Es sind die Gewalterfahrungen, die ukrainische Kinder und Jugendliche jeden Tag erleben - seit 2014 in den Ostgebieten und seit 15 Monaten in der gesamten Ukraine. Sie müssen in Luftschutzkeller flüchten, erleben Todesängste, sehen kaputte Häuser, Wohnungen, eventuell sogar Tote.

"Es ist traumatisierend, wenn Kinder in den beschossenen Kriegsgebieten leben, extrem traumatisierend, wenn Kinder erfahren müssen, dass Familienangehörige durch den Krieg umkommen, wenn sie Zeuge werden von blutigen Ereignissen",

sagt die Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie Sabine Schönwälder. Am 27. Mai fuhr sie mit einem Trainer-Team in die westukrainische Stadt Uzhgorod, um dort Traumatherapeuten für Kinder und Jugendliche auszubilden.

Zum ersten Mal Kinder mit einer Belastungsstörung 

Für Schönwälder ist es nicht das erste Mal, dass sie in die Ukraine fährt, um dort auf ehrenamtlicher Basis Therapeutinnen und Therapeuten auszubilden. 2013 begann ihre Mission bei der Diakonie-Station der evangelischen Kirche St. Paul in Odessa, der Partnerstadt von Regensburg. Dort gab sie bisher ihre professionelle Erfahrung an die Kollegen in der Ukraine weiter. Doch Odessa ist derzeit nicht sicher genug.

Bisher galt die therapeutische Unterstützung immer den Erwachsenen - nun sind es zum ersten Mal Kinder mit einer posttraumatischen Belastungsstörung, die sie in den Blick nehmen. "Der Bedarf ist immens", sagt Schönwälder. Ihre Informationen bezieht sie unter anderem von der ukrainischen Stiftung Hope, die mittlerweile Therapiezentren für die "Children of War" errichtet, damit diese einen Weg zurück ins Leben und in die Zukunft finden.

Der Krieg sei ein "Konglomerat von massiven Faktoren, die für sich allein schon eine Traumatisierung hervorrufen können". Kinder könnten zwar relativ viele schlimme Ereignisse aushalten, "wenn die Eltern gut an ihrer Seite bleiben und das abfangen durch Bindungssicherheit. Aber das ist ja momentan nicht gegeben, weil diese selbst traumatisiert sind", sagt Schönwälder.

Traumatherapie schafft auf bestimmte Weise Frieden

Für die engagierte Ärztin ist Traumatherapie eine Form der Friedensarbeit, wie sie sagt. Kinder zu behandeln ist ihr zufolge von besonderer Relevanz, weil es um die nächste Generation geht. "Wenn Traumatisierte im Opferstatus bleiben - und traumatisierte Menschen sind immer im Opferstatus -, werden sie zu Tätern, wenn sie mächtig werden. Kann sein, dass man Macht als Eltern hat oder man hat institutionelle Macht. Das ist ein transgenerationaler psychologischer Mechanismus, den man durch Traumatherapie unterbrechen kann", sagt Schönwälder.

In der Ukraine gibt es nach ihren Angaben einen eklatanten Mangel an zertifizierten Traumatherapeuten, die eine spezielle Ausbildung für Kinder und Jugendliche haben. Deshalb wollen die Trainer die Seminare in der Ukraine in Präsenz abhalten, weil so auch die männlichen Kollegen teilnehmen können, die derzeit das Land nicht verlassen dürfen. Gerade sie seien essenziell für die traumatherapeutische Versorgung der ukrainischen Kriegskinder.

"Die Väter sind nicht da, viele kommen nicht zurück, weil sie gefallen sind. Da sind männliche Bezugspersonen umso wichtiger."

Für das Projekt "Kindercurriculum" haben sich 24 ukrainische Therapeuten angemeldet. Die Warteliste sei lang. Die Seminarreihe wird unter anderem von der Diakonie Bayern, dem Martin-Luther-Verein, der Stadt Regensburg und privaten Geldgebern finanziert.

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