Was war das für ein Aufschrei: Die Kultusministerin will eine Stunde Religionsunterricht zugunsten von Hauptfächern streichen, damit die bayerischen Grundschüler beim nächsten (oder übernächsten) PISA-Test als Speerspitze der deutschen Bildungselite nicht mehr so blamabel abschneiden. In Mathe. Oder in Deutsch. Am besten in beidem.

Als säße der Gottseibeiuns persönlich bei ihm am Schreibtisch, ließ der Ministerpräsident postwendend ausrichten, dass Kürzungen bei der Religion mit der C-Partei nicht zu machen sind. Seither geht es munter drunter und drüber: Englisch! Musik! Werken! Wer beim Feuer, Wasser, PISA-Luft als Letztes auf der Bank ist, verliert.

Deutschland landete bei der PISA-Studie nur auf Platz 25 - Tendenz seit Jahren fallend

Aber von vorn: Im Dezember 2023 hatte die OECD, die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, ihre jüngste PISA-Studie vorgestellt, bei der knapp 700 000 15-Jährige in 81 Ländern – von Klassenprimus Singapur bis Schlusslicht Kambodscha – in den Bereichen Mathe, Lesen und Naturwissenschaft auf Herz und Nieren geprüft wurden. Deutschland landete auf Platz 25, unteres erstes Drittel also, Tendenz seit Jahren fallend.

Das Land der Dichter und Denker: nur noch Durchschnitt? Logische Konsequenz aus der "PISA-Klatsche": operative Hektik in den Chefetagen der Kultusministerien. Wer mit 15 nicht gescheit lesen und rechnen kann, hat es als kleines Kind nicht richtig gelernt.

Also soll künftig in bayerischen Grundschulen von Klasse 1 bis 4 je eine Stunde mehr Deutsch und in den Klassen 1 und 4 zusätzlich eine Stunde mehr Mathe unterrichtet werden – ohne dass die Kinder länger in der Schule sitzen. Dass das ohne Kürzungen bei anderen Lehrplan-Inhalten nicht funktioniert, erkennt wiederum jeder Erstklässler.

Die 4. Klasse als Assessment-Center für die Zukunft von Zehnjährigen

Aber was soll eigentlich dieses Gezuppel am Stundenplan, diese Kosmetik am Bildungssystem mit seinen aktuellen Randbedingungen? Zwischenruf einer genervten Mutter zweier schulpflichtiger Kinder der 4. und 6. Klasse: Wer die vierte Klasse als Assessment-Center für die Zukunft von Zehnjährigen anlegt, hat vergessen, dass Kinder eigentlich lieber spielen als büffeln.

Wer stolzen Grundschulabsolventen im Gymnasium bis zum ersten Halbjahres-Zeugnis beibiegt, dass eine Vier die neue Zwei ist, braucht sich über Demotivation nicht zu beklagen. Wer 33 Sechstklässler in der Realschule wie Legehennen in ein Klassenzimmer pfercht, muss sich nicht wundern, dass dabei die Konzentration und die Arbeitsatmosphäre leiden.

Mehr Schulen, mehr Lehrkräfte, kleinere Klassen, weniger Druck, mehr Raum für Beziehung und Freude am Lernen – es wäre interessant, wie sich das auf die nächste PISA-Studie auswirken würde. Einen Gewinner gäbe es auf jeden Fall: die Kinder.

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