Eine erneute gesellschaftliche Debatte über ein Verbot von Prostitution hat die Karlsruher Theologin Judith Winkelmann gefordert. Weil die meisten im Prostitutionsgeschäft tätigen Frauen diese Tätigkeit nicht freiwillig ausübten, müsse das deutsche Prostitutionsschutzgesetz überarbeitet werden.

Das sagte die badische Pfarrerin und Studienleiterin am Zentrum für Seelsorge der Evangelischen Kirche in Baden im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Sie plädiert für die Einführung des sogenannten Nordischen Modells und sammelte auf dem Kirchentag in Nürnberg Unterschriften für eine Resolution.

Prostitution "verstößt gegen Menschenrechte"

Prostitution sei psychisch und physisch verletzend und verstoße gegen die Menschenrechte, sagte die Theologin. Solche Menschenrechtsverletzungen könnten unter der aktuellen Rechtslage, die Prostitution als normale Dienstleistung behandle, nicht effektiv bekämpft werden.

Gewalterfahrungen, Abhängigkeiten und Menschenhandel kennzeichneten das Milieu. Winkelmann sprach sich dafür aus, das Thema Prostitution auch in Kirche und Gesellschaft erneut zu diskutieren:

"Wenn Frauen gekauft werden können, widerspricht dies dem christlichen, ganzheitlichen Menschenbild."

Zudem verhindere es die Gleichstellung der Geschlechter.

Deshalb sammelte Winkelmann gemeinsam mit Mitstreiterinnen vom "Bündnis Nordisches Modell", dem Verein "Gemeinsam gegen Menschenhandel" und SOLWODI e.V. (Solidarität mit Frauen in Not) auf dem Kirchentag in Nürnberg Unterschriften für eine Resolution zum "Wertewandel in der Prostitutionsgesetzgebung". Bei mindestens 1.500 Unterschriften gilt die Resolution als angenommen und soll dann an die Bundesregierung, den Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland und die Diakonie gehen.

Nordisches Modell bestraft Freier

Nach dem 1999 in Schweden eingeführten "Nordischen Modell", das auch "Gleichstellungsmodell" genannt wird, würden nicht die Prostituierten, sondern ihre Kunden und die Profiteure des Systems für den Kauf von Sex bestraft, erklärte Winkelmann. Nötig seien zugleich flächendeckend Ausstiegshilfen sowie Schutz und Unterstützung für die Frauen.

Befürchtungen, dass die Prostitution dann in der Illegalität stattfinde und die Frauen weniger geschützt würden, bezeichnete sie als "Mythos über die Prostitution". Wenn Freier trotzdem Wege zu den Frauen fänden, schaffe das auch die Polizei. Die Theologin setzt auf die abschreckende, gesellschaftliche Wirkung einer anderen Gesetzgebung. Dies dürfe nicht unterschätzt werden, wie Studien etwa in Schweden zeigten.

Um die Prostitution und die mit ihr verbundene Ausbeutung und Gewalt einzudämmen, wurden entsprechende Regelungen auch in weiteren Ländern wie Norwegen, Frankreich, Kanada und Israel eingeführt.

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Magnolie am Sa, 15.07.2023 - 19:03 Link

Guten Tag,
ich glaube nicht, dass die osteuropäischen Frauen, die mehr oder weniger in die Prostitution gezwungen werden, die vom `Sex Coach`beschriebene Wahlmöglichkeit wirklich haben. `Geschäfte, die nicht werben sterben`...durch das nordische Modell würde der hierzulande florierende Prostitutionsmarkt erheblich eingeschmolzen werden. Rund um Prostitution entstehen meist mafiöse Strukturen, ich würde mir wünschen, dass die evangelische Kirche sich auch deshalb klar positioniert. Und zwar im Sinne der Frauen, die sexuell ausgebeutet werden. Sexualität mag vieles sein, aber doch kein Beruf. Selbst im Tierreich kommt es nicht vor, dass ein Säugetier, um einen Vorteil zu erlangen, Sex haben muss. Prostitution ist ein Produkt der patriarchalen Gesellschaft...auch der Spruch vom ältesten Gewerbe der Welt ist allein in dieser Hinsicht zu deuten. Sich dieser Praktiken zu entledigen hätte unendlich viele positive Auswirkungen. Es mag wenige Prostituierte geben, die freiwillig für Geld Sex haben, aber als Haupterwerb kann das doch eigentlich immer nur schräg sein, da die weibliche Vulva für gefühllose Dauerbenutzung nicht konzipiert ist. Frauenärzte wissen zu berichten, was damit angerichtet wird.
Es wird immer wieder gerne der alte Hut hervorgeholt, die Kirche würde Sexualität tabuisieren. Dabei hat die evangelische Kirche doch bereits seit den 80 er eine eher lockere Sexualmoral und ist in dieser Hinsicht nicht zu vergleichen mit der katholischen Kirche, die in dieser Hinsicht sehr viel restriktiver ist.

Sex-Coach am Don, 22.06.2023 - 00:10 Link

Ein mittlerweile bei Anhänger*innen des sogenannten „Nordischen Modells“ üblicher Reflex ist die Gleichsetzung von Prostitution mit Zwangsprostitution und Menschenhandel. Dabei ist die Sex-Arbeit durchaus ein Berufsfeld, das zwar nicht für alle gleichermaßen attraktiv erscheinen mag. Gleiches gilt allerdings auch für den Beruf der Theologin bzw. des Theologen oder des Zahnarztes oder der Zahnärztin.
Sicher ist es für viele Menschen völlig undenkbar, Geld für eine erotische oder sexuelle Dienstleistung anzunehmen. Aber Erotik und Sexualität emanzipieren sich zunehmend von Partnerschaft und Ehe. Der Trend zur Kontaktaufnahme über Tinder, OKCupid oder Bumble ist mit einer starken Aufwertung sexueller Inhalte und Avancen verbunden. Ebenso die Mitgliedschaft in sex-positiven Communities, in denen sehr offen sexuelle Bedürfnisse als Teil des Lebens verhandelt werden. Allein JoyClub hat - nach eigenen Angaben – mehr als vier Millionen Mitglieder. Sowohl das kostenlose als auch das kostenpflichtige Angebot pornografischer Inhalte ist in den letzten Jahrzehnten massiv gewachsen. Ohne diese Entwicklung bewerten zu wollen, ist mittlerweile ein weites Feld entstanden, in dem sich Menschen tummeln können, um ihre erotischen und sexuellen Bedürfnisse, aber auch ihre Wünsche nach Intimität und Nähe zu befriedigen.
Der Großteil dieser Kontakte und Aktivitäten fällt nicht unter die Definition von Prostitution, die sich mit dem Prostituiertenschutzgesetz von 1997 geändert hat. Diese besagt nämlich, dass es sich nur um Prostitution handelt, wo dafür bezahlt wird, dass Erregung entsteht.
Prostitution ist es also dann, wenn jemand eine Bezahlung für eine erotische oder sexuelle Dienstleistung entgegennimmt.

Es ist erstaunlich, dass Anhänger*innen des sogenannten „Nordischen Modells“ anscheinend nichts anderes einfällt, wie man Frauen in Not helfen kann, als eine Kriminalisierung der Freier. Dabei ist es unvorstellbar, dass es Frauen gibt, die eine bewusste Entscheidung für die Sex-Arbeit treffen. Zu „so etwas“ kann man eigentlich nur gezwungen werden.
Aber: Sex-Arbeit ist nicht der Ort, wo am häufigsten sexuelle Übergriffe und Gewalt passieren. Dieser Ort ist immer noch die Ehe. Prostitution ist auch nicht der Ort, wo es am meisten Missbrauch gibt. Dieser Ort ist leider immer noch die Familie – dicht gefolgt von Kirche und Schule.
Um Übergriffe, Gewalt und Missbrauch zu verhindern, müsste man – um in der Logik der Anhänger*innen des sogenannten „Nordischen Modells“ zu bleiben - sich nun dafür einsetzen, nicht einfach nur Ehe und Familie zu abschaffen, sondern Männern unter Strafandrohung verbieten, zu heiraten oder eine Familie zu gründen – auch wenn ihre Partnerin oder ihr Partner einverstanden wäre.

Die Schere zwischen Arm und Reich klafft immer weiter auf. Ohne wirtschaftliche Not(wendigkeit) würden wahrscheinlich nur sehr wenige Menschen in Schlachthallen in Rekordzeiten zur Schlachtreife gemästete Schweine zu zerlegen oder zum Mindestlohn im Einzelhandel zu arbeiten. So viel zu den Menschenrechten und dem christlichen, ganzheitlichen Menschenbild. Aber natürlich klagen wir in Deutschland auf hohem Niveau. Wenn wir uns die Arbeitsbedingungen derjenigen (zumeist) Frauen anschauen würden, die in Bangladesch oder anderswo in der Welt unsere Kleider in 12-14 Stunden Schichten nähen müssen, weil sie keine wirtschaftliche Alternative haben, sich und ihre Familie zu ernähren, würde es uns die Schamesröte ins Gesicht treiben.
Wer sich in Deutschland entscheidet, als Sex-Worker*in zu arbeiten, hat in der Regel Alternativen. Man kann sich entscheiden, ob man das Studium mit einem Kneipenjob finanzieren will. Das machen viele. Es gibt andere Möglichkeiten. Eine davon ist Sex-Arbeit. Sie kann attraktiv erscheinen, weil der Stundenlohn deutlich über dem liegt, was man als Paketfahrer*in verdienen würde. Aber es gibt auch Nachteile, die man abwägen muss. Bin ich für den Job geeignet? Trau ich mir zu, auch mit schwierigen Kund*innen souverän umzugehen? Habe ich Freude an Sex?

Dabei wird davon ausgegangen, dass es ausschließlich Frauen sind, die sich entschließen, sexuelle oder erotische Dienstleistungen anzubieten. Das ist nicht richtig!
Wahrscheinlich würden die Anhänger*innen des sogenannten „Nordischen Modells“ aber durchaus großzügig eingestehen, dass auch die Freier männlicher Sex-Worker kriminalisiert werden, davon ausgehend, dass die Freier alle männlich sind. Sind sie aber nicht!
Richtig ist, dass es leider zu wenig sexuelle und erotische Dienstleistungen für Frauen gibt, ebenso wie entsprechende Angebote für Menschen, die sich dem LGBTQA+ zurechnen. Das ist in der Tat bedauerlich, wird sich aber mit der Einführung des „Nordischen Modells“ ganz sicher nicht ändern.

Natürlich sind wir alle gegen Menschenhandel, Zwangsprostitution und Zuhälterei. Das sind Straftatbestände. Prostitution ist es Gottseidank nicht. Übrigens auch nicht in der Bibel. Sie ist eine Dienstleistung, die eine gesellschaftliche Bedeutung und einen Wert hat. Eine sexuelle oder erotische Dienstleistung erwerben zu können, hat schon mehr Ehen und Partnerschaften gerettet als zerstört. Warum? Weil beim Besuch einer oder eines Prostituierten – anders als beim Fremdgehen – ein klarer Rahmen gesteckt ist, in dem Sexualität gelebt und erlebt wird. Es geht nicht darum, eine Liebesbeziehung aufzubauen, sondern – bestenfalls – das Bedürfnis nach Sexualität, Sinnlichkeit und Erotik zu stillen. (An dieser Stelle sei der Fairness halber auch gesagt, dass viele Menschen, die eine erotische oder sexuelle Dienstleistung erwerben, am Ende nicht das gefunden haben, was sie eigentlich gesucht haben.)

Sex-Arbeit ist keineswegs immer Sex wie im Porno, auch wenn es immer mehr Menschen gibt, die mit dieser Vorstellung von Sexualität zu Prostituierten kommen.
Prostituierte können einen geschützter Raum bieten, in dem „absolute beginner“ erste sexuelle und erotische Erfahrungen sammeln können, ebenso wie Menschen, die sich nach traumatisierenden Erfahrungen wieder an die eigene Sexualität herantasten wollen. Prosituierte bieten Menschen mit Einschränkungen oder alten Menschen, die ansonsten keine andere Möglichkeit sehen, eine sexuelle Dienstleistung in Form von Sexualbegleitung und Sexualassistenz an.
Die Aufzählung könnte noch fortgesetzt werden, aber schon jetzt ist es hoffentlich deutlich geworden, dass Prostitution in diesem Sinne eine Form praktischer Sexualpädagogik sein kann, die einen nicht zu unterschätzenden gesellschaftlichen Nutzen hat.

Anstatt Kund*innen von Prosituierten zu kriminalisieren, sollte man – wie in Belgien – so mutig sein, Prostitution endlich zu entkriminalisieren und unseren Blick auf sie zu weiten. Vielleicht könnte man dann auch eines Tages überlegen, ob es nicht ein interessanter Ausbildungsberuf werden kann.

Prostitution ist nicht die Wurzel alles Übels. Unser Umgang damit ist das Problem. Sexualität ist immer noch ein Tabu. Wenn wir lernen, über unsere (sexuellen) Bedürfnisse und Wünsche zu kommunizieren und für uns und unsere Grenzen einzutreten, desto weniger verderblich wird uns Prostitution erscheinen. Leider ist man in bestimmten kirchlichen Kreisen immer noch eher bereit, in das laute Geschrei nach einem Regulativ einzustimmen, anstatt Menschen zu ermutigen, in einen Diskurs zu kommen.
Das sogenannte „Nordische Modell“ würde an dem menschlichen Bedürfnis nach Sexualität nichts ändern. Übrigens ist Sexualität auch ein Menschenrecht, dem man nicht mit Restriktionen begegnen sollte, sondern mit einem offenen Geist.