An diesem Osterfest fällt es schwerer als in anderen Jahren, Auferstehungsfreude zu empfinden oder gar in Osterjubel zu verfallen. Massengräber in der Ukraine, auf Butschas Straßen liegende ermordete Zivilisten, vergewaltigte und dann verbrannte Frauen und vieles Schreckliche mehr sind Karfreitagsbilder, die sich nicht so leicht mit Ostereiersuche und Palmkätzchensträußen vertreiben lassen. Dieser Krieg, das wird immer deutlicher, ist nah, grauenvoll, und betrifft uns unmittelbar.

Ostern ist seit Karfreitag 1960 auch ein fester Termin der Friedensbewegung: Der erste deutsche Ostermarsch war ein Protest gegen die Stationierung von atomaren Kurzstreckenraketen. Ostern 1968 gingen bundesweit bereits rund 300 000 Menschen auf die Straße. Für eine erneute Renaissance der Ostermärsche sorgte 1979 der sogenannte NATO-Doppelbeschluss. Auch viele Christen sind der Ostermarschbewegung von jeher verbunden. Ein ungeklärter Konflikt blieb, ob sich der Protest nur gegen die Stationierung von US-Atomraketen richten sollte oder auch gegen russische.

"Stoppt den Kriegskurs der NATO"?

Nun droht der russische Diktator Wladimir Putin mit dem Einsatz von Atomwaffen, und eine Lebenslüge ist geplatzt, die die Reste der Friedens- und Ostermarschbewegung bisher zusammengehalten hat. Denn deren bisheriger "Minimalkonsens" waren die Gegnerschaft zur NATO und fatale Russland-Illusionen.

Es ist unerträglich, wenn Zeitgenossen, die die Schreckensbilder aus der Ukraine nicht ertragen, den Überfallenen zu einer möglichst raschen Kapitulation raten, wie es jüngst das Frankfurter Ostermarsch-Urgestein Willi van ­Ooyen tat. Noch im Februar hatte er mit 200 Gleichgesinnten – unter anderem Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht – einen Aufruf unter der Überschrift "Friedenspolitik statt Kriegshysterie" gestartet. Darin heißt es: "Trotz der Militärmanöver in der Nähe zur Ukraine hat Russland kein Interesse an einem Krieg." Und das Aktionsbündnis gegen die Münchner Sicherheitskonferenz forderte mit van Ooyens Unterschrift nur Tage vor dem russischen Überfall auf die Ukraine: "Stoppt den Kriegskurs der NATO-Staaten".

Der Frieden in Europa kann nur gegen Putins Russland verteidigt werden

Nun ist nicht mehr zu leugnen: Wladimir Putin führt einen Vernichtungskrieg gegen ein Land, dessen Fehler es war, in seiner überwiegenden Mehrheit die eigene Zukunft in Europa, in Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu sehen.

Zu Ostern 2022 ist es Zeit aufzuwachen: Russland darf diesen Krieg nicht gewinnen. Was der Ukraine widerfährt, droht sonst auch dem Baltikum, Moldau, Polen. Und der Frieden in Europa kann nur gegen Putins Russland verteidigt werden. Zu dieser Einsicht muss – so schmerzlich es für sie sein mag – nun auch die Ostermarschbewegung kommen.