"Gegen Rechtsextremismus, Antisemitismus, Rassismus und Demokratie-Feinde Kante zeigen."

Sie sind Geschäftsführer des "Bayerischen Bündnisses für Toleranz - Demokratie und Menschenwürde schützen". Ihre Aufgaben sind allein durch den Titel schon klar umrissen. Dennoch hat sich seit Ihrem Amtsantritt im Oktober einiges getan.

Philipp Hildmann: In meiner ersten Arbeitswoche habe ich an einem bunten Bürgerfest gegen eine AfD-Kundgebung in Mödlareuth teilgenommen, dann kamen der Hamas-Angriff und die bayerischen Landtagswahlen mit den bekannten Auswirkungen, die uns bis heute begleiten. Die Themen sind also ganz klar gesetzt: gegen Rechtsextremismus, Antisemitismus, Rassismus und Demokratie-Feinde Kante zu zeigen. Das hat das Bayerische Bündnis für Toleranz mit seinen mehr als 90 Mitgliedsorganisationen zwar schon immer getan, aber die Dringlichkeit ist jetzt größer.

Sehen Sie die Demokratie bei uns in Gefahr?

Ich halte unsere Demokratie für stabil. Ich bin zuversichtlich, dass wir mit unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung eine gute Basis für die Zukunft haben. Aber klar: Die Gefährdungen wachsen. Und eine stärker werdende AfD ist durchaus bedrohlich. Durch AfD-Vertreter haben sich der Tonfall und die Streitkultur in unseren Parlamenten bereits verändert. Einige Rechtspopulisten missbrauchen auch die Parlamentsbühne für eigene Zwecke. Da muss man nur in die Kommunalparlamente schauen.

"Die AfD legt es darauf an, unser demokratisches System außer Kraft zu setzen."

Was tun?

Die Frage ist: Wie schließen wir die demokratischen Reihen gegen die Spielchen von Rechtsextremen. Das Thema ist sehr komplex. Wir haben es mit einer Partei zu tun, die demokratisch gewählt wurde, die im Kern aber keine demokratische Partei ist. Sie legt es darauf an, unser demokratisches System, wie wir es jetzt haben, außer Kraft zu setzen, die freie Presse abzuschaffen und gegen die von ihnen sogenannten "Systemparteien" vorzugehen. Wir dürfen allerdings nicht in die Falle tappen, selbst zu illiberalen Mitteln zu greifen gegen die AfD. Sonst macht man sich unglaubwürdig. Wir müssen vielmehr mit allen demokratischen Mitteln versuchen, diese Partei in ihre Schranken zu weisen.

Nicht wenige finden, dass eine AfD an der Regierungsmacht sich schnell entzaubern würde...

Das halte ich für ganz gefährlich. Wie schnell Demokratien mit demokratischen Mitteln ausgehöhlt werden können, haben wir ja etwa in Polen und Ungarn gesehen. Selbst in vermeintlich kleineren Ämtern kann die AfD schon viel Schaden anrichten. Unser Bündnis demonstriert seit Jahren für die Demokratie. Jede Kundgebung muss aber auch genehmigt werden. Allein ein AfD-Landrat könnte einer solchen Kundgebung gewaltige Steine in den Weg legen. Und bei den drei Ost-Landtagswahlen im September ist es ja durchaus möglich, dass die AfD als stärkste Kraft daraus hervorgeht. Da kann sich ganz schnell ganz viel verschieben.

"Landtagspräsidentin Ilse Aigner (CSU) macht das sehr geschickt."

Beispiel Bayerischer Landtag: Es ist dort parlamentarische Gepflogenheit, dass jede Landtagsfraktion einen Vize-Landtagspräsidenten stellt. Jede Fraktion stellt einen Kandidaten auf, die Abgeordneten wählen. Die AfD ist mit ihren Kandidaten zum wiederholten Male gescheitert. Was halten Sie davon?

Da bin ich bei der Freiheit des einzelnen Parlamentariers, nach seinem Gewissen zu wählen. Auch wenn es eine parlamentarische Gepflogenheit ist, dass jede Fraktion einen Vize-Landtagspräsidenten stellt - man kann keinen Abgeordneten zwingen, den AfD-Kandidaten zu wählen. Aber natürlich gibt man dadurch der Erzählung Nahrung, dass die AfD ein Opfer der "Systemparteien" sei, wie sie alle anderen Parteien im Landtag nennt. Wir müssen wachsam sein, dass wir die AfD in keine für sie willkommene Opferrolle drängen. Eine sehr, sehr schwierige Gratwanderung. Landtagspräsidentin Ilse Aigner macht das sehr geschickt.

Inwiefern?

Sie spricht sich klar und deutlich für Demokratie und gegen jede Form von Extremismus aus. Und sie ermahnt die Abgeordneten zu Anstand und einem fairen Miteinander. Wer sich nicht dran hält, bekommt seit dieser Legislaturperiode Strafgelder aufgebrummt. Mit solchen Mitteln zeigt sie den Feinden der Demokratie ihre Grenzen auf. Das macht sie sehr gut. In einer ruhigen, gelassenen, aber sehr deutlichen Art und Weise.

"Es heißt nicht mehr 'Ausländer raus', sondern 'Remigration', und nicht mehr 'Deutschland den Deutschen', sondern 'Ethnopluralismus'."

Glauben Sie, dass der Zuspruch für die AfD mit der Kritik an der Ampel-Regierung zusammenhängt? Oder spielt da noch was anderes rein?

Die AfD agiert hochgeschickt. Sie bietet einfache Antworten auf schwierige Fragen. Damit spricht sie vor allem verunsicherte Menschen an. Bei der Landtagswahl in Hessen im vergangenen Oktober hat das männliche Arbeitermilieu zu über 50 Prozent AfD gewählt. Also eine Partei, die eigentlich gar nicht für das Arbeitermilieu da ist. Ich glaube nicht, dass es hier nur um Protestwähler geht. Denn nicht wenige AfD-Wähler wissen ganz genau, dass die Partei in Teilen rechtsextrem ist. Aber auch hier präsentiert die AfD ihre Botschaften ganz geschickt. Es heißt nicht mehr "Ausländer raus", sondern "Remigration", und nicht mehr "Deutschland den Deutschen", sondern "Ethnopluralismus". Aber nur weil die Verpackung etwas bürgerlich-glänzend daherkommt, ist der Inhalt immer noch menschenfeindlich und rechtsextrem.

Seit Wochen gehen Tausende von Menschen auf die Straße, um gegen die AfD, gegen Rechtsextremismus und für Demokratie zu demonstrieren. Reicht das aus?

Ich freue mich sehr über den Zuspruch auf der Straße. Die bislang eher schweigende Mehrheit hat sich aus ihrer Komfortzone bewegt und präsentiert sich laut und sichtbar in der Öffentlichkeit. Umfragen zeigen, dass die AfD seit Beginn der Demos einige Prozentpunkte eingebüßt hat. Aber Demonstrieren allein reicht nicht. Auch die Politik muss handeln: Es geht um gutes Regieren und Ernstnehmen von Themen, die die Bürger bewegen. Aber die Demos haben schon mal eine große Signalwirkung. Nur mit einigen Begrifflichkeiten bin ich unglücklich. Es geht nicht um Demos gegen Rechts, sondern gegen Rechtsextremismus. Das ist ein Unterschied.

Sie meinen, das könnte sonst der AfD wieder in die Hände spielen?

Ja. Das Links-Rechts-Schema geht auf die Französische Revolution zurück. CDU und CSU kommen aufgrund dieser Sitzordnung weite Teile des rechten Flügels im Parlament zu. Wegen unserer NS-Vergangenheit ist der Begriff "Rechts" aber schwierig geworden, also sprechen diese Parteien heute selbst lieber von bürgerlich-konservativ. Aber mit Demos gegen Rechts wären strenggenommen auch diese konservativen Parteien gemeint - und das wäre aktuell wenig hilfreich. Wenn alles, was nicht ins eigene Weltbild passt, gleich rechtsextrem ist, spielt das Rechtsextremen in die Hände. Und wir verharmlosen damit den Rechtsextremismus. Das können wir uns nicht leisten. Wir brauchen alle demokratischen Kräfte, um uns gegen rechtsextremistische Herausforderungen zu wappnen.

"Grundsätzlich halte ich das Weltbild, das die AfD vertritt, für unvereinbar mit dem christlichen Glauben."

Sie sind auch Mitglied im bayerischen evangelischen Kirchenparlament. Landesbischof Christian Kopp ist außerdem Sprecher des Bündnisses für Toleranz. Finden Sie, dass kirchliche Laienämter AfD-Mitgliedern offenstehen sollten? Im Oktober sind ja zum Beispiel Kirchenvorstandswahlen in Bayern.

Grundsätzlich halte ich das Weltbild, das die AfD vertritt, für unvereinbar mit dem christlichen Glauben. Ob es klug wäre, ein Kirchengesetz auf den Weg zu bringen, um AfD-Mitglieder aus kirchlichen Ämtern herauszuhalten, müsste erst einmal intensiv diskutiert werden. Für die aktuellen Kirchenvorstandswahlen käme es sowieso zu spät. Wir haben in den Kirchengemeinden die Vertrauensleute, die über die Kandidatenaufstellung für die Kirchenvorstandswahl entscheiden müssen. Auf sie sollten wir setzen, dass sie Haltung zeigen und AfD-ler für eine Wahl nicht zulassen.

Das Bündnis für Toleranz positioniert sich auch ganz klar gegen jede Form von Antisemitismus …

Wo wir auch wieder bei der AfD wären, die ich für zutiefst antisemitisch durchseucht halte. Ein Beispiel: Der AfD-Ortsverband in Wunsiedel, wo sich jahrelang Rechtsextreme zum Rudolf-Heß-Gedenkmarsch getroffen haben, hat gerade zum Neujahrsstammtisch eingeladen. Und zwar für den 27. Januar, den Internationalen Holocaust-Gedenktag. Das ist kein Zufall! Die AfD agiert seit jeher mit Provokationen und bewusst gesetzten Tabubrüchen. Auch in der Corona-Pandemie hat die AfD mitgeschwurbelt, dass es eine Elite von oben gebe, die die Welt steuert. Dahinter verbirgt sich die angebliche jüdische Weltverschwörung - Stichwort "Ostküstenkapital" oder die "Rothschilds". Dieses Narrativ hat die AfD ganz klar bedient.

Wie kann man Antisemitismus denn Einhalt gebieten?

Wie bei allen Formen von Extremismus durch politische Bildungsarbeit, Begegnung und Aufklärung. Das Bündnis zum Beispiel entwickelt eigene Aktionen oder wird von Dritten angefragt für Vorträge - zum Beispiel von Schulen. Da brauchen wir - gerade in diesen Zeiten - eine Aufstockung der finanziellen Mittel von politischer Seite, und keine Kürzungen.

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