Schrecken befreien

Gruselige oder mächtige Kostüme können nach Einschätzung des Kölner Kinderpsychotherapeuten und Karnevalsexperten Wolfgang Oelsner besonders für ängstliche Kinder wichtig sein: Indem sie sich im Karneval in das verwandeln, vor dem sie sich fürchten, nehmen sie ihm den Schrecken.

Wobei Prinzessinnen und Helden für Archetypen stehen, die je nach Mode immer neu gefüllt werden, mit Vorbildern aus Disney-Filmen wie der "Eisprinzessin" etwa. Und was bei den Jungen in den 70er Jahren Cowboys und Indianer waren, sind zurzeit hauptsächlich die Ritter aus Star Wars. Da kann sich dann Captain Phasma mit Prinzessin Frozen Elsa ein Stelldichein geben.

Wie feiern die Menschen Fasching, Karneval oder Fastnacht in Bayern? Lesen Sie in unserem Dossier mehr zum Thema Fasching: www.sonntagsblatt.de/Fasching