Mit Rufen und Gertenhieben treiben Händler ihre Pferde über den staubigen Boden. Ihre Holzwägen sind vollbepackt mit Seife, Öl, Mehl oder was die Menschen im benachbarten Sudan sonst brauchen. Nur ein schiefer Wegstein im Boden markiert die unscheinbare Grenze zwischen Sudan und Tschad, zwischen Krieg und Schutz. Die kleine Grenzstadt Adré ist ein Umschlagplatz geworden. Für Waren, die in der sudanesischen Region Darfur seit Monaten fehlen. Und Adré ist erster Ankunftsort für Flüchtlinge, die dem Grauen in Darfur entfliehen konnten.
"Allein gestern sind hier 400 Menschen angekommen", erzählt Souleymane Kochei, der als behördlicher Vertreter des Tschad die Menschen in Empfang nimmt. In einem kleinen halboffenen Zelt ruht eine Familie, gezeichnet von der Flucht und der abfallenden Spannung. "Wir nehmen hier ihre Daten auf und schauen, wo wir sie anschließend unterbringen können", erklärt Kochei und zeigt auf sein Tablet. Diese werden dann mit dem UN-Flüchtlingshilfswerk und dem Welternährungsprogramm geteilt, um eine Erstversorgung auszulösen. Nachdem die Geflüchteten medizinisch in einem benachbarten Zelt untersucht wurden, sollen sie in offizielle Camps weitergeleitet werden. Doch die meisten Neuankömmlinge machen Station im Transitcamp von Adré.
Zu viele Flüchtlinge, zu wenig Platz
"Hier leben mittlerweile mehr als 220.000 Menschen", erzählt Adam Abdallah in geschliffenem Englisch. Einst Lehrer im Sudan, ist er heute der Leiter eines Camps, das einer mittelgroßen Stadt gleicht und die frühere Einwohnerzahl von Adré bei weitem übersteigt. Auch wenn es den Menschen an allem fehlt, bleiben viele sudanesische Geflüchtete lieber in dem Camp und organisieren die Hilfe selbstständig. Finanzielle Unterstützung von im Ausland lebenden Sudanesen setzen sie hier um in Bildung für die Kinder oder infrastrukturelle Verbesserungen. "Im Stadtzentrum haben wir einen Raum angemietet, um den Jugendlichen IT-Kenntnisse beizubringen", sagt Adam.
Umfangreiche Hilfe bleibt ihnen versagt, weil das Transitcamp zu nah an der Grenze liegt. "Aber die Menschen hier wollen nicht weg ins Landesinnere. Sie haben Angst vor Ausgrenzung und Gewalt", sagt Adam. Zu frisch sind die Erinnerungen an die blutigen Massaker und Hinrichtungen, welche die Menschen durch Kämpfer der Rapid Support Forces (RSF) erleben mussten. Zu Tausenden wurden Menschen auf dem vermeintlich sicheren Weg in den Tschad getötet, weil sie schwarz waren oder nicht den Ethnien der mit den RSF verbündeten Gruppen angehörten.
Doch die Tage für das Camp in Adré scheinen gezählt: Die Behörden haben angekündigt, jegliche Unterstützung für das Camp bis Ende November zu beenden und die Menschen umzusiedeln. Ein Plan, der schon jetzt nicht mal im Kleinen aufgeht. Auf mehr als ein Dutzend Flüchtlingscamps verteilen sich heute bereits Hunderttausende Geflüchtete. Ein neu errichtetes Camp in Dougui – rund vier Autostunden von der Grenze entfernt - soll rund 50.000 Menschen nach der Umsiedlung aufnehmen. Doch allein diese Zahl an neuen Geflüchteten kam allein im Oktober an, weil sich die Kämpfe und Übergriffe in Darfur nach dem Ende der Regenzeit erneut intensiviert hatten.
Fehlende Perspektiven auch ein Jahr nach der Flucht
Die Aufnahme von neuen Geflüchteten sei gar nicht möglich, glaubt auch Sadia Issa, die im Camp Arkoum zusammen mit rund 54.000 Menschen ausharrt. Ihnen fehle es ein Jahr nach ihrer Flucht an Perspektiven und ausreichender Versorgung.
"Wir können im Umland keine Landwirtschaft betreiben oder uns wirtschaftlich betätigen. Wir sind zum Nichtstun verdammt", sagt Sadia Issa.
Besonders die Jugendlichen machen ihr Sorgen, da sie in die Kriminalität abrutschen oder Drogen nehmen könnten. Hinzu käme, dass einige Familien längst nicht das erhielten, was ihnen an Hilfe zusteht. "Wir bekommen drei Schüsseln Sorghum-Getreide, anderthalb Schüsseln Bohnen, ein halbes Glas Salz und ein Liter Öl. Das reicht oft nur für zehn Tage, muss aber für einen Monat herhalten", erzählt sie.
Um die Lage von Geflüchteten in Arkoum etwas zu verbessern, hat die Diakonie Katastrophenhilfe zusammen mit ihren Partnern vom Lutherischen Weltbund und der lokalen Hilfsorganisation Shakal zwanzig Latrinen errichtet und die Menschen über Hygiene aufgeklärt. Im kommenden Jahr sollen auch die Möglichkeiten der eigenen Subsistenz in verschiedenen Flüchtlingscamps verbessert werden. Saatgut und Werkzeuge ermöglichen Geflüchteten dann, selbst Nahrungsmittel anzubauen. Bargeldhilfen geben ihnen mehr Freiheit, Versorgungslücken zu decken oder eigene Geschäftsideen mit Startkapital zu beginnen. Genau das wollen die Menschen und es baut Spannungen mit den aufnehmenden Gemeinden ab.
Lose-Lose-Situation für Flüchtlinge und Gemeinden auflösen
"Seitdem die Geflüchteten hier sind, ist unser Leben schwieriger geworden", bestätigt der 62-jährige Mahamud Mahammad. Er ist der stellvertretende Bürgermeister von Arkoum. "Wir sind uns kulturell ähnlich und haben nichts gegen die Flüchtlinge. Doch heute müssen wir das Dreifache für Getreide und Mehl bezahlen. Der Preis für Fleisch hat sich sogar versechsfacht. Früher aßen wir dreimal am Tag, heute nur noch zweimal", so Mahammad. Der Grund ist ganz einfach: Das Camp wurde auf Land errichtet, auf dem die Dorfbewohner von Arkoum früher Landwirtschaft betrieben haben. Dort, wo sie jetzt arbeiten, würden die Tiere der Geflüchteten ihre Ernten zerstören. Zudem werde das Feuerholz in der ariden Region immer weniger und sie müssten weit laufen. Das alles verändert die Preise, die Last auf jedem Einzelnen und macht daraus eine Lose-Lose-Situation sowohl für die Geflüchteten als auch die benachbarten Gemeinden.
Ein Umstand, der laut Regis Fabo, Leiter der Diakonie Katastrophenhilfe in der Region, gelöst werden müsse: "Es gibt gute Beispiele und Erfahrungen, wie die Integration von Geflüchteten in Gemeinden funktionieren kann. Das muss sie auch, um Reibungen und Probleme abzubauen, denn viele der Geflüchteten werden – wenn überhaupt – erst in vielen Jahren zurückkehren können", sagt Jabo.
Deshalb sei es wichtig, immer auch die aufnehmenden Gemeinden bei den Hilfsprojekten mitzudenken und einzuplanen. "Wir müssen uns aber auch bewusst sein, dass die rasant steigende Zahl von Geflüchteten alle humanitären Organisationen vor enorme Herausforderungen stellt. Dafür braucht es zusätzliche Kapazitäten und finanzielle Mittel", sagt Fabo. Ein vom Auswärtigen Amt unterstütztes Projekt im Tschad sei ein wichtiger Grundstein dafür und könne hoffentlich die Lage der Vertriebenen im kommenden Jahr etwas verbessern.
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