Kann man ein typisches "Obdachlosengesicht" ausmachen, also anhand eines Gesichtes unterscheiden, ob eine Frau auf der Straße lebt oder in geregelten Verhältnissen? 26 Frauenportraits hängen im Treppenaufgang zum Augustanasaal. Die Hamburger Fotografin Ann-Kathrin Kampmeyer hat die Frauen alle in Szene gesetzt – Portraits, meist nur Kopf und Schultern im weißen Unterhemd, manchmal auch ohne Oberteil, also verletzlich pur und ehrlich.

Aber: Nur sechs aus 26 sind tatsächlich Frauen ohne festes Dach über dem Kopf. Und dann ist da noch der Spiegel zwischendrin, in dem der Betrachter eher beiläufig huscht und feststellt – er könnte einer von ihnen sein. "Obdachlosigkeit hat jedes Gesicht" ist auch das Motto der Fotoschau, die hinter die eigenen Vorurteile blicken lässt.

Alltagsbild aufrecht erhalten

"Frauen versuchen so lange wie möglich, ein normales Alltagsbild von sich aufrecht zu erhalten", sagt  Susanne Greger, Vorstandsvorsitzende des SkF Augsburg. In der Beratungsstelle "InBelLa" sowie im Übergangswohnheim "Casa Donna" erlebe sie Biografien, die oft in Einklang mit Begegnungen mit der Justiz, häuslicher Gewalt zu Hause und anderen Konflikten sind.

"Frauen sind schon auch sichtbar, wenn sie dann keine Unterkunft mehr haben. Das kann man erkennen, aber vielleicht eben nicht so schnell wie bei Männern, weil es manchmal auch um deren Kinder geht."

SkF-Geschäftsführerin Martina Kobriger hat Frauen erlebt, die tatsächlich erst auffallen, wenn sie ein bisschen verwirrt wirken. "Viele unserer Frauen im Casa Donna haben eine psychische Erkrankung. Mancher merkt man an, dass da irgendwas nicht stimmt, und dann kommen Passanten oder auch die Polizei auf uns zu", berichtet sie. Manchmal schaffen Frauen aber auch selbst den Weg in die Beratungsstelle, weil sie von anderen gehört haben "da kannst du hingehen." Allerdings könne man im Übergangswohnheim lediglich 30 Plätze auf Zeit vorhalten. Kobriger und Greger wünschen sich für ihr SkF eine "Frauenpension" als dauerhafte Bleibe.

Portraits im Treppenaufgang zum Augustanasaal
Die Portraits von vermeintlich obdachlosen Frauen hängen im Treppenaufgang zum Augustanasaal.

Einzelschicksale aus Augsburg

Auch ohne eigenes Portrait, werden in der Augsburger Variante der Ausstellung Frauen aus der Stadt in Kurzportraits auf bedrucktem Tuch vorgestellt. Man erfährt von Doris (20), die mal hier, mal dort schläft und durch InBelLa ein Durchlaufkonto erhielt, worüber sie Leistungen des Jobcenters erhalten konnte und mittlerweile eine eigene Wohnung hat. Doris holt jetzt sogar ihren Realschulabschluss nach. Heike dagegen hat schon seit ihrer Jugend mit Heroin Probleme – und zwei minderjährige Kinder. Immerhin konnte ihr der SkF einen einjährigen Aufenthalt im "Haus Lea" ermöglichen, von wo aus die junge Frau sich langsam zu stabilisieren scheint.

Und es gibt Geschichten wie die von Amalia aus der Dominikanischen Republik, die bereits während ihrer ersten Schwangerschaft vom Kindsvater verlassen worden war, in Deutschland einen anderen Mann kennen lernte, wieder schwanger wurde, aber unter dem Alkoholkonsum und Gewaltausbrüchen ihres neuen Partners massiv zu leiden hatte. Amalia gelang die Flucht in das SkF-Frauenhaus. Nach zweieinhalb Jahren Unterstützung konnte ihr der soziale Dienst jetzt eine Wohnung für sie und ihre Kinder vermitteln.

Laut Astrid Gabler, Augsburger Stadträtin (CSU) galten im vergangenen Jahr in gesamt Deutschland 439500 Menschen als obdachlos, von denen immerhin 40 Prozent Frauen seien. In Augsburg wisse man von derzeit etwa 170 wohnungslosen Frauen. Allerdings seien das nur die, welche auch im Casa Donna des SkF vorbeischauen.

"Frauen brauchen sichere Schutzräume. Die Dunkelziffer ist auch bei uns unwahrscheinlich hoch." 

INFO: Die Ausstellung des SkF Augsburg und Hamburg e.V. entstand in Kooperation mit der Stiftung Obdachlosenhilfe Bayern und dem Evangelischen Forum Annahof. Öffnungszeiten: Sonntag 9 bis 16 Uhr, Montag 9 bis 18 Uhr, Dienstag bis Samstag 9 bis 22 Uhr

Lagois-Fotowettbewerb 2025: Was macht uns reich?

Weltweit nimmt die ungleiche Vermögensverteilung zu. Die oberen zehn Prozent der Bevölkerung besitzen etwa 85 Prozent des Vermögens - Tendenz steigend. Die Ärmeren hingegen besitzen zusammen nur etwa ein Prozent des Vermögens. Auch in Deutschland werden die Reichsten immer reicher - hier wuchs das Gesamtvermögen der fünf reichsten Deutschen 2024 auf rund 155 Milliarden US-Dollar an. Wie können wir die Kluft zwischen Arm und Reich überwinden? Was bedeutet denn Reichtum überhaupt für uns Menschen?

Der Lagois-Fotowettbewerb 2025 widmet sich dem Thema Reichtum und der Frage, wie wir gesellschaftliche Teilhabe und Verteilungsgerechtigkeit erreichen können. Gesucht werden Fotoreportagen und Porträts von Menschen, die sich dafür einsetzen, die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich zu verringern. Gesucht werden aber auch Arbeiten, die sich damit beschäftigen, was Reichtum noch bedeuten kann - auf persönlicher, kultureller oder gesellschaftlicher Ebene. Wie sind Wohlstand und Glück, Überfluss und Gier mit Reichtum verbunden? Welche anderen, neuen Form von Reichtum sollten wir in den Blick nehmen?

Alle Infos zum Wettbewerb unter diesem Link.

Teilnahme

Der Wettbewerb verleiht drei Preise: einen Fotopreis für Erwachsene & Profis, einen Fotopreis für Jugendliche und ein Fotografie Stipendium. Alle Einreichungen werden gesammelt über den unten stehenden Link abgegeben. 

Fotoprojekt hier einreichen und am Wettbewerb teilnehmen

Einsendeschluss Fotografie Stipendium: 15. Februar 2025

Einsendeschluss Fotopreise: 15. April 2025

Kommentare

Diskutiere jetzt mit und verfasse einen Kommentar.

Teile Deine Meinung mit anderen Mitgliedern aus der Sonntagsblatt-Community.

Anmelden