Seit sieben Uhr morgens ist Francis Karori auf der Suche nach Plastik. Gerade sammelt der 21-Jährige Joghurtbecher und andere Verpackungen von einer der vielen Müllhalden in Kibera, der größten informellen Siedlung Nairobis mit mehr als einer Million Menschen. Karori bahnt sich seinen Weg zwischen vollen Windeln, Essensresten und sonstigem Unrat.

Einmal wöchentlich schaufelt die Stadtverwaltung den Abfall aus den Müllhalden und bringt ihn zur riesigen Mülldeponie am Rand der Stadt. Die komplette Sammlung und Sortierung läuft aber informell ab. Seit er elf Jahre alt ist, ist Francis Karori Müllsammler - wie auch schon seine Eltern. Er gehört damit zu rund 1.800 Menschen, die so in Kibera ihren Lebensunterhalt bestreiten. Die gesammelten Materialien verkaufen sie an Händler, pro Kilo Plastik gibt es je nach Qualität umgerechnet zwischen sieben und zwölf Cent. An guten Tagen bekommt Karori 20 Kilo zusammen und verdient dann bis zu zwei Euro.

Zu wenig und nicht gerecht

Das sei viel zu wenig - und werde dem nicht gerecht, was die Müllsammler zum Funktionieren der Gesellschaft beitragen, sagt Gisore Nyabuti. Der 26-Jährige ist im Vorstand des Verbands der Müllsammler in Kenia, den er 2021 zusammen mit Mitstreitern und dem Zentrum für Umweltgerechtigkeit und Entwicklung CEJAD gegründet hat. Rund 46.000 Müllsammler haben sie bisher landesweit registriert. Nyabuti kämpft für ihre Interessen, auch bei Treffen mit Regierungsvertretern.

Aktuell ist es ein Gesetz, das in Kenia diskutiert wird. Es soll Produzenten verpflichten, für das Recycling zu zahlen. "Die Müllsammler sind absolute Experten", sagt Nyabuti.

"Deswegen müssen sie in die Entscheidungen der Regierung einbezogen werden, ohne uns gäbe es kein Recycling".

Die Müllsammler bräuchten dringend bessere Bedingungen. Eine Idee: Der Staat organisiert den Sektor und zahlt den Arbeitern monatliche Einkommen. Mit einer privaten Initiative zeigt Nyabuti, wie es laufen kann.

Interesse an sozialen Bewegungen

Er wuchs in Kibera auf, wo er noch immer lebt. Auch er hat sich als Kind mit Müllsammeln etwas dazuverdient, vor allem mit alten Nägeln. Metalle bringen den höchsten Preis. Doch dann konnte er dank Stipendien seinen Schulabschluss und eine Ausbildung zum Mechaniker machen. Während seiner Ausbildung bei den katholischen Don-Bosco-Mönchen begann er, sich durch die Bibliothek zu lesen und sich für soziale Bewegungen zu interessieren. Und gründete nach dem Abschluss seine eigene kleine Organisation "Slums Go Green and Clean" (etwa: Slums werden grün und sauber).

Seit 2018 sammeln nun jugendliche Mitglieder von Nyabutis Organisation zweimal die Woche den Müll von 6.000 Haushalten in Kibera ein. Aus dünnen Plastiktüten, die die Müll-Händler nicht ankaufen, haben sie mit einer Hitzepresse recycelte Mülleimer hergestellt. Hunderte Haushalte haben inzwischen drei davon - für Plastik, Papier und Biomüll. Wer noch keinen hat, nutzt leere, wiederverwendbare Getreidesäcke. Plastik und Papier verkaufen Nyabuti und sein Team, der Biomüll landet bei Schweinen und in der Zucht von Larven der Schwarzen Soldatenfliege, die dann wiederum an Hühner verfüttert werden.

Die Haushalte müssen sich damit nicht weiter um ihren Müll kümmern - und die Sammlerinnen und Sammler haben ein relativ verlässliches Einkommen. Nyabuti bietet mittlerweile auch für Organisationen und Touristen Touren durch Kibera an. Er will Netzwerke aufbauen und Aufmerksamkeit für die Müllsammler schaffen. Und er sucht nach Unterstützung, um Unterkünfte für sie zu bauen.

"Wir wollen, dass die nächste Generation eine Wahl hat, ob sie mit Müll ihr Geld verdient", sagt Nyabuti.

Auch Francis Karori träumt davon, nicht für immer den Dreck der Stadt sortieren zu müssen. Er würde gerne ein kleines Geschäft aufbauen, in dem er gebrauchte Turnschuhe verkauft.

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