"Was vorher in unserer Familie geregelt war, ist von heute auf morgen weggefallen", sagt Inken Bößert. Die Kauffrau aus Bayreuth ist Mutter von drei Kindern. Ihre Zwillinge sind neun Jahre alt, der Große ist 15. Sie und ihr Mann sind beide voll berufstätig. Um die Betreuung der Kinder zu gewährleisten, arbeiten sie deshalb momentan zeitversetzt: Entweder Bößert oder ihr Mann sind zu Hause im Homeoffice: "Dadurch haben wir nun noch weniger Zeit füreinander als vorher."

Homeoffice und Familienarbeit ist nicht so einfach auf die Reihe zu bekommen

"Ohne Kinder ist Homeoffice wunderbar, doch mit Kindern wird es echt schwierig", schildert Bößert. Überhaupt sei es stressig, dass nun Eltern all das leisten müssen, was bisher auf viele Schultern verteilt war. So aßen Bößerts Zwillinge immer in der Ganztagsschule: "Nun müssen wir jeden Tag kochen." Alle drei Kinder gingen im Verein ihren Hobbys nach, was, erläutert Bößert, gut für ihren körperlichen und seelischen Ausgleich war: "Plötzlich sind wir in der Rolle von Hobbypsychologen, die unsere Kinder motivieren müssen."

Familien würden permanent auf Trab gehalten, weil es keine längerfristigen Perspektiven gibt. Was heute galt, kann in zwei Wochen schon wieder obsolet sein. Das macht es Bößert zufolge schwierig, neue Familienrituale zu etablieren. Auch mit dem Homeschooling ist die Bayreutherin nicht zufrieden.

Derzeit werde versucht, den analogen Unterricht eins zu eins übers Internet anzubieten. Das sei zu wenig. Sie wünscht sich, dass die Kreativität der Kinder stärker gefördert und genutzt wird: "Warum lässt man sie nicht selbst einen Film drehen?" Vor allem, fordert Bößert mit Blick auf ihren Großen, der ins Gymnasium geht, müsste dieses Schuljahr definitiv gecancelt werden.

Es gestaltet sich ganz offensichtlich als Quadratur des Kreises, sowohl dem Infektionsschutz als auch den Bildungsansprüchen der Kinder in der Krisenzeit gerecht zu werden.

"Uns ist bewusst, dass die Angebote des 'Lernens zu Hausee' den Präsenzunterricht nicht ersetzen können", sagt Daniel Otto, Pressesprecher im Kultusministerium. Eltern würden gebeten, ihre Kinder zu unterstützen, indem sie einen möglichst guten Rahmen für deren Lernen schaffen und sie dazu zu motivieren: "Sie sind aber keine Ersatz- oder Hilfslehrer."

Alles andere als unproblematisch ist auch die Situation von Eltern mit Kindern im Kita-Alter. "Wir nehmen hier eine große Not wahr", erklärt Christiane Münderlein vom Evangelischen KITA-Verband Bayern. Zu befürchten sei, dass die Doppelbelastung durch Beruf und intensiver Kinderbetreuung, aber auch dadurch bedingt berufliche Nachteile vor allem zulasten der Frauen gehe.

Dass Mütter, die ihre Kinder ohne Partner erziehen, die Notbetreuung in den Kitas ab dem 27. April in Anspruch nehmen können, begrüßt der KITA-Verband. Allerdings sei es nicht einfach, dies in den Kitas zu organisieren. Oft mangelt es an Personal und Räumen. Die dringend notwendige Entlastung der Eltern dürfe nun nicht auf Kosten der Gesundheit der Erzieher gehen, warnt Münderlein.

Der KITA-Verband fordert, Spielplätze, Museen, Gemeindehäuser oder Parks speziell für kleine Kindergruppen der Kitas zu öffnen, um zu viele Kinder auf engem Raum zu verhindern.

Alleinerziehende sind im Vergleich zu Familien mit zwei Elternteilen grundsätzlich stärker belastet. Während der Corona-Krise verschärft sich die Situation dramatisch, sagt Nicole König vom Verband alleinerziehender Mütter und Väter (VAMV) in Bayern: "Die derzeitige Lage bedeutet eine ultimative Zerreißprobe." Durch die fehlende Kinderbetreuung müssten Homeoffice und Homeschooling unter einen Hut gebracht werden - wenn überhaupt von zu Hause gearbeitet werden kann. König: "Alleinerziehende werden wegen Corona nicht selten in Schichtdienst eingeteilt, die Kinder bleiben unbeaufsichtigt."

Das Schutzpaket für Alleinerziehende finden die VMAV-Mitglieder nicht in Ordnung, da es die prekäre Situation von Ein-Eltern-Familien unberücksichtigt lässt. "Es ist nur ein Trostpflaster", sagt König.

Zwar bekommen Alleinerziehende, die wegen der Betreuung ihrer Kinder zu Hause bleiben, für sechs Wochen 67 Prozent ihres Gehalts. Doch das reicht oft nicht.

"Schließlich sind 42 Prozent armutsgefährdet." Der VAMV fordert, die Entschädigung für Geringverdienende auf bis zu 100 Prozent anzuheben: "Denn es ist zu befürchten, dass nun eine Welle von Anträgen auf die Ämter zurollt, und Anspruchsberechtigte in Not auf die Auszahlung ihrer Leistungen warten müssen."

Inzwischen fragen sich die ersten Eltern, ob sie sich nicht insgeheim weigern sollten, das Kontaktverbot einzuhalten: Weil sie ihre Situation als zu unerträglich empfinden, planen sie, Betreuungsgemeinschaften zu organisieren. Bayerns Sozialministerium rät mit Verweis auf den Bußgeldkatalog "Corona-Pandemie" dringend davon ab. Ungeachtet dessen wisse man um die Nöte der Eltern, es werde "auf Hochtouren" an angepassten Konzepten gearbeitet, sagt Pressesprecherin Christa Schmidt. So erörtere Staatsministerin Carolina Trautner (CSU) just mit Experten, wie die Kinderbetreuung in Bayern schrittweise weiter geöffnet werden kann.