Anfang März rief eine Einwohnerin Chersons bei der Hotline der ukrainischen Menschenrechtsorganisation "La Strada" an. Die Stadt war eine der ersten, die nach dem russischen Angriff besetzt wurde, und sie ist immer noch unter der Kontrolle russischer Truppen.

Gruppenvergewaltigung durch russisches Militär

Zunächst erzählt die Frau, wie sie und ihre 17-jährige Tochter die Besatzung erleben, dass sie zu Kundgebungen zur Unterstützung der Ukraine in der Stadt gegangen seien und gesehen hätten, wie das russische Militär Zivilist*innen getötet habe. Erst später berichtet sie, dass sie und ihre Tochter eine Gruppenvergewaltigung durch das russische Militär durchlitten haben.

Die Psychologin Alena Krivuljak, Vertreterin von "La Strada", schilderte dem Evangelischen Pressedienst (epd), was die Frau laut eigener Aussage erlebt hat.

"Sie und ihre Tochter wohnen in einem Haus, und fast jeden Tag kommt das russische Militär zu ihnen, überprüft, ob jemand im Haus aufgetaucht ist, schaut ständig auf ihre Handys, und nimmt ihnen Essen weg. Einmal kamen sie abends, betrunken und aggressiv, und forderten, dass die Frau sich auszieht. Sie fing an zu weinen und bettelte darum, nicht berührt zu werden."

Daraufhin hätten die Soldaten begonnen, die Frau mit Gewalt auszuziehen. "Die Tochter rannte hinaus und versuchte die Mutter zu schützen, die russischen Besatzer sagten: 'Hier ist noch eine'", gibt Krivuljak das Gespräch wieder. Bei der anschließenden Gruppenvergewaltigung fielen die Männer in einem Raum über Mutter und Tochter gleichzeitig her.

Betroffene berichten oft erst später von Taten

Mehrfach sprach die Frau darüber mit Psychologen von "La Strada" und fragte, wie der Teenagerin jetzt geholfen werden könne. Mutter und Tochter können Cherson immer noch nicht verlassen.

Insgesamt erhielt "La Strada" seit Anfang des Krieges zehn Berichte über die Vergewaltigungen ukrainischer Frauen durch das russische Militär, aber Menschenrechtsaktivisten gehen von mehr Fällen aus. Sie erwarten weitere Anrufe, wenn die Opfer in sicherere Gebiete ziehen. Als 2014 die Auseinandersetzungen im Donbass begannen, berichteten ukrainische Frauen laut Alena Krivuljak erst rund sechs Monate später von Vergewaltigungen. Einige hätten erst nach zwei bis drei Jahren darüber gesprochen, was passiert ist.

Vergewaltigung als Kriegswaffe

Die Psychologin nennt Vergewaltigung eine Kriegswaffe:

"Jetzt ist jeder Einwohner der Ukraine in Gefahr. Die älteste Frau, die sich an uns gewandt hat, ist 58 Jahre alt, die jüngste ist 17. Es gibt Fälle, in denen Mütter vor ihren Kindern vergewaltigt werden, die drei bis vier Jahre alt sind."

Auch Menschenrechtsaktivist*innen melden Vergewaltigungen

Vergewaltigungen melden auch Menschenrechtsaktivist*innen von Human Rights Watch und Amnesty International, während die russische Seite entsprechende Berichte dementiert. Die ukrainische Generalstaatsanwältin Irina Venediktova sagt, dass es viele Fälle gibt und dass alle untersucht werden, sobald die Gebiete befreit sind. "Wir werden die Vergewaltiger weder heute noch morgen bestrafen können", räumt Alena Krivuljak ein.

Sie fordert die Frauen dennoch dringend auf, Beweise für das Geschehene zu sammeln, Ärzte zu kontaktieren, Bilder von Verletzungen zu machen und an die Generalstaatsanwaltschaft der Ukraine zu schreiben.

 

Anmerkung d. Red.: Dieser Artikel enthielt ursprünglich einen Absatz über die damalige ukrainische Menschenrechtsbeauftragte Ludmila Denisova. Diese wurde inzwischen aus ihrem Amt entlassen. Der Vorwurf lautet, sie habe unangemessen über Vergewaltigungen und sexuelle Gewalt durch russische Soldaten an Zivilist*innen gesprochen. Wir haben den Absatz daher entfernt.

Wo finden Betroffene von sexualisierter Gewalt Unterstützung?

Frauen, die von sexualisierter Gewalt betroffen sind, können sich bei all ihren Fragen an das Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen" wenden. Das Hilfetelefon stellt auch den Kontakt zu Unterstützungseinrichtungen in der Nähe her.

Verwandte, Freundinnen und Freunde sowie Fachkräfte können sich ebenso beraten lassen. Das Telefon ist rund um die Uhr und jeden Tag im Jahr erreichbar, der Anruf ist kostenlos.

Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen": 08000116016