Einem Bericht der renommierten französischen Investigativ-Plattform "Mediapart" zufolge haben die Vereinigten Arabischen Emirate viel Geld in eine Verleumdungskampagne gesteckt, deren Ziel es war, mehr als tausend Personen und Hunderten von Organisationen in Europa angebliche Verbindungen zur Muslimbruderschaft nachzusagen. Die betroffenen Personen und Institutionen, allesamt europäisch und muslimisch, sollten so diskreditiert werden, ihr Ruf irreparabel beschädigt werden.
Die Muslimbruderschaft ist die älteste existierende islamistische Organisation. Sie wird von vielen Staaten als Terrororganisation eingestuft und hat zahlreiche andere islamistische Bewegungen inspiriert. Der Vorwurf, auch nur im Kontakt mit ihr gestanden zu haben, kann Folgen wie Strafverfolgung oder Jobverlust nach sich ziehen.
Wie "Mediapart" herausgefunden hat, haben die Herrscher in Abu Dhabi sich die Verleumdungskampagne einiges kosten lassen. Knapp 6 Millionen Euro haben sie demnach dafür an die Schweizer Firma Alp Services bezahlt.
Was haben die Emirate von der Verleumdungskampagne?
Moment mal. Die autoritäre Regierung eines arabischen Staats bezahlt eine Schweizer Firma, damit diese in Europa lebende Muslim*innen und muslimische Organisation als Islamist*innen verleumdet. Wieso denn das? Was haben die davon?
Um das Motiv dahinter zu verstehen, hilft es erstmal zu schauen, wer attackiert wurde. Zu den Zielpersonen gehörten Politiker*innen, Vertreter*innen islamischer Organisationen, Aktivist*innen sowie prominente Frauenrechtler*innen. Sehr unterschiedliche Menschen mit sehr unterschiedlichen Ansichten also. Sie weisen lediglich eine Gemeinsamkeit auf: Sie sind alle Muslim*innen, werden aufgrund ihres Namens oder ihres Aussehens als muslimisch wahrgenommen oder stehen im Ruf, sich für Belange von Muslim*innen einzusetzen.
Die von der Kampagne Betroffenen bestritten entweder, Verbindungen zur Muslimbruderschaft zu haben oder gehabt zu haben, oder baten darum, ihre Namen nicht zu veröffentlichen, aus Angst, erneut belästigt oder angegriffen zu werden.
Die Ergebnisse der Kampagne sind also verheerend, und das in mehrerlei Hinsicht: Existenzen wurden vernichtet, Menschen aus der Öffentlichkeit gedrängt, Organisationen, wie etwa die Hilfsorganisation "Islamic Relief", schwer beschädigt. Gleichzeitig trug die Kampagne nicht unerheblich dazu bei, den Islamhass in Europa zu verstärken. Denn wenn Muslim*innen aus ganz verschiedenen politischen Richtungen und mit ganz verschiedenen Sichtweisen letzten Endes vermeintlich mit der Muslimbruderschaft, dem Islamismus, unter einer Decke stecken, nährt das natürlich Verschwörungstheorien und antimuslimischen Rassismus.
Warum unterstützt muslimisches Land Hetze gegen Muslim*innen?
Das wirft die nächste Frage auf: Warum unterstützt und finanziert die Regierung eines muslimischen Landes eine Kampagne, die sich gegen Muslim*innen in Europa richtet, unabhängig von deren politischen Ansichten oder Aktivitäten?
Was bringt es dem Präsidenten der Vereinigten Arabischen Emirate, Mohammed bin Zayed, Angst zu verbreiten, unschuldige Muslim*innen zu verleumden, ihren Ruf und ihre Geschäfte zu ruinieren, rassistische Angriffe auf Moscheen anzustacheln und rechtsextremen Parteien und Positionen in europäischen Ländern zum Auftrieb zu verhelfen?
- Zum einen kann er sich den europäischen Regierungen so als "guter Muslim" verkaufen. In Europa wird sehr gerne in Dichotomien gedacht. Gerade, wenn es um Musli*innen geht: Hier die guten, die moderaten, die liberalen, dort die böse, die fanatischen, die frommen. Wirtschaftliches Interesse, sich als vermeintlich Guten darzustellen, besteht daran aus bin Zayeds Sicht unbedingt: Die Europäische Union ist der zweitgrößte Handelspartner des Autokraten nach China.
- Zugleich kann es aus Sicht der Vereinigten Arabischen Emirate auch nicht schaden, für Unruhe in Europa zu sorgen. Russlands Präsident Putin fährt seit längerem eine ähnliche Taktik: Er unterstützt diverse rechtsradikale Parteien in Europa und lässt über "RT" gezielte Desinformationen über eine angebliche "Islamisierung" Europas verbreiten. Weniger, weil die ideologischen Gemeinsamkeiten mit der Neuen Rechten so groß sind (was sie allerdings durchaus sind), sondern aus kaltem Kalkül: Die Menschen verwirren, Unruhe stiften, Verschwörungsglauben schüren.
- Wichtig ist auch ein drittes Motiv: Die Emirate streiten sich mit Katar darum, wer mehr Einfluss in Europa hat. Das Ausrichterland der Fußball-WM der Männer 2022 gilt als Unterstützer und Förderer von Gruppierungen, die der Muslimbruderschaft nahestehen. Der Diktator der Emirate proklamiert dagegen den Sufismus, eine mystische Richtung des Islam, die im Westen (ohne genaues Hintergrundwissen) gerne als "liberal" oder "weltoffen" kategorisiert wird.
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Auch in diesem Artikel, wie…
Auch in diesem Artikel, wie schon in vielen zuvor, wird so getan, als sei eine Kampagne mit erfundenen Fakten gegen beliebige Muslime gefahren worden, einzig, weil sie Muslime sind. Zu guter journalistischer Arbeit würde gehören, auch die Vorwürfe, die im Rahmen dieser Kampagne erhoben wurden, zu überprüfen:
"Islamic Relief" eine normale Hilfsorganisation? Nein! Die Organisation ist nachweislich im Rahmen der Muslimbruderschaft gegründet worden und weist nach wie vor vielfältige Verbindungen zur Muslimbruderschaft auf. Darauf haben viele schon lange vor der kritisierten Kampagne immer wieder hingewiesen. Und auch die antisemitischen Postings von Führungsmitgliedern von Islamic Relief wurden nicht von einer Schweizer Firma erfunden, sondern in den Social Media Accounts der Betroffenen gefunden.
Journalisten sollten recherchieren, bevor sie sich selbst in eine Kampagne - hier von muslimbruder-nahen Kreisen - einspannen lassen.
Sicherlich haben Sie Belege…
Die Dokumentation der von mir im Artikel wiedergegebenen Recherche bezüglich der Aktivitäten der Schweizer Firma ist schlüssig und widerlegt Ihre Aussagen. Sie können gerne eigene Recherchen anstellen.
Es ist richtig, dass antisemitische Postings eines "Islamic Relief"-Fürhungsmitglieds dokumentiert sind. Diese wurden allerdings erst von der Agentur hervorgeholt, als der Vorwurf der Nähe zur Muslimbruderschaft nicht verfing. Das Mitglied wurde entlassen. Eine Nähe zur Muslimbruderschaft konnte niemand nachgewiesen werden, es galt jedoch die Devise: Schuldig bei Verdacht, irgendwas wird schon hängen bleiben. Mit Erfolg, wie man sieht.