Was sich vergangenen Donnerstag in Hamburg abspielte, ist schrecklich: Ein bewaffneter 35-jähriger Mann stürmte ein Gebetshaus der Zeugen Jehovas und schoss auf die dort versammelten Gläubigen. Sieben von ihnen starben, bevor der Täter sich selbst hinrichtete. 

Behörden und Medien sprechen von der Tat als einem "Amoklauf". Das aber erscheint kaum angemessen. Schauen wir doch kurz in den Duden. "Amok laufen" wird dort definiert mit "in einem Zustand krankhafter Verwirrung [mit einer Waffe] umherlaufen und blindwütig töten". 

Nicht "blindwütig" getötet, sondern gezielt

Das aber trifft auf die Tat in Hamburg nicht zu. Der Täter war früher selbst Mitglied der Zeugen Jehovas. Er tötete also wohl kaum "blindwütig" irgendwelche zufällig anwesenden Menschen, sondern offensichtlich ganz gezielt. Es gibt ein Wort im Deutschen dafür: Terror. 

Einen vernünftigen Grund, den Täter von Hamburg nicht als Terroristen zu bezeichnen, es nicht einmal in Betracht zu ziehen, gibt es nicht. Zumindest müsste auch in diese Richtung ermittelt werden. 

Denn: An seiner ideologischen Motivierung gibt es kaum Zweifel. In einem von ihm geschriebenen Buch – aus heutiger Sicht kann man von einem Manifest sprechen – stellte er die Geschichte der Menschheit als einen ewigen Kampf zwischen Satan und Christus dar. Das Buch ist von religiösen Endzeitphantasien geprägt, berichtet "t-online". Es trägt den Titel "The Truth About God, Jesus Christ and Satan: A New Reflected View of Epochal Dimensions".

Es fällt schwer, sich vorzustellen, dass diese krude Weltsicht nichts mit dem tödlichen Anschlag auf die Angehörigen einer Glaubensgemeinschaft, der er früher selbst angehörte, zu tun haben soll. Wie kann es also sein, dass das einfach ignoriert wird – und die Behörden sogar erklären, es gebe keine Hinweise darauf, dass der Mann Extremist gewesen sei? 

Zweierlei Maß: Auch christlicher Fundamentalismus kann tödlich sein

Sobald ein Mörder einen arabisch klingenden Namen hat, eventuell noch bei seiner Tat aus welchem Grund auch immer "Allahu akbar" (deutsch etwa: Gott ist groß) gerufen hat, wird monatelang ermittelt, ob es irgendeinen religiösen Bezug bei seiner Bluttat gibt. 

Ein christlicher Extremist dagegen kann sogar ein ganzes Buch hinterlassen, in dem er seine Ideologie darlegt – ohne, dass jemand einen Bezug vermutet.

Höchste Zeit, die Dinge klar beim Namen zu nennen. Dazu gehört auch, sich mit religiösem Extremismus auseinanderzusetzen, wenn er nicht islamistisch, sondern christlich-fundamentalistisch motiviert ist. Es mag bequemer sein, den Anschlag als Amoklauf zu behandeln. Der Realität gerecht wird es nicht.

Kommentare

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IStauch am So, 19.03.2023 - 14:17 Link

Vielen Dank für diesen Kommentar. Auch ich finde es völlig indiskutabel, dass der christliche Fundamentalismus nicht als solcher bezeichnet und verurteilt wird. Offenbar sind wir wegen der Nähe der Weltanschauung zu sehr gehemmt, hier klare Worte zu finden. Dabei zeigen vor allem die erschreckenden Entwicklungen in den USA , dass auch dieser fundamentalismus immer wieder zur Gewalt neigt.

Bick-QLB am Di, 14.03.2023 - 08:50 Link

"Christlicher Extremismus", "kein Zweifel an ideologischer Motivierung", "auch christlicher Fundamentalismus kann tödlich sein" – so passt es nicht zusammen. Islamistische Terroristen töten nicht Muslime, sondern "Ungläubige" und Juden. Dann hätte der Täter von Hamburg nicht gerade Zeugen Jehovas töten müssen, oder? Plausibler erscheint doch, dass der Aussteiger mit dem Alleinsein nicht zurecht kam, nachdem er vorher alle Beziehungen in seiner Religionsgemeinschaft hatte. – Mit diesem schrecklichen Ereignis belegen zu wollen, dass christlicher Fundamentalismus genauso zu militantem Terror führen kann wie islamistischer, funktioniert einfach nicht.

Oliver Marquart am Di, 14.03.2023 - 08:59 Link

Bei islamistischen Anschlägen weltweit sterben mit überwältigender Mehrheit Muslime. Fundamentalistische Ideologien, egal welcher Prägung, führen stets zu Terror, auch gegen "die eigenen Leute" oder vermeintliche Abweichler. Daher plädiere ich dafür, dies nicht, wie in Hamburg geschehen, von vornherein auszuschließen, weil es nicht in die gängigen Schemata passt. Amok bezeichnet ursprünglich einen spontanen, irrationalen Gewaltausbruch, das passt nicht zum gezielten Vorgehen des Täters. Es ist Terror - und die Motive liegen vermutlich im religiösen Weltbild des Attentäters.