Versklavt, vergewaltigt, ermordet
Fast ein Jahrzehnt ist es her, dass die Terrormiliz IS die Sindschar-Region im Irak überrannte und die dort lebenden Jesiden grausam verfolgte. Wer konnte, floh. Von den Überlebenden des Terrors harren aber noch immer fast 300.000 in Flüchtlingslagern rund um Dohuk im Nordirak aus.
In schnurgeraden Reihen stehen ihre provisorischen Wohncontainer und Zelte dicht an dicht - eine Unterkunft, die für eine kurze Übergangszeit gedacht war und zum Dauerzustand geworden sind.
Heimkehr keine Option
Nur einige wenige Quadratmeter hat jede Familie zur Verfügung, auf denen sich seither das ganze Leben abspielt.
"Eine Rückkehr in ihre Heimatgebiete, das Sindschar-Gebirge, ist für die allermeisten Familien aber noch immer keine Option", sagt Jan Ilhan Kizilhan, Experte für transkulturelle Psychologie, der als Trauma-Therapeut mit den Überlebenden der Terrorherrschaft arbeitet. "Einige wenige sind zurückgegangen, denn sie sagen, sie halten es in den Lagern nicht mehr aus."
Dort habe die Zahl an Suizidversuchen, Angststörungen und Depressionen drastisch zugenommen. Doch diejenigen, die in das Sindschar-Gebirge zurückkehren, treffen auf eine instabile Sicherheitslage, verminte Gebäude und Felder, fehlende Gesundheitsversorgung und Bildungsmöglichkeiten. Deshalb warten die meisten in den Lagern. Das bedeutet Stillstand und Perspektivlosigkeit - und das seit neun Jahren.
Genaue Zahl der Opfer unklar
Nach Angaben der Vereinten Nationen begann am 3. August 2014 ein Völkermord, der bis zu 10.000 Jesidinnen und Jesiden das Leben kostete. Wie viele genau damals und in den Folgejahren umkamen, ist bis heute unklar. Denn noch immer gibt es Massengräber, die noch nicht geöffnet wurden.
Und noch immer gelten rund 2.700 Jesiden als vermisst. Die islamistische Miliz versklavte Frauen und Mädchen. Jungen unterzog der IS systematisch einer Gehirnwäsche und bildete sie zu Kindersoldaten aus.
Hilfe für die Opfer
Der Völkermord, im Januar auch als solcher vom Deutschen Bundestag anerkannt, hat tiefgreifende Spuren in der ethnisch-religiösen Minderheit hinterlassen. Im Irak steht die Anerkennung des Genozids noch aus. Mittlerweile verspricht aber zumindest ein neues Gesetz den Opfern des IS eine finanzielle Entschädigung. Dabei gehe es vor allem um überlebende Frauen, die in den Händen des IS waren, erklärt Kizilhan.
"Sie alle sollen einen Ausgleich erhalten, ähnlich wie eine Witwenrente. Das soll ihnen die Möglichkeit geben, einen Job zu finden, aber auch Rehabilitation und psychische Behandlung in Anspruch zu nehmen."
Doch der Prozess stocke. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch kritisiert in einem Bericht ebenfalls Engpässe im Entschädigungsverfahren und die verspätete Auszahlung an Geldern. Die finanzielle Stütze sei jedoch für viele Familien ein nötiger Grundstein für den Wiederaufbau und die Rückkehr in die Heimat. Laut der jüngsten Entscheidung der irakischen Regierung muss erst ein Gericht angerufen werden, um Anspruch auf Wiedergutmachung zu haben.
"Eine alarmierende Entwicklung, die die Interessen der Überlebenden nicht berücksichtigt", protestiert Human Rights Watch.
Denn Überlebende seien in dem bürokratischen Verfahren oft Schikanen und Stigmatisierung ausgesetzt.
Die Verabschiedung des Gesetzes für jesidische Überlebende sei bahnbrechend gewesen, nun müsse sichergestellt werden, dass es in einer Weise umgesetzt werde, die das Wohlergehen und die Rechte der Überlebenden respektiere. Auch Kizilhan findet, dass das Gesetz grundsätzlich in die richtige Richtung geht.
Doch er ergänzt: "Es wäre nicht das erste Gesetz, das zwar verabschiedet, aber dann nicht umgesetzt wird, da der politische Wille fehlt."
Entsprechend groß ist auch die Skepsis unter der jesidischen Bevölkerung. "Je länger die Umsetzung dauert, desto mehr schwindet das Vertrauen", sagt Kizilhan. Als Folge verließen immer mehr das Land - in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft im Ausland. Wichtig seien nun Schritte wie das zugesagte Entschädigungsgesetz, aber vor allem auch Unterstützung beim Wiederaufbau, beim Beseitigen der Minen und bei der politischen Selbst- und Mitbestimmung.
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